Lutz Finger ist Director Data Analytics von Linkedin. Wie 25.000 Staatsbürger jedes Jahr hat auch er unser Land verlassen. Der Deutsche ist in San Francisco und im Silicon Valley für die weltweite Entwicklung der Datenprodukte des Karrierenetzwerks zuständig.
Die Digitalisierung schafft nicht nur mehr Bequemlichkeit wie Onlinebanking, Onlinebuchung und Onlineshopping, sondern auch greifbaren Wohlstand. Unternehmensberater von Roland Berger haben den Vorteil quantifiziert: 425 Mrd. Euro zusätzlich könnte die deutsche Wirtschaft umsetzen, wenn sie die Digitalisierung richtig nutzt. Europaweit winken insgesamt 1,25 Mrd. Euro. Die Digitalisierung ist also vor diesem Hintergrund mehr als verlockend, doch zuerst müssen Unternehmen ihr Geschäft auf die neuen Gegebenheiten einstellen. Sie benötigen neue Prozesse, Tools und Dienstleistungen – und dafür dringend Personal mit den richtigen Fähigkeiten. Besonders gefragt bei deutschen Unternehmen sind laut Studie und Daten von Linkedin unter anderem Digitalkompetenz, Wissensmanagement und Big Data-Skills. Ein neuer Markt für gefragte Fähigkeiten ist im Entstehen und befeuert den bereits seit Jahren ansteigenden Fachkräftemangel. Das bestätigen 60 Prozent der Personalverantwortlichen und Manager, die LinkedIn und die Bitkom 2016 befragt haben. Die Nachfrage also steigt, das Angebot in Deutschland reicht nicht aus. Kein Wunder, dass eine wahre Talentwanderung einsetzt – die Fachkräfte gehen eben dorthin, wo die Nachfrage ist. Linkedin kann diese weltweite Migration in seinem Business-Netzwerk beobachten. Der kleinste gemeinsame Nenner sind für Linkedin dabei die Kenntnisse. Zum einen gibt jedes Mitglied seine Fähigkeiten an. Zum anderen besteht jedes Stellenangebot aus einem Bündel von Kenntnissen. Algorithmen analysieren, inwieweit sich Lebensläufe und Jobs ergänzen oder aber auch, an welchen Stellen Fähigkeiten fehlen.
Deutschland gewinnt neue Arbeitskräfte
Der aktuelle Bericht des Weltwirtschaftsforums „Human Capital Report 2016“ zeigt die globalen Talentströme anhand dieser Daten. Fach- und Führungskräfte und deren Qualifikationen nehmen beispielsweise in Griechenland und Finnland ab – beide Länder verlieren demnach deutlich an technischen Kompetenzen – Deutschland dagegen gewinnt neue Arbeitskräfte dazu. Die nachfolgende Grafik zeigt die globalen Ströme:
Auch die von Linkedin befragten deutschen Unternehmen haben das bereits verstanden: Fast drei Viertel der deutschen Mittelständler und 42 Prozent der Großunternehmen gehen in ganz Europa auf die Suche nach passenden Fach- und Führungskräften.
Finnen im Vertrieb, Franzosen im Marketing
Doch wo verstecken sich die richtigen Talente? Die Daten verraten, in welchen Ländern bestimmte Kenntnisse besonders häufig zu finden sind. Deutsche sind laut eigenen Angaben beispielsweise erfahren im Projektmanagement, Finnen geben besonders oft Vertriebsexpertise an. Niederländer haben die meiste Coaching-Erfahrung, Spanier und Portugiesen sehen ihre Stärken in der Gesprächs- und Unternehmensführung. In Griechenland und England finden Unternehmen dagegen die erfahrenen Kundendienstkräfte. Das ist natürlich auch von den kulturellen Gegebenheiten des Landes abhängig: Dass Kundendienst beispielsweise in Deutschland nicht so groß geschrieben wird wie im angelsächsischen Sprachraum, wird die Wenigsten überraschen. Die nachfolgende Grafik gibt einen Überblick über Fähigkeiten in Europa:
Für England gewinnt der Brexit durch diese Einblicke eine ganz neue Dimension – denn wenn das Land die EU verlässt, wird es vom direkten Talentfluss in der Wirtschaftszone möglicherweise abgeschnitten. Dazu droht ein Exodus der Fachkräfte – 600.000 wollen die Insel verlassen mit Ziel Kontinentaleuropa. In Zukunft wird es immer wichtiger, den internationalen Talentfluss transparent und in großer Detailtiefe darzustellen – so können sich Unternehmen, Arbeitssuchende und Regierungen besser darauf einstellen, was in welchem Land im Moment angeboten und was gesucht wird. Die Digitalisierung bietet enorme Chancen. Zugleich stellt sie jeden einzelnen vor neue Herausforderungen. Mittels digitaler Business-Netzwerke finden sich Talente und Unternehmen und können gemeinsam die neuen Chancen nutzen.