Über kaum ein politisches Thema wurde in der letzten Legislaturperiode so emotional diskutiert wie über die Regulierung der Finanzmärkte. SPD-Chef Gabriel polterte im Juli vergangenen Jahres: „Die Bundestagswahl 2013 muss zur Entscheidung über die Bändigung des Finanzsektors werden!“, und warf Banken „Abzocke“ und „Erpressung“ vor.
Die Union wollte den Sozialdemokraten zumindest in der Sache nicht nachstehen, getreu dem Motto der Kanzlerin: „If you can’t beat them, join them.“ Die Unionsparteien legten Vorschläge für eine Finanztransaktionssteuer auf den Tisch und sorgte mit einer wahren Flut an Regulierungsmaßnahmen im Privatkundengeschäft dafür, dass mittlerweile jede siebte deutsche Bank oder Sparkasse auf eine Aktienberatung verzichtet.
Die Branche stellte sich also während der Verhandlungen zwischen Union und SPD auf das Schlimmste ein. Viele erhofften sich zumindest eins: Planungssicherheit. Ein Blick in den Koalitionsvertrag zeigt allerdings: Alle sind so ratlos wie zuvor. Konkrete Ankündigungen? Weitgehend Fehlanzeige!
Das Papier wimmelt von seit Jahren bekannten Allgemeinplätzen, die noch dazu jeder verantwortliche Vertreter der deutschen Finanzbranche sofort unterschreiben würde: „Wer große Risiken eingeht, muss auch die Haftung übernehmen – das sind die Spielregeln der Sozialen Marktwirtschaft.“ Oder auch: „Wir wollen daher die vorrangige Haftung von Eigentümern und Gläubigern der Banken.“ So geht es munter weiter. Die Koalition verspricht eine Finanzmarktpolitik, die „der realwirtschaftlichen Dienstleistungsfunktion des Finanzsektors Vorrang vor spekulativen Geschäften“ gibt. Man wolle „Transparenz schaffen“, „Ansteckungsrisiken“ begrenzen und Schattenbanken ebenso regulieren wie den klassischen Bankensektor. Das klingt gut. Nur welche politischen Maßnahmen damit verbunden sein könnten, bleibt im Dunkeln.
Fragezeichen bei Schattenbanken
Stichwort Schattenbanken: In diesem unregulierten Sektor tummeln sich nicht nur Hedge-Fonds, Private Equity Gesellschaften und spezielle Anlagevehikel, sondern auch Geldmarkt- und Investmentfonds. Er beläuft sich auf ein Volumen von rund 70.000 Mrd. Dollar und macht 25 bis 30 Prozent des Finanzgeschäfts aus. Wie diese Schattenbanken endlich einer Kontrolle unterworfen werden können, darauf bleibt der Koalitionsvertrag jede Antwort schuldig. Und das fast drei Jahre, nachdem Angela Merkel vor allem mit Blick auf die Schattenbanken angekündigt hat, „jeden Finanzplatz, jeden Finanzmarktakteur und jedes Finanzprodukt“ regulieren zu wollen – ein Satz, der sich auch im Koalitionsvertrag findet.
Stichwort „Entflechtung von Staat und Banken“. Bis heute müssen Kreditinstitute Staatsanleihen nicht mit Eigenkapital unterlegen. Viele Fachleute bis hin zu Bundesbank-Präsident Jens Weidmann sind sich einig, dass das dringend geändert werden muss. Ich hätte eigentlich erwartet, dass sich die Große Koalition dieses Themas annimmt. Alleine die italienischen Banken haben in den vergangenen zwei Jahren heimische Staatsanleihen im Volumen von 175 Mrd. Euro gekauft – ein Anstieg von 75 Prozent. Mittlerweile stehen ein Viertel der Staatsschulden Italiens in ihren Büchern. Von Entflechtung von Staaten und Banken kann da keine Rede sein – im Gegenteil. Es ist ein besserer Witz, dass dieses am Ende auch für deutsche Steuerzahler virulente Problem im Koalitionsvertrag einfach ignoriert wird.
Angekündigt wird dagegen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Die Koalitionäre behaupten, sie würde „den Finanzsektor an den Kosten der Krise und an den Zukunftsaufgaben von Wachstum und Beschäftigung“ beteiligen. Die Wahrheit ist: In erster Linie werden die Bürger zur Kasse gebeten. Sie müssen als Kunden von Banken und Versicherungen die Steuer nämlich bezahlen. Sie steht noch dazu im Widerspruch zu einem anderen Passus im Vertrag. Auf Seite 14 heißt es, man wolle im Kreis der größten Industriestaaten (G8 und G20) „eine bessere Abstimmung in der internationalen Wirtschaftspolitik erreichen“. Jeder weiß: Ohne eine Einführung zumindest auf G20-Ebene ist die Finanztransaktionssteuer weitgehend sinnlos. Die betreffenden Geschäfte wandern einfach an andere Standorte ab. Die im Wortsinne naheliegende Alternative befindet sich sogar innerhalb der EU: in London.
Monströse Beratungsprotokolle
Wenig überraschend ist das Bekenntnis zum deutschen System der Universalbanken. Allerdings steht es im Widerspruch zu einer anderen Ankündigung: die Koalitionäre wollen die Vorschläge der „Liikanen-Kommission“ umsetzen und damit eine striktere Trennung von Einlagen-Bank und Händler-Bank auf europäischer Ebene. Zwar lassen sich beide Einheiten auch unter dem Dach einer Holding führen, dennoch käme das einem Trennbankensystem schon ziemlich nahe. Von einem Festhalten am „bewährten Universalbanksystem“ könnte man dann zumindest nicht mehr sprechen.
Immerhin geht der Vertrag auch auf die monströse Bürokratie beim Anlegerschutz ein, über die selbst die Kunden nur noch den Kopf schütteln können. Hier wird versprochen, die Beratungsprotokolle „im Hinblick auf die praktikable Handhabung“ zu überprüfen und „mit Verbesserungen für Anleger“ weiterzuentwickeln. Vor dem Hintergrund der überbordenden Regulierung, unter der die Banken mittlerweile ächzen, erscheint die Überarbeitung von Beratungsprotokollen allerdings eher als Feigenblatt.
Des Weiteren soll die Honorarberatung gefördert und „hohe Anforderungen an die Qualität der Beratung“ festgelegt werden. Das könnte eine starke Signalwirkung für die großen Privatkundenbanken haben. Ähnliche Initiativen gibt es bereits über die EU-Richtlinie Mifid II, die freien Beratern die Annahme von Provisionen verbieten soll. Die Banken müssen damit rechnen, dass die deutsche und die europäische Politik provisionsbasierte Beratung über kurz oder lang mit Hilfe gesetzlicher Standards immer unattraktiver machen wird.
Bei Dispositionskrediten will man dafür sorgen, dass es „nicht zu einer übermäßigen Belastung der Bankkunden“ kommt. Sie sollen in Zukunft einen Warnhinweis erhalten, wenn sie in den Dispo rutschen. Banken sollen verpflichtet werden, bei dauerhafter Überziehung des Kontos in einer Beratung kostengünstigere Alternativen anzubieten. Auch hier verfolgt die Große Koalition offensichtlich eine Politik der kleinen Nadelstiche – und setzt auf staatliche Prävention anstatt auf mündige Verbraucher.
Auf alles und nichts
Bleibt das Thema Europa. Nach einigen weiteren Floskeln wie der Ankündigung einer „klugen Regulierung der Finanzmärkte“ beschäftigen sich die Koalitionäre mit der anstehenden europäischen Bankenunion. Viel Altbekanntes findet sich hier: Angefangen von der Notwendigkeit einer einheitlichen Regulierung im Euro-Raum, über einen Mechanismus zur Bankenabwicklung, bis hin zu einer gemeinsamen Bankenaufsicht durch die EZB. Hier will sich die Koalition weiterhin dafür einsetzen, dass die „Besonderheiten des deutschen 3-Säulen-Modells Berücksichtigung finden“. Das heißt: Kleine und regional tätige Banken sollen wie gehabt national beaufsichtigt werden. Das werden Sparkassen und Genossenschaftsbanken mit Freude aufgenommen haben.
Auch beim Thema Basel III machen es sich Union und SPD bequem: Sie wiederholen einfach das, was auf EU-Ebene de facto längst beschlossen wurde, darunter strengere Eigenkapital- und Liquiditätsstandards sowie die Einführung verbindlicher Schuldenobergrenzen (Leverage Ratio). Den Wählern wird versprochen, das alles „in den vorgegebenen Zeitplänen konsequent“ umzusetzen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Das Grundverständnis von Union und SPD vom Verhältnis von Staat, Banken und Realwirtschaft tritt im Abschnitt über den Mittelstand besonders deutlich zutage. Die Koalitionäre wollen „Hemmnisse bei der Mittelstandsfinanzierung“ abbauen. Ein hehres Ziel. Sie setzen dabei auf alle drei Säulen der deutschen Kreditwirtschaft und versprechen, sich bei Basel III gegebenenfalls für Nachbesserungen einzusetzen. Auch das klingt gut. Im nächsten Satz holen sie dann aber verbal die Keule raus: „Die aktuell guten Finanzierungskonditionen müssen von den Banken an den Mittelstand weitergegeben werden.“ Das klingt nicht nach der viel beschworenen sozialen Marktwirtschaft, sondern nach purem Staatsdirigismus. Zu welchen kreativen Zwangsmaßnahmen Schwarz-Rot hier greifen wird, bleibt ebenfalls abzuwarten.
Am Ende der Lektüre stehen vor allem Fragen: Wird der zukünftige Finanzminister doch noch eine Art Trennbankensystem durchsetzen? Wird ein Vize-Kanzler Gabriel die vermeintliche „Erpressung durch die Banken“ beenden, indem die unselige Symbiose zwischen Staaten und Kreditwirtschaft aufgelöst wird? Kunden wie Banker sind nach der Lektüre des Koalitionsvertrages so schlau wie vorher. Auf was wir uns in den kommenden vier Jahren also einstellen müssen? Ganz einfach: Auf alles und nichts.