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US-Wahl 6 Lehren aus der US-Präsidentenwahl  

Ein Biden-Anhänger mit einem Biden-Harris-T-Shirt
Ein Biden-Anhänger mit einem Biden-Harris-T-Shirt
© IMAGO / MediaPunch
Warum ist Joe Bidens Sieg ein großer Sieg? Warum waren die Umfragen doch nicht so schlecht? Und warum wird Donald Trump nicht einfach verschwinden? Nils Kreimeier erklärt, was wir aus dem Wahl-Drama lernen können

#1 Bidens Sieg ist ein großer Sieg

Es stimmt ja: In den Umfragen lagen die Demokraten bis zum Schluss deutlich weiter vorne als beim tatsächlichen Ergebnis dieser Wahl. In den letztlich nur knapp gewonnenen Bundesstaaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin wurden deutlich höhere Vorsprünge vorhergesagt, und auch ein Sieg in Florida schien erreichbar. Das alles lässt den Wahlsieg von Joe Biden auf den ersten Blick wie eine Enttäuschung erscheinen, eine verpasste Chance. Aber dieser Eindruck täuscht aus mehreren Gründen.

Zum einen wäre diese Erzählung dieser Wahl eine ganz andere gewesen, wären die Briefwahlstimmen im Mittleren Westen der USA früher ausgezählt worden - womit sich Bidens Erfolg schon viel früher abgezeichnet hätte. Zum anderen und vor allem aber gilt: Es ist keine Kleinigkeit, bei einer solchen Wahl und einer solch historischen Beteiligung einen Amtsinhaber zu schlagen. Und zwar einen Amtsinhaber, der, völlig unabhängig von allen Inhalten, ein grandioser Wahlkämpfer ist, ein begnadeter Volkstribun, der ein Naturtalent dafür besitzt, eine bestimmte Art von Menschen emotional anzusprechen.

Donald Trump ist ein Populist und ein Autokrat, wie sich auch in den Tagen seiner verschleppten Niederlage noch einmal gezeigt hat. Yascha Mounk vom US-Magazin „Atlantic“ hat unlängst darauf hingewiesen, wie ungeheuer schwer es aus historischer Perspektive ist, einen solchen Populisten loszuwerden .

Und die Beispiele Ungarn, Polen aber auch Italien in der EU zeigen, dass die Europäer die letzten sind, die dabei über andere die Nase rümpfen sollten. Der künftige US-Präsident Biden ist von vielen als schwacher Kandidat bezeichnet worden – zu alt, zu zahm, um der brachialen Wucht Trumps etwas entgegen zu setzen. Aber womöglich war es gerade diese scheinbare Schwäche, die ihn zum idealen Gegenbild Trumps machte: Zurückhaltung gegen Angeberei, Integrität gegen Korruption, Mitgefühl gegen Empathiemangel.

Biden hat gegen eine Wahlkampfmaschine gewonnen, gegen einen Mann, der sich um keine Regeln schert und fast alle gebrochen hat, die in einer Demokratie gelten sollten. Das ist kein Erdrutsch, aber es ist ein großer Sieg.

#2 Die Vorhersagen waren nicht gut – aber auch nicht so schlecht

Wer in den Wochen vor der Wahl aufmerksam die großen US-Zeitungen las oder auch die TV-Sendungen verfolgte, der konnte lesen, dass dem Land ein besonderes Szenario bevorstand: Am Wahlabend würde Donald Trump in den Bundesstaaten des Mittleren Westens mit weitem Abstand in Führung gehen, diese Führung aber werde sich in den Tagen danach Schritt für Schritt in Luft auflösen. Genau so kam es, es war ein vorhersehbarer Verlauf, auf den jeder vorbereitet sein konnte.

Der Grund: Während die Wähler der Demokraten aus Furcht vor der Pandemie mit überwältigender Mehrheit per Briefwahl abstimmten, gaben die Republikaner vorwiegend am Wahltag selbst ihre Stimme ab – angeheizt von einem Präsidenten Trump, der die Briefwahl ohne jede Grundlage für fälschungsanfällig erklärt hatte. Diese Briefwahlstimmen aber, und es waren so viele wie noch nie, wurden als letztes gezählt. Dass man das alles wissen konnte, lag an den Statistik-Gurus der US-Medien, an Leuten wie Nate Silver vom Portal 538 oder Nate Cohn von der New York Times . Die wiederum hatten ihre Daten zusammengetragen aus den Informationen der Wahlbüros und den Umfragen der Institute. Das Bild eines überwältigenden Biden-Siegs, das sich in den meisten dieser Umfragen abzeichnete und damit auch die Prognosen bestimmte, erwies sich am Ende als falsch.

Was allerdings den landesweiten Vorsprung der Demokraten bei den absoluten Stimmen anging, so lagen viele Institute am Ende gar nicht so weit vom absehbaren Ergebnis entfernt. Ja, die Umfragen vermittelten für manche Bundesstaaten wie Florida kein korrektes Bild, Trump-Wähler sind offenbar schwer einzuschätzen. Aber die Vorhersagen waren auch nicht so schlecht wie sie jetzt gemacht werden.

#3 Es gibt auch ein anderes Amerika

Natürlich hört man jetzt wieder oft, dass ein Präsident Biden gegen ein halbes Land anregieren muss und Teile Amerikas radikal gegen ihn sind. Es gibt deutsche Publizisten, die sich nicht zu schade sind, von „No-Go-Areas“ für Biden zu sprechen, so als trage der ehemalige Vizepräsident die Schuld an der Polarisierung des Landes - und als gäbe es nicht auch in Trumps Hochburgen demokratische Wähler. Wir haben in den letzten Jahren so viele Berichte aus Trump-Amerika gehört, dass mittlerweile eigentlich jeder Stahlarbeiter in Ohio mindestens einmal interviewt worden sein müsste.

Aber was ist eigentlich mit dem anderen Amerika? Was ist mit den über 73 Millionen Menschen, die nicht für Trump, sondern für Biden gestimmt haben, mehr Menschen als jemals für irgendeinen Bewerber um das US-Präsidentenamt? Der Demokratischen Partei wird ins Gewissen geredet, sie müsse mit den „Abgehängten“ wieder ins Gespräch kommen, ihnen eine wirtschaftliche Perspektive bieten. Das mag richtig sein. Zugleich aber wird hingenommen, dass die Republikaner, eine Partei, die angeblich am Gedeihen der Unternehmen interessiert ist, Kalifornien de facto aufgegeben hat. Einen Bundesstaat, der für sich genommen eine der größten Volkswirtschaften der Erde ist.

Vielleicht ist es Zeit, nicht nur auf die zu schauen, die glauben, es sei in Ordnung, einen Autokraten und Demokratieverächter wie Trump zu unterstützen. Sondern auch auf die vielen Menschen, die das mit großer Entschiedenheit nicht tun.

#4 Populismus ist kein ethnisches Problem

Die große Hoffnung der US-Demokraten vor dieser Wahl lautete: Menschen lateinamerikanischer Herkunft oder Afroamerikaner werden im großen Stil gegen Trump stimmen, der keine Gelegenheit ausgelassen hatte, gegen sie zu hetzen und sich mit weißen Rassisten gemein zu machen. Es kam anders: Trump legte anteilig im Vergleich zur letzten Abstimmung bei diesen Wählergruppen deutlich zu , und zwar so deutlich, dass dies ein Grund für seinen klaren Sieg in Florida gewesen sein könnte.

Die Erkenntnis daraus ist ähnlich wie die Erfahrungen mit rechtspopulistischen Parteien in Europa: Der Hang zu autokratischen Figuren, zu angeblichen Alles-Lösern und Tabubrechern hat nichts mit der ethnischen Herkunft, mit dem Alter oder auch mit dem Geschlecht zu tun. Er kann bei jungen weißen Männern ebenso auftreten wie bei alten Frauen mit dunkler Hautfarbe. Bei Christen ebenso wie bei Muslimen, aber auch bei Atheisten. Er ist ein mentales Problem, das es gibt, seit es Gesellschaften gibt und das nur mit den mühsamen Mitteln einer Demokratie in Schach gehalten werden kann: erklären, argumentieren, dagegen halten – und manchmal auch einbinden.

„Alte weiße Männer“ für Fehlentwicklungen verantwortlich zu machen, wie es in der flotten Debatte westlicher Industriestaaten oft geschieht, führt dabei keinen Schritt weiter. Die alten weißen Männer waren bei dieser Wahl in den USA nicht das Problem.

#5 Trump ist nicht weg vom Fenster

Es ist eine bittere Erkenntnis, aber eine, mit der sich alle so rasch wie möglich anfreunden sollten. Auch wenn Trump diese Wahl verloren hat, weder er selbst noch sein Verständnis von Politik sind damit erledigt. Autokraten sind nicht nur sehr überlebensfähig, sie kommen oft auch zurück. Silvio Berlusconi zum Beispiel, der oft clowneske italienische Mini-Trump, verlor nach seiner ersten Zeit als Ministerpräsident die Wahl, schaffte es danach aber noch dreimal ins Amt des Regierungschefs. Mit seinem Medienimperium prägte er jahrzehntelang eines der größten Länder Europas.

Trump und seiner Familie ist ähnliches zuzutrauen, über einen eigenen Fernsehsender des nun scheidenden Präsidenten wird schon seit längerem spekuliert . Er hat mit seiner brutalen Variante von Charisma eine solch gläubige Anhängerschaft aufgebaut, dass vieles denkbar ist. Auch eine erneute Kandidatur im Jahr 2024. Ob das gelingt und wie sich das auswirkt, wird von vielem abhängen: von der Stimmung im Land, vom Verlauf der Biden-Präsidentschaft, von der Pandemie.

Und vor allem auch vom Verhalten der US-Republikaner, die in den vergangenen vier Jahren zu einem Trump-Wahlverein mutiert sind und sich davon im besten Fall nur langsam erholen werden. Darüber hinaus aber hat die Art seiner Politik, das erbitterte Freund-Feind-Verständnis, die Ignoranz gegenüber Fakten und die Verachtung demokratischer Normen, eine Generation von Republikanern geprägt. In ihnen wird er weiterleben, selbst wenn er wirklich selbst eines Tages Geschichte sein sollte.

#6 Die Medien haben mitentschieden - und das ist nicht gut

Es gab einen Moment bei dieser Wahl, der mit einiger Sicherheit in die Geschichtsbücher eingehen wird. Es war die Stunde, in der Trumps bisheriger Haussender Fox News Joe Biden zum Sieger im Bundesstaat Arizona ausrief. Als erster, nach Ansicht vieler Experten viel zu früh. Diese Entscheidung war deshalb so ungeheuer wichtig, weil sie die komplette Erzählung des Wahlabends drehte. Bis dahin lag Trump überraschend gut im Rennen, hatte Florida, Ohio und Texas klar gewonnen und schien zurück auf dem Weg ins Weiße Haus. Für die Truppe des Präsidenten war dieser Anschein wichtig, weil sie ja wusste, was noch kommen würde: ein harter Kampf im Mittleren Westen. Die verkündete Niederlage in Arizona aber kippte das Bild: Von jetzt an lag Trump hinten.

Warum ausgerechnet Fox News diesen Prozess auslöste, dazu werden noch viele Geschichten geschrieben werden. Eines aber ist klar: Dass ein Fernsehsender eine solche Wirkung auf eine politische Entwicklung ausüben kann, ist kein gutes Zeichen für eine Demokratie. Es war ein Alarmsignal, das allerdings nur das letzte Glied in einer langen Kette solcher Signale war. Fox News hatte sich spätestens unter Trump zu einem Propaganda-Kanal im Stil sozialistischer Diktaturen entwickelt. Der Präsident durfte hier sagen was er wollte, er bekam für alles Beifall von den hauseigenen Claqeuren.

Das aber löste wiederum bei den traditionellen Medienhäusern wie der Washington Post oder CNN Gegenreaktionen aus, die ähnlich schädlich für eine Demokratie sind. Moderatoren und Reporter bewegten sich an der Grenze zum Aktivismus, investigative Beiträge wurden bewusster Teil des Wahlkampfs. In der New York Times kam es zu einem Aufstand, als das Blatt ein Meinungsstück des republikanischen Senators Tom Cotton abdruckte – eigentlich eine Selbstverständlichkeit in einem demokratischen Medium. Und auch die sozialen Medien wie Twitter und Facebook spielten eine Rolle, indem sie manchen, den Wahlkampf bestimmenden Artikeln aus wohlmeinenden Gründen weniger Platz einräumten oder sie gleich ganz sperrten.

All das sind Phänomene einer modernen Mediengesellschaft, die immer noch dabei ist, sich zu finden. Auch in Deutschland, auch in Europa. Aber es sind keine guten Phänomene.

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