Jörg Arnold sieht man seine 58 Jahre kaum an. Klar: Früher waren die Haare mal dunkler und das Lachen warf weniger Falten. Aber abgesehen davon scheint er in Topform zu sein: Schlanker Oberkörper, schneller Denker, seinem Gegenüber zugewandt. Und wahrscheinlich spielt Sport dafür eine ganz entscheide Rolle. Arnold ist immer unterwegs: Beruflich reist er viel als Deutschland-Chef des Schweizer Versicherers Swiss Life. Privat als Marathonläufer. Und das eine ginge gar nicht ohne das andere, sagt Arnold. „Laufen hilft mir, meine Gedanken zu sortieren. Oft genug sind auch berufliche Fragen nach einem Lauf beantwortet.“
Mit diesem Mindset ist Arnold nicht allein. Jeder zehnte Manager eines Dax- oder MDax-Unternehmens ist bereits einen Marathon gelaufen – in der breiten Bevölkerung tut das nur jeder 600. Zu den bekannten CEOs gehören Harley-Davidson-Chef Jochen Zeitz, FC Bayern-Boss Herbert Hainer oder auch Lanxess-Chef Matthias Zachert. Sie alle sagen, dass Laufen ihnen beim Abschalten helfe.
Beide Disziplinen ähneln sich
Die Schnittmenge zwischen Läufern und Managern sei sogar ziemlich logisch, sagen Experten wie der sportpsychologische Experte Christian Zepp. Beide Disziplinen ähneln sich: Sowohl im Management als auch im Laufsport führen Disziplin und Motivation zum Erfolg. Jede Marathonläuferin und jeder Marathonläufer weiß, dass die langen und langsamen Trainingsläufe die wichtigsten sind, um die 42,195 Kilometer zu schaffen. Die tun zwar weh, aber sind schlicht notwendig, wenn man bei Wettbewerbsläufen durchhalten will. Ähnlich ist es im Job: Auch der Weg nach oben ist eine Langstrecke – und nicht alle schaffen es ins Ziel.
„Manager finden im Marathon die Befriedigung aller drei großen psychologischen Grundbedürfnisse Autonomie, Kompetenz und Soziale Eingebundenheit“, erklärt Zepp. „Beim Laufen kann ich entscheiden, wann, wo, mit wem und wie schnell ich laufe, außerdem sind Fortschritte sichtbar“. Darüber hinaus erhielten Manager Anerkennung für ihre sportliche Leistungen, was sich wiederum auf ihr Selbstvertrauen auswirken könne. Viele Menschen testen zudem neue Strukturen gerne in einem sicheren Setting, bevor sie sie in schwierigen Situationen anwenden. Bei Managern sei das eben häufig der Sport. Beispielsweise testen sie dort Routinen und Zeitpläne, bevor sie diese im Job auf sich selbst und andere anwenden. Wer sich selbst gut führen kann, kann möglicherweise auch andere führen. So die Theorie.
Arnold sieht außerdem einen ganz praktischen Aspekt: „Laufen ist extrem einfach. Man kann es von überall machen, ich brauche nur Schuhe und etwas Sportkleidung. Und dazu sieht man schnell Erfolge.“ Der Swiss Life-Manager läuft selbst knapp 3000 Kilometer im Jahr, immer an wechselnden Orten. Mal in Hannover, mal in München oder Zürich – den großen Swiss Life-Standorten – aber auch in Köln, wo die Familie lebt.
Mit dem Laufen angefangen hat er lange vor der großen Karriere – wie übrigens die meisten Manager. Die Faustregel lautet: Der Läufer wird zum Manager, nicht andersrum. Bei Arnold war das 1993, als er in New York lebte und dort spontan beim Marathon zuschaute. Der New York-Marathon ist einer der „World Marathon Majors“ – den sechs großen Stadtmarathons auf der Welt. Auch Berlin gehört dazu. An der Strecke jubeln hunderttausende Zuschauer den Läuferinnen und Läufern zu, die sich über fünf steile Brücken Richtung Manhattan quälen. „Für mich war das ganze Event total faszinierend“, sagt Arnold. Also steigerte der frühere Freizeit-Läufer sein Pensum, nahm bald an Firmenläufen durch den Central Park teil – und zurück in Deutschland begann Arnold die Vorbereitung auf seinen ersten Marathon. Den absolvierte er dann 1995 in Hamburg in einer Zeit von 3:28 Stunden.
Manager werden häufiger medizinisch behandelt
Seitdem lässt ihn der Sport nicht mehr los – nur unterbrochen von einer fünfjährigen Verletzungspause wegen Hüftproblemen. Damals tauschte er die Laufschuhe gegen den Golfschläger, was aber nur mit mäßigem Erfolg verbunden war. „Irgendwann habe ich Sehnenprobleme durch meine schlechte Technik bekommen.“
Also ging er zum Physiotherapeut – und erwischte offenbar den Richtigen. Der Fachmann bekam nicht nur seine Sehnenprobleme in den Griff, sondern auch die malade Hüfte. Beide unterhielten sich viel übers Laufen. „Er hat mich gefragt, ob ich Autodidakt sei. Ich dachte zuerst, das wäre ein Kompliment, weil ich mit so vielen Fachbegriffen um mich geschmissen habe. Dann habe ich aber realisiert, dass es genau das Gegenteil war.“
Arnold hatte das gemacht, was viele Anfänger und auch ambitionierte Manager falsch machen. Sie steigern zu schnell ihr wöchentliches Pensum und gehen zu häufig über ihre Leistungsgrenze hinaus. Das geht eine Zeit lang gut, aber irgendwann zeigt der Körper schmerzhafte Reaktionen. Sportmediziner behandeln daher proportional deutlich häufiger Manager als Hobbysportler oder erfahrene Topläufer. Die einen laufen zu selten, um sich zu verletzen. Die anderen haben entsprechende Muskulatur aufgebaut. Dazwischen steht aber in der Regel jahrelanges Training in verschiedener Intensität. Arnold weiß das mittlerweile: „Wer schnell sein will, muss langsam laufen.“
Der Physiotherapeut empfahl ihm einen professionellen Trainingsplan. Seitdem Arnold den durchzieht, sammelt er Rekorde. 2016 lief er mit 52 in Paris seine Bestzeit von 3:12 Stunden. Aktuell trainiert er für den Halbmarathon in Hannover am 26. März – meistens morgens vor der Arbeit und am liebsten in seinem Standardschuh: einem Brooks Adrenaline.
Hersteller ohne eigene Kampagnen
Die Zielgruppe „Manager“ spielt bei Laufschuh-Herstellern indes keine große Rolle, obwohl man das annehmen könnte: Ihre Gattung ist stark überrepräsentiert unter Läufern, hat eine hohe Zahlungsbereitschaft und bringt wiederkehrende Umsätze. Viele andere Branchen würden wohl eigene Kampagnen für sie schneidern. Doch im Laufsport ist das anders. Dort entscheidet vor allem der passende Schuh über den Kauf, die Marke ist den meisten egal. Viele Läufer wechseln sogar ganz bewusst die Marken, um die Muskulatur an verschiedene Dämpfungssysteme zu gewöhnen.
Der Markt ist daher aber umso umkämpfter: Brooks beispielsweise setzt auf vier Sparten – zwei Standardsysteme, dann ein profilierter Trailschuh für die Berge. Außerdem der Hyperion Tempo Elite 3, ein Wettkampfschuh mit Carbon-Platte. Mit der Kampagne „Find Your Run“ will die US-amerikanische Firma dabei jeder und jedem den passenden Schuh vermitteln. Aber spezielle Zielgruppen wie Manager picke sich Brooks nicht heraus, sagt Brooks-Marketingchefin Lara Hasagic.
Am ehesten machen das noch Marken wie das deutsche Unternehmen Truemotion, die für einen besonders gesundheitsbewussten Laufstil stehen wollen, oder auch US-Gigant Nike, der mit Marathonläufer Eliud Kipchoge den absoluten Ausnahme-Athleten ausrüstet. Bei einigen großen Events tragen mehr als 30 Prozent der ambitionierten Marathonläufer mit einer Zielzeit unter drei Stunden die Profi-Modelle „Nike Alphafly“ oder „Nike Vaporfly Next% 2“.
Jörg Arnold hält allerdings wenig von dieser Spitzentechnologie, die sich immer aufs Neue übertreffen will. Das letzte Mal, als er einen der gefeierten Schuh kaufte, entwickelte er kurz danach eine Entzündung der Fußwurzel. Jetzt sei die Zeit der Experimente vorbei, sagt er. Mit 58 habe er schließlich nicht mehr ewig Zeit für neue Bestzeiten.