Die Schieflage beim weltweit führenden KI-Start-up OpenAI, ausgelöst durch den völlig überraschenden Rauswurf von CEO und Mitgründer Sam Altman am Freitag, beschäftigt auch Tage danach noch die ganze Tech-Szene. Nachdem am Montag mehrere hundert Beschäftigte in einem Protestbrief den Rücktritt des umstrittenen OpenAI-Verwaltungsrats gefordert und Großinvestor Microsoft bekannt gegeben hatte, Altman als Leiter eines neuen KI-Forschungsteams rekrutiert zu haben, stellt sich zunehmend auch die Frage nach der Zukunft von OpenAI.
In ihrem Brief drohen etwa 700 der 770 Mitarbeiter von OpenAI damit, Altman zu Microsoft zu folgen – ein nie dagewesener Brain Drain wäre die Folge. Und sehr wahrscheinlich ein beträchtlicher Wertverlust für die Firma, die zuletzt in Investorengesprächen über eine Bewertung von 80 bis 90 Mrd. Dollar verhandelt haben soll. Denn ohne die entsprechenden Experten wäre OpenAI wohl kaum in der Lage, ähnlich revolutionäre Produkte wie bisher zu produzieren.
Der deutsche Silicon-Valley-Veteran Andreas von Bechtolsheim, einst Gründer von Sun Microsystems und einer der ersten Geldgeber von Google, findet für die Aussichten des Start-ups drastische Worte: „Das Spiel ist für OpenAI praktisch aus.“ Es handle sich vermutlich „um das erste Beispiel eines Unternehmens, dessen Verwaltungsrat einen allseits beliebten Gründer rausgeworfen und damit den Erfolg des Unternehmens zerstört hat“, sagte Bechtolsheim Stern und Capital. „Dies wird in die Geschichte des Silicon Valley eingehen als die dümmste Entscheidung, die jemals getroffen wurde.“
„Nur noch ein Bruchteil wert“
OpenAI habe die führende KI-Technologie der Welt hervorgebracht. Der am Montag eingesetzte neue CEO Emmet Shear verfüge hingegen über „kein besonderes Wissen zu KI“. OpenAI werde „nicht mehr in der Lage sein, Geld zu astronomischen Bewertungen einzusammeln, und ist nur noch einen Bruchteil dessen wert, was es noch vor drei Tagen war“, so Bechtolsheim.
Als Teil des Problems sieht der Investor die ungewöhnliche Struktur des Unternehmens als Non-Profit-Organisation mit einem Verwaltungsrat, der den Anteilseignern der Firma keine Rechenschaft schuldig ist. In dem Gremium waren zuletzt die Mahner, die gegen eine unkontrollierte Weiterentwicklung von KI sind, in der Mehrheit – vor allem weil sie Altmans rasantes Tempo nicht mehr mittragen wollten, setzten sie ihn offenbar vor die Tür.
Die Vorkommnisse offenbarten einen „Richtungsstreit in der KI-Szene“, glaubt auch Andreas Liebl von der Münchner Initiative AppliedAI. „Inwieweit darf Sicherheit über Kommerzialisierung gestellt werden? Aktuell scheint es, dass diejenigen, die lieber etwas vorsichtiger handeln, die Oberhand gewonnen haben.“ Es sei noch nicht abzusehen, „was dies langfristig für den Unternehmenswert von OpenAI, den wahnsinnigen Investitionswettkampf im Silicon Valley und die gesamte Ausrichtung des Feldes bedeutet“, sagte Liebl.
Chance für Microsoft
Nach Ansicht von Daniel Szabo, Digitalchef des Hamburger Maschinenbauers Körber, müsse die Organisation des KI-Marktführers reformiert werden. „OpenAI steht an einem Wendepunkt, der eine Anpassung der Governance-Struktur erfordert, um den Anforderungen einer global agierenden Tech-Firma gerecht zu werden.“
Auch Szabo verweist auf die Gefahr, dass OpenAI ohne seine wichtigsten Mitarbeiter große Probleme bekommen könne – dies zeige, dass „selbst in der Tech-Industrie mit ihrer rasanten Entwicklung und Innovation, die Menschen immer noch den Kern des Erfolges bilden“. Andererseits sei der Wechsel von Altman und vielen seiner Getreuen auch eine Chance für Microsoft. Der Konzern könnte sich so „als einen zukünftigen Marktführer in der KI-Industrie etablieren, mit weitreichenden Auswirkungen auf den globalen Technologiemarkt“, so Szabo.
Investor Bechtolsheim ist sich sicher, dass die entscheidenden Mitarbeiter von OpenAI „entweder kündigen und sich Sam Altman und seiner neuen KI-Einheit bei Microsoft anschließen oder von Wettbewerbern rekrutiert werden“. Das Ganze sei „die größte, plötzlichste und unnötigste selbstverschuldete Niederlage in der Geschichte des Silicon Valley.“ Die einzige historische Parallele, die ihm dazu einfalle, sei 500 Jahre alt – „als China die Zerstörung seiner gesamten Handelsflotte anordnete, weil die politische Elite die wachsende Macht der Händler fürchtete“.
Mitarbeit: Doris Schneyink, Jenny von Zepelin