Disruptive Entwicklungen hin, digitale Transformation her – in jedem von uns steckt noch immer ein kleiner Neandertaler, der tief im Stammhirn sitzt. Immer dann, wenn uns etwas triggert, also einen bestimmten Reiz auslöst, holt dieser Vorzeitmensch seine Keule heraus und schwingt sie kräftig gegen denjenigen, der ihn getriggert hat. Kein Wunder also, dass in Deutschlands Unternehmen regelmäßig die unsichtbare Keule kreist. Führungskräfte schwingen sie wahlweise in Form von Zynismus, Machtgehabe, Misstrauen, Neid, Rachespielchen oder Bedenkenträgerei, um nur einige Keulentypen zu nennen. Manche haben stets große Keulen dabei, andere tragen sie nur dezent am Gürtel oder haben sie in ihrer Handtasche oder im Aktenkoffer versteckt. Doch wehe, wenn sie hervorgezogen wird! Aus dem leidlichen Vorgesetzten wird ein teils offener, teils verdeckter Angreifer. Denn das verbale Keulenschwingen ist nichts anderes als eine aggressive Affekthandlung, oder mit anderen Worten: ein Impulskontrollverlust.
Auch Mitarbeitende haben ihre inneren Neandertaler, die die Beziehung zu Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen beeinträchtigen: Ihre Keulen kommen zum Einsatz, wenn Triggerpunkte wie beispielsweise Wettbewerbsorientierung, Angst, Freiheit oder Anerkennung berührt werden. Ein hoher Stresslevel lässt den Neandertaler in uns hervorbrechen. Das Problem: Aggressionen und unkontrollierte Affekte können das Betriebsklima so schwer belasten, dass ein produktives Arbeiten unmöglich wird. Zahlreiche Studien, darunter der alljährliche Gallup-Index, führen Unternehmen deutlich vor Augen: Mitarbeitende kommen wegen des Jobs, sie bleiben wegen des Unternehmens, und sie kündigen wegen ihres Vorgesetzten.
Wichtiger ist, dass der Mitarbeitende dem Chef sympathisch ist, nicht umgekehrt
Niemand hat einen größeren Einfluss auf das Befinden von Mitarbeitenden als der oder die direkte Vorgesetzte. Was hilft also, damit solche Steinzeit-Momente nicht dazu führen, dass die Arbeit leidet, die Fluktuation dafür blüht? Kurz gesagt: funktionierende Beziehungen zwischen Management und Mitarbeitenden sowie innerhalb der Teams. Genauer: die Kenntnis der Triggerpunkte, ein Bewusstsein für die Bedürfnisse des anderen und Impulskontrolle. Mag die Führungskraft ihre Mitarbeitenden oder wirft ihr der innere Neandertaler bei manchem Teammitglied regelmäßig Knüppel zwischen die Beine, so dass sie ihm am liebsten aus dem Weg gehen würde, dies aber in ihrer Rolle nicht kann? Damit die Keule des Neandertalers nicht ihr zerstörerisches Werk beginnt, ist es wichtig, dass der Mitarbeitende dem Chef sympathisch ist, nicht umgekehrt. Insbesondere bei Kritikgesprächen gilt für Führungskräfte, nicht dem Gegenüber rechts und links die Keule um die Ohren zu hauen, bis es schmerzverzerrt das Weite sucht, sondern sich zu fragen: Warum triggert er oder sie mich und was kann ich von ihm oder ihr lernen?
Leadership-Hack Nr. 1: Sympathie üben
Schreiben Sie zehn Punkte auf, die Sie an einer Person, die Sie unsympathisch finden, einnehmend und anziehend finden! Was gefällt Ihnen an ihr? Was verrät Ihr Ärger oder Ihre Verstimmung über die Person letztlich über Sie? Lenken Sie den Fokus in Zukunft stets zuerst auf die positiven Dinge, die Sie an der Person wahrgenommen haben. (Das funktioniert auch für Menschen, die Ihnen sympathisch sind.)
Nicht immer schlägt der Neandertaler mit voller Wucht zu. Manchmal packt er auch nur eine kleine Verbalkeule aus: „Das haben wir schon immer so gemacht!“, „Der Müller schon wieder…!“ oder „Muss das wieder sein?“ Es lässt sich nicht verhindern, dass er plötzlich auftaucht, zum Beispiel dann, wenn wir spontan sauer oder aggressiv werden, weil irgendjemand etwas sagt oder tut, das uns verletzt und damit den Neandertaler in uns wieder zum Leben erweckt. Doch wir können lernen, den Burschen im Zaum zu halten.
Leadership-Hack Nr. 2: Impulskontrolle üben
Wenn sich der Neandertaler in uns meldet, dann hilft Impulskontrolle: Atmen Sie ein paar Sekunden lang tief durch und treten Sie innerlich einen Schritt zurück, um das Geschehen aus der Distanz zu betrachten, bevor Sie reagieren. Fragen Sie sich, was gerade auf Sie einwirkt und wie Sie sinnvoll darauf reagieren können – und zwar bevor Sie etwas sagen. Wenn es Ihnen gelingt, den Unrat vorbeischwimmen zu lassen und gelassen zu bleiben, dann haben Sie es geschafft: Ihr Neandertaler bleibt in der Höhle.
Stress macht besonders anfällig für unberechenbare Überfälle unseres Neandertalers. Vor allem wenn wir unter hohem Arbeits- oder Zeitdruck stehen und befürchten, dass wir den Aufgaben nicht gewachsen sind, lassen wir uns leicht zu unbedachten Äußerungen oder Handlungen hinreißen. Schlechtes Arbeitsklima, Überstunden, ständige Erreichbarkeit, hoher Erfolgsdruck, zu wenige Pausen und weitere Faktoren begünstigen unsere Bereitschaft, die Keule rauszuholen. Einige Faktoren können wir bewusst ändern, andere sind ein Indiz für eine mangelhafte Führungs- und Unternehmenskultur. Hier hilft nur eine bewusste Auseinandersetzung mit Missständen, um einen Daueraufenthalt im Neandertal zu vermeiden. Wer besonders oft und intensiv unter Strom steht und den Eindruck hat, dass er mit dem Stress nicht fertig wird, leidet häufig unter starken inneren Antreibern. Das sind unbewusste Denkmuster, die unsere Realität prägen und auf nicht hinterfragten Glaubenssätzen wie „Am liebsten mache ich alles selbst“ oder „Ich darf keine Fehler machen“ basieren.
Leadership-Hack Nr. 3: Stressverstärker identifizieren
Erkennen Sie Ihre Stressverstärker und das dahinter verborgene psychologische Motiv. Machen Sie einen Test, um Ihre inneren Antreiber zu identifizieren! Im Internet gibt es dazu zahlreiche kostenlose und anonyme Möglichkeiten mit direkter Auswertung. Anschließend ist Ihre Kreativität gefragt: Wie könnte eine förderliche stressmindernde Einstellung zu Ihrem jeweiligen Antreiber aussehen? Wenn Sie bewusst an Ihrer Einstellung arbeiten, legen Sie Ihren inneren Neandertaler damit Stück für Stück an die Kette.
Der größte Anteil unseres Tuns erfolgt im Autopilot-Modus, also ohne darüber nachzudenken, weil es im Wesentlichen Routinen sind. Das entlastet unser Gehirn. Dieser Automatismus findet weitestgehend unbewusst statt. Um nun eine hinderliche Gewohnheit zu ändern, die uns in Sackgassen laufen und Keulen herausholen lässt, muss sie uns bewusst werden. Dann braucht es die Einsicht, dass sie schädlich ist und die Bereitschaft, sie zu verändern. Schließlich bedarf es noch der Geduld, es tatsächlich zu tun und der Disziplin, dabei zu bleiben, selbst wenn es zeitweise unvermeidbare Rückfälle gibt. Gute Vorsätze, Appelle oder Aufklärung allein helfen daher oft nicht, um eine schlechte Gewohnheit zu verändern.
Leadership-Hack Nr. 4: Routinen auf den Prüfstand
Durchleuchten Sie Ihren Führungsalltag: Welche Gewohnheiten haben Sie im Laufe der Jahre entwickelt? Welche davon sind nützlich und erleichtern Ihnen den Alltag? Welche sind eher schädlich? Auf welche wurden Sie unter Umständen schon von anderen hingewiesen? Welche hinderlichen Gewohnheiten können Sie ersetzen und wodurch? Was nehmen Sie sich vor? (Ziele gleich schriftlich notieren!)
Nicht selten hilft es übrigens schon, den Neandertaler einfach wegzulachen. Lacht man über ein Missgeschick, eine misslungene Problemlösung oder auch sich selbst herzhaft, ist der Steinzeitmensch mitsamt seiner Keule blitzartig verschwunden. Und zumindest in diesem Kontext wird er auch nicht wieder auftauchen, denn alle werden erneut lachen, wenn sie sich an die betreffende Situation nochmals erinnern. Probieren Sie es mal aus!