Eine Woche sei in der Politik eine lange Zeit, heißt es. Aber die Ereignisse der letzten Zeit in Asien könnten die Zukunft der Region für Jahrzehnte bestimmen.
Thailand, eines der wohlhabendsten Länder Asiens, scheint sich selbst zu einem hoffnungslosen Fall machen zu wollen. Nach der Absetzung der gewählten Regierung durch das thailändische Verfassungsgericht aus fadenscheinigen rechtlichen Gründen folgte ein Militärputsch, der höchstens zu einem künstlichen Frieden führen kann. Solange das thailändische Militär nicht in der Lage ist, ehrlich zwischen der abgesetzten Premierministerin Yingluck Shinawatra (und ihren Unterstützern) und der antidemokratischen Elite Bangkoks zu vermitteln, die das Recht einer dauerhaften Minderheitsregentschaft anstrebt, könnte die momentane Ruhe bald einem neuen und gefährlichen Sturm weichen.
Östlich von Thailand ist Vietnam das jüngste asiatische Land, das sich von Chinas Politik bedroht fühlt, Fakten zur Stärkung seiner Ansprüche auf umstrittenes Territorium zu schaffen. Die vietnamesische Regierung reagierte energisch, als China eine riesige Ölbohrplattform in der Nähe der umstrittenen Paracel-Inseln im südchinesischen Meer brachte. Und noch schärfer fielen die Reaktionen vietnamesische Normalbürger aus: Sie nahmen die Sache in ihre Hände und attackierten chinesisch finanzierte Unternehmen.
Russisch-chinesische Dissonanzen
Das einseitige Vorgehen der Chinesen hat virulente anti-chinesische Gefühle hervorgebracht, die in vielen asiatischen Ländern unter der Oberfläche brodeln. Dieser Trend wurde auch durch die wiederholten Proteste gegen chinesische Bergbauinvestitionen in Myanmar bestätigt – ein Trend, den chinesische Politiker anscheinend entweder als trivial abtun oder nicht in Zusammenhang mit ihren Schikanen bringen. In der Tat scheint die Führung in Peking ähnlich wie der russische Präsident Wladimir Putin, dem in der Ukraine eine weit verbreitete Antipathie entgegenschlägt, zu glauben, öffentliche Proteste gegen sie könnten nur das Ergebnis einer amerikanischen Verschwörung sein.
Trotz dieser gemeinsamen Haltung hatten der Kremlchef und der chinesische Präsident Xi Jinping während Putins zweitägigem Besuch in Shanghai Schwierigkeiten, sich auf ein neues Gasgeschäft zu einigen, das der Kreml verzweifelt braucht. Putin sieht China als Ausweichmöglichkeit für den Fall einer Isolierung seines Landes durch den Westen nach der Annexion der Krim. Es war seine Idee, die russische Wirtschaft in eine Partnerschaft mit China zu führen.
Aber Xi hat diese Pläne vereitelt und die Gasvereinbarung erst unterschrieben, als Putin ihm einen großen, langfristigen Rabatt zusagte. Xis Selbstbewusstsein spiegelte nicht nur die Verachtung der chinesischen Führung für das Mismanagement der russischen Wirtschaft wider, sondern auch die Tatsache, dass Chinas Sorgen wegen der Energieversorgung seines Landes stark abgenommen haben. Die erfolgreiche Entwicklung der Frackingtechnologie in Xinjiang legt nahe, dass China ebenso wie Amerika bald seine eigenen Schiefergas-Reserven nutzen kann. Darüber hinaus versorgen große Gasvorkommen in Myanmar und Zentralasien China für mindestens ein Jahrzehnt mit ausreichender Energie.
Die harten Verhandlungen zwischen Chinesen und Russen haben die Grenzen der bilateralen Zusammenarbeit der beiden Länder deutlich gemacht. Dies hat wichtige geostrategische Auswirkungen auf Asien und die ganze Welt. Es sieht so aus, als ob die Chinesen Putin freudig dabei zuschauen, wie er seinen Finger ins Auge des Westens steckt und Amerikas weltweite Führungsrolle herausfordert. Allerdings ist das Land nicht bereit, die russischen Weltmacht-Ambitionen mit harter Währung zu finanzieren. Statt dessen scheint das chinesische Interesse darin zu liegen, Russland in einen ähnlichen Vasallenstaat zu verwandeln, wie ihn Putin in der Ukraine schaffen möchte.
Neue Chancen mit Modi
Aber die epochalsten Ereignisse der letzten Woche fanden in zwei der großen asiatischen Demokratien statt: Indien und Japan. Narendra Modis Erdrutschsieg bei den Wahlen in Indien war nicht nur ein enormer persönlicher Triumph für den Sohn eines Teeverkäufers, sondern könnte tatsächlich einen entscheidenden Bruch mit der traditionell nach innen gerichteten Politik Indiens darstellen. Modi ist entschlossen, die indische Wirtschaft zu reformieren und das Land in die erste Riege der Weltmächte zu führen.
Hier wird Modi kaum einen treueren Verbündeten finden als den japanischen Premierminister Shinzo Abe, der einer der ersten asiatischen Politikern war, die ihn bei seiner Kandidatur unterstützt haben. Da die regionalen Sicherheitsinteressen beider Länder fast perfekt übereinstimmen, sollte es für sie genug Möglichkeiten geben, für mehr Sicherheit in der Region und gemeinsamen Wohlstand zusammenzuarbeiten. Einen ersten Test dafür könnte die Krise in Thailand darstellen, da beide Länder ein starkes Interesse an der baldigen Rückkehr des Landes zur Demokratie haben und auch die Glaubwürdigkeit besitzen, um als ehrliche Vermittler zur Beendigung der Krise beizutragen.
Vorvergangene Woche hat sich Abe deutlich mehr Raum verschafft, um als strategischer Partner agieren zu können – nicht nur mit Indien, sondern auch mit den anderen Verbündeten Japans, insbesondere den Vereinigten Staaten. In aller Stille hat ein von der Abe-Regierung einberufener Ausschuss in dieser Woche eine Neuinterpretation einer Schlüsselstelle des Artikels 9 der japanischen Verfassung entworfen. Erstmalig seit dem Ende des Pazifikkrieges 1945 könnten Japans Verteidigungskräfte an einer „kollektiven Selbstverteidigung“ teilnehmen – das heißt, dass das Land seinen Alliierten beistehen könnte, wenn diese angegriffen werden.
Natürlich haben China und andere asiatische Länder versucht, diese Änderungen mit dem alarmistischen Vorwurf einer Rückkehr zum japanischen Militarismus schlecht zu machen. Aber die neue Interpretation von Artikel 9 verheißt genau das Gegenteil: sie bettet Japans Militär in ein System von Allianzen ein, das immer schon das Rückgrat der asiatischen Friedensstruktur war und weiterhin sein wird. In seiner Grundsatzrede beim diesjährigen Shangri-La-Dialog in Singapur, dem jährlichen Treffen der militärischen und zivilmilitärischen Führungen Asiens, wird Abe das deutlich machen.
China muss Hegemonieanspruch aufgeben
Modis Sieg und Abes verbesserte Beistandsmöglichkeiten für seine Verbündeten kann dazu beitragen, tiefere bilaterale Verbindungen zu schmieden und, wenn sie von China richtig verstanden werden, ein besseres strategisches Gleichgewicht in der Region fördern. Für die größten asiatischen Mächte – China, Indien, Japan und die USA – ist es jetzt möglich geworden, etwas Ähnliches zu schaffen wie das System der Zusammenarbeit, das im 19. Jahrhundert in Europa für hundert Jahre fast völligen Friedens gesorgt hat.
Natürlich erfordert ein solches System, dass China sein Ziel regionaler Hegemonie aufgibt. Klarsichtige Chinesen sollten jetzt bereits erkennen, dass eine solche Dominanz ohne einen siegreichen Krieg unmöglich ist. Jetzt ist der Moment für China gekommen, seinen Aufstieg innerhalb einer stabilen und für alle akzeptablen asiatischen Regionalordnung zu verankern. Tatsächlich könnte dies den ultimativen Wendepunkt hin zur chinesischen Modernisierung darstellen.
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff
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