Gastbeitrag Wie man eine Lüge entlarvt

Symbolbild: Gespräch mit Mitarbeiter
Symbolbild: Gespräch mit Mitarbeiter
© dpa
Sie glauben, ein Mitarbeiter belügt sie? Doch Glaube bedeutet nicht Wissen. Verhandlungsexperte Jack Nasher erklärt, wie man auf subtile Art und Weise die Wahrheit herausfindet

Was tun Sie, wenn Sie der Verdacht beschleicht, dass Ihr Mitarbeiter Sie belügt? Hier genügt es nicht, einfach nur zu wissen, dass hier gelogen wurde – Sie müssen an die Wahrheit. Sie wollen bis ins Detail erfahren, welche illegalen – sogenannten ‚dolosen’ – Handlungen Ihr Mitarbeiter vorgenommen hat, um einen Schaden rechtzeitig abzuwenden. Mit gutem Grund: Unternehmen verlieren etwa fünf Prozent des Gesamtumsatzes durch strafbare Handlungen ihrer eigenen Mitarbeiter . Aber Ihr Büro ist kein Verhörzimmer. Und doch können Sie eine der effektivsten Verhörtechniken nutzen, um an die ganze Wahrheit zu gelangen: das Thema.

Was ist das Thema?

Als ich etwa 18 Jahre alt war, saß ich eines Abends mit ein paar Freunden in einem Lokal. Wir aßen Burger, gönnten uns Desserts und bestellten noch den einen oder anderen Drink. Knapp 20 Mark ließen wir damals pro Kopf in dem Laden, genug Geld, dachten wir, um uns noch ein kleines Souvenir mitnehmen zu dürfen. Und so verfrachteten wir eine nette blaue Pernod-Karaffe in die Handtasche einer Mitschülerin. Der Kellner kam mit der Rechnung, sah einen Moment lang auf unseren Tisch, musterte uns – er hatte wohl bemerkt, dass etwas fehlte – verdammt! Wir wollten das gute Stück gerade zurück auf den Tisch stellen, da bog der Kellner auch schon wieder um die Ecke und begann eine Tirade: „Schämt euch! Kaum dreht man sich weg, beklaut ihr mich! Ist euch das nicht peinlich? Erbärmlich!“ und so weiter.

Was taten wir nun? Wir konnten die Karaffe nicht mehr zurückgeben, denn es war nun schlicht und einfach nicht mehr möglich, mit der Wahrheit herauszurücken, ohne unser Gesicht zu verlieren. Also leugneten wir stur und zogen schließlich von dannen – mit der Karaffe. Was blieb dem Kellner anderes übrig, als uns zähneknirschend gehen zu lassen? Doch wir fühlten uns schlecht. Wie gerne hätten wir ihm das Diebesgut ausgehändigt! Aber wir konnten einfach nicht, nach all den Beschimpfungen wäre es uns zu peinlich gewesen.

Die moralische Ausrede

Und genau hier setzt das Thema an: Es geht darum, dem anderen eine ‚moralische Ausrede‘ für sein Verhalten zu geben, eine goldene Brücke, die er überqueren kann, ohne dabei in Sack und Asche zu gehen. Wann haben Sie das letzte Mal etwas gestanden? Als Sie von irgendeinem Kerl beschimpft wurden – oder als Ihnen jemand das Gefühl gab, dass er in Ihrer Situation wohl genauso gehandelt hätte? Eben. Das Thema ist die Erklärung, mit der der Befragte seine Tat rechtfertigt – vor anderen und auch vor sich selbst. Dabei ist es unerheblich, ob es der Wahrheit entspricht. Die Hauptsache ist, dass unser Gegenüber mit dieser Ausrede für seine Tat leben kann. In Jahrzehnten der Vernehmungspraxis wurden drei Themen entwickelt, die auch Sie in den allermeisten Situationen verwenden können.

Thema 1: Die Umstände

„In deiner Situation hätte doch jeder das Gleiche getan!“ Kaum etwas entspannt den Täter so sehr, wie zu hören, dass er kein widerwärtiger Mensch ist. Folgende Worte könnten Sie etwa bei einem Mitarbeiter verwenden, der sich etwas genommen hat, das ihm nicht zusteht: „Lieber Herr Müller, ich habe mich gefragt, wie es dazu kommen konnte, dass dieser Betrag verschwunden ist. Und wie ich mich an Ihrer Stelle verhalten hätte. Wenn ich ein alleinerziehender Vater wäre. Wenn ich fünf Tage die Woche erst um 21 Uhr zu Hause wäre, weil ich zur Arbeit pendle. Wenn ich allen drei Kindern einen angenehmen Lebensstandard und eine Ausbildung ermöglichen wollte. Das heißt nicht, dass ich oder dass Sie richtig gehandelt hätten. Aber das heißt, dass es verständlich ist. Für mich, für Sie, für alle in dieser Situation!”

Thema 2: Die Schuld der anderen

Ein weiteres effektives Thema ist es, die Schuld auf andere abzuwälzen. So wie Kinder ihre Spielkameraden beschuldigen, wenn etwas Schlimmes passiert ist, neigen auch Erwachsene dazu, Dritten die Schuld in die Schuhe zu schieben, um eine Tat vor anderen und vor sich selbst zu rechtfertigen. Hat jemand Geld unterschlagen, um seine Spielsucht zu finanzieren, kann man die laschen Gesetze oder das System heranziehen: „Die Versuchung war einfach zu groß. Die Politik ist doch schuld, dass sie nichts dagegen tun ... denn beim Spielen verliert man letztlich immer. Hätte man dem Ganzen ein Ende gesetzt, wärst Du jetzt nicht hier. Und jetzt soll das alles deine Schuld sein? Schwachsinn!“ Es ist geradezu befreiend, sich gemeinsam mit dem ursprünglichen Ankläger über die wahren Verantwortlichen zu empören – und ganz nebenbei zu gestehen.

Thema 3: Alle tun es!

Menschen haben kein Problem damit, wie andere Menschen zu sein. Sogar dann, wenn sich diese anderen ganz offensichtlich falsch verhalten. Einem suspekten Stellenbewerber könnten Sie etwa sagen: „Jeder übertreibt doch in seinem Lebenslauf hier und da – anders kommt man heutzutage doch an gar nichts mehr!“ Oder Sie präsentieren Sie Zahlen, die belegen, wie häufig Angestellte am Arbeitsplatz etwas mitgehen lassen oder wie typisch es ist, bei seinen Spesen ungenau zu sein: „Was auch immer es ist, man wird es lösen können. Denn Sie sind weder der Erste noch der Letzte, der so etwas getan hat.“ Liefern Sie also Ihrem Gegenüber ein Thema, mit dem er sein Verhalten vor Ihnen, sich selbst und der Welt rechtfertigen kann, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Noch einmal zum Ausgangsbeispiel: die Pernod-Karaffe. Mache ich also den Kellner dafür verantwortlich, dass wir die Karaffe gestohlen haben? Nein – aber dafür, dass wir sie behalten haben. Hätte er etwa gesagt: „Jungs, jeder nimmt gerne mal ein Souvenir mit. Ich habe selbst drei davon zu Hause stehen. Aber ich habe gerade eine Großbestellung Pernod reinbekommen und brauche die Karaffe. Wenn mal eine übrig ist, bekommt ihr sie gerne!” Wir hätten sie ihm mit Handkuss gegeben! Doch nun habe ich die Karaffe noch immer, fast zwanzig Jahre nach unserem Diebstahl. Nie habe ich seitdem zu Hause Pernod getrunken, und als Vase ist sie auch nicht zu gebrauchen, da sie schlicht zu klein ist. Doch vor einiger Zeit habe ich ein Foto von ihr geschossen. Ein warnendes Beispiel für das Fehlen eines Themas.

Jack Nasher

Jack Nasher leitet das Nasher Verhandlungsinstitut und berät Unternehmen weltweit in entscheidenden Verhandlungen. Er ist Professor an der Munich Business School und lehrte vorher an der Oxford University, an der er auch studierte. Nasher ist zurzeit Fakultätsmitglied der Stanford University

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