Die meisten hoch entwickelten Volkswirtschaften leiden nach wie vor unter einem hinter dem Trend zurückbleibenden BIP-Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit. Daher haben sich ihre Zentralbanken auf eine zunehmend unkonventionelle Geldpolitik verlegt. Sie haben uns eine Buchstabensuppe von Maßnahmen serviert: ZIRP (Nullzinspolitik), QE (quantitative Lockerung: der Ankauf von Staatsanleihen zur Verringerung der langfristigen Zinsen angesichts kurzfristiger Leitzinsen von null), CE (Kreditlockerung: Ankauf privater Vermögenswerte mit dem Ziel, die Kapitalkosten des privaten Sektors zu senken) und FG (Forward Guidance: die Zusage, QE bzw. ZIRP aufrechtzuerhalten, bis etwa die Arbeitslosenquote einen bestimmten Zielwert erreicht). Manche sind so weit gegangen, eine NIPR (Negativzinspolitik) vorzuschlagen.
Trotz alledem verharren die Wachstumsraten bisher hartnäckig auf niedrigem Niveau, und die Arbeitslosenquoten bleiben inakzeptabel hoch, u.a. weil die Zunahme der Geldmenge im Gefolge der QE nicht zu einer Kreditschöpfung zur Finanzierung von privatem Konsum oder Investitionen geführt hat. Stattdessen haben die Banken das zusätzliche Geld in Form von Reserveüberschüssen gebunkert. Es besteht eine Kreditverknappung, da Banken mit unzureichendem Eigenkapital keine Kredite an risikobehaftete Kreditnehmer vergeben wollen, während das niedrige Wachstum und das hohe Schuldenniveau der privaten Haushalte zugleich auf die Kreditnachfrage drücken.
Infolgedessen fließt all diese überschüssige Liquidität in den Finanzsektor statt in die Realwirtschaft. Leitzinsen von nahezu null ermutigen zu sogenannten „Carry Trades“ – schuldenfinanzierten Investitionen in ertragsstärkere riskante Anlagen wie längerfristige Staats- und Privatanleihen, Aktien, Rohstoffe und Währungen von Ländern mit hohen Zinssätzen. Das Ergebnis: überhitzte Finanzmärkte, auf denen sich letztlich Blasen bilden könnten.
Gefahr der Blasenbildung
Tatsächlich gab es auf den Aktienmärkten in den USA und vielen anderen Ländern seit den Tiefstständen von 2009 Rückschwünge von über 100 Prozent; die Ausgabe ertragsstarker „Junkbonds“ hat erneut das Niveau des Jahres 2007 erreicht, und die Zinssätze für derartige Anleihen fallen. Zudem führen die niedrigen Zinssätze sowohl in hoch entwickelten Volkswirtschaften als auch in Schwellenländern – u.a. in der Schweiz, Schweden, Norwegen, Deutschland, Frankreich, Hongkong, Singapur, Brasilien, China, Australien, Neuseeland und Kanada – zu hohen und weiter steigenden Eigenheimpreisen und möglicherweise Immobilienblasen.
Das Platzen der Aktien-, Kredit- und Immobilienblasen in den USA, Großbritannien, Spanien, Irland, Island und Dubai in den Jahren 2007-2009 führte zu schweren finanziellen Verlusten und wirtschaftlichen Schäden. Laufen wir also die Gefahr eines weiteren Boom-und-Bust-Finanzzyklus?
Kritik an lockerer Geldpolitik
Einige politische Entscheidungsträger – wie Janet Yellen, die wohl als nächste Chefin der US-Notenbank bestätigt wird – argumentieren, dass wir uns keine allzu großen Sorgen machen brauchen. Die Zentralbanken, so argumentieren sie, hätten derzeit zwei Ziele: die Wiederherstellung eines robusten Wachstums und niedriger Arbeitslosigkeit bei geringer Inflation, und die Aufrechterhaltung der Finanzstabilität ohne Blasen. Darüber hinaus verfügten sie über zwei Instrumente zur Erreichung dieser: den Leitzins, der noch lange niedrig bleibe und nur allmählich erhöht werde, um das Wachstum anzukurbeln, und die makroprudenzielle Regulierung und Beaufsichtigung des Finanzsystems, die zur Kreditsteuerung und zur Verhinderung von Blasen genutzt werde.
Kritiker wie Fed-Gouverneur Jeremy Stein argumentieren, dass makroprudenzielle Strategien zur Steuerung von Krediten und Verschuldungsgrad (wie Beschränkungen der Beleihungsquoten bei Hypotheken, größere Kapitalpuffer für Banken, die riskante Kredite vergeben, und straffere Standards bei der Kreditvergabe) möglicherweise nicht funktionieren werden. Nicht nur, weil sie unerprobt sind, sondern auch, weil die Beschränkung des Verschuldungsgrades in einigen Teilen des Bankensystems die durch die Nullzinspolitik bedingte Liquidität lediglich in andere Teile des Systems umschichten würde, während der Versuch einer allgemeinen Schuldenbeschränkung die Liquidität lediglich in das weniger regulierte Schattenbankensystem treiben würde. Laut Stein erreicht nur die Geldpolitik (höhere Leitzinsen) alle Ritzen und Fugen des Finanzsystems und verhindert Vermögensblasen.
Schwieriger Spagat
Das Problem ist: Sollte die makroprudenzielle Regulierung nicht funktionieren, müsste der Zinssatz zwei sich widersprechenden Zielen dienen – dem wirtschaftlichen Aufschwung und der Finanzstabilität. Wenn die politischen Entscheidungsträger die Zinsen nur langsam erhöhen, um einen schnelleren wirtschaftlichen Aufschwung zu unterstützen, laufen sie Gefahr, die Mutter aller Vermögensblasen hervorzurufen, die dann letztlich platzen und eine weitere massive Finanzkrise sowie ein rasches Abgleiten in die Rezession hervorrufen würde. Aber wenn sie versuchen, der Blasenbildung frühzeitig mit höheren Zinsen entgegenzuwirken, verursachen sie einen Crash am Anleihemarkt und würgen den Aufschwung ab, was große wirtschaftliche und finanzielle Schäden zur Folge hätte. Sofern die makroprudenzielle Regulierung also nicht wie geplant funktioniert, ist die Politik so oder so zum Scheitern verurteilt.
Bisher haben es die Entscheidungsträger in Ländern mit überhitzten Kredit-, Aktien- und Immobilienmärkten aufgrund des langsamen Wachstums vermieden, die Leitzinsen zu erhöhen. Doch ist es noch zu früh, um zu beurteilen, ob die makroprudenziellen Strategien, auf die sie sich stützen, die Finanzstabilität gewährleisten. Falls nicht, wird die Politik letztlich vor einer hässlichen Entscheidung stehen: den Aufschwung abzuwürgen, um gefährliche Blasen zu vermeiden, oder auf Wachstum zu setzen und dabei Gefahr zu laufen, die nächste Finanzkrise anzuheizen. Angesichts weiter steigender Vermögenspreise haben viele Volkswirtschaften möglicherweise mehr Suppe gehabt wie sie vertragen können.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
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