Kennenlern-Meeting von Repräsentanten unterschiedlichster Unternehmen. Ein Mann, nennen wir ihn Müller, betritt den Raum. Körpersprachlich ist sofort klar, dass er der Gastgeber ist: Er muss keinen Mantel ablegen, besetzt einen zentralen Platz, indem er seine Akten dort ablegt, und begrüßt dann jede einzelne Person persönlich. Als ihm zum wiederholten Mal entschuldigend – „sorry, besser nicht, ich bin erkältet“ – der Handschlag verweigert wird, sagt er laut durch den Raum: „Diese Grippewelle! Mir kann die nichts anhaben. Ich kenne ein Geheimnis, wie ich mich schützen kann.“
Alle schauen auf ihn. Wird er das Geheimnis lüften? Eine Frau fragt offen. Müller zu ihr: „Ich gehe wöchentlich in die Sauna.“ Sie zuckt mit den Achseln: „Tue ich auch.“ Schnieft trotzdem. Darauf er: „Und meine Frau macht mir jeden Morgen einen frisch gepressten Orangensaft.“ Freundliches Lachen. Anerkennendes Nicken.
Als kurz darauf eine Mitarbeiterin den Kaffee bringt, kommentiert er die Störung: „Sie ist die wichtigste Frau hier im Unternehmen.“ Damit ist nun dem letzten Mann und vor allem den anwesenden Frauen klar, wer hier das Sagen hat – übrigens auch der stellvertretenden Geschäftsführerin desselben Unternehmens: Wem zwei Frauen täglich Saft und Kaffee servieren, können die anderen nicht mehr das Wasser reichen.
Müller hat in der harmlosen Smalltalk-Runde gleich vier von sieben Status-Karten gezogen: Bildung, Dynamik, Erfolg, Understatement. Gemerkt?
Statuskarten: Bildung, Dynamik und Understatement
Der Reihe nach: Die Ankündigung, ein Geheimnis zu wissen und es erst auf Nachfrage zu verraten, enthält den Subtext: Ich weiß was, was du nicht weißt. „Vertraulich“, „geheim“ sind Exklusivitäts-Stempel, Signaturen für Insider. Wissen ist Macht. Dazu gehört Bildung jeglicher Art. Fach- und Sondersprachen sind Herrschaftszeichen, genauso wie Abkürzungen oder Andeutungen. Etwas laut zu sagen, das die anderen nicht verstehen und – sei es aus Höflichkeit – zur Nachfrage zwingt, ist pures Machtgehabe. Statuskarte Bildung.
Dass Müller in die Sauna geht und eine Frau hat, kennzeichnet ihn als männlichen Mann, jemand, der weder Hitze noch kalte Duschen scheut, körperlich, gesundheitsbewusst, offen heterosexuell. Statuskarte Dynamik.
Ein Mann, der sich eine Frau leisten kann, die ihm jeden Morgen Saft presst, muss entsprechend viel verdienen. Die Statuskarte des Ernährers. Nicht umsonst steht in den Lebensläufen von Vorständen häufig die Floskel „verheiratet, drei Kinder“. Fürs Berufsleben eigentlich unwichtig, in Wirklichkeit wichtig. Denn es signalisiert Reichtum und Erfolg. Derselbe Satz im Lebenslauf einer Frau assoziiert übrigens meist etwas anderes: Rabenmutter. Doch das ist ein anderes Thema.
Dass die Assistentin die wichtigste Frau im Unternehmen sei, ist eine gern gezückte Karte alter Patriarchen. Sie signalisiert oberflächlich Müllers Bescheidenheit. Er kann anderen Menschen, sogar einer sonst missachteten Person wie der Kaffee servierenden Sekretärin den Vortritt lassen. Statuskarte Understatement. Zugleich sagt der Satz das Gegenteil: Denn wenn diese Frau wichtiger ist als alle anderen Frauen im Betrieb, muss sie Assistentin des allerwichtigsten Mannes sein, Müller nämlich. Touché!
Unterschwellige Machtinszenierung im Smalltalk
Die anderen drei Statuskarten – Fürsorge, Weltläufigkeit, Tradition – zog Müller dann lässig in der Vorstellungsrunde. Er zählte beispielhaft drei von „unzähligen“ Ehrenämtern in gemeinnützigen Organisationen (Präsident hier, Vorsitzender da, Vorstand dort) auf, ergoss sich in Berichten über internationale Beziehungen in Anglizismen und betonte, dass sein Unternehmen auf eine 125jährige Geschichte zurückblicken könne. Das ging in Sekunden. Niemand konnte derart souverän mitspielen.
Das moderne Spiel der Macht wird nie offen gelehrt und selten geübt. Weswegen auch kaum jemand die subtilen Macht-Botschaften solcher Gesprächssituationen durchschaut, geschweige denn zum Einsatz bringt. Sogar Müller selbst wird bestreiten, hier irgendwelches Posing betrieben zu haben. Es war doch nur ein lockeres Gespräch, wird er sagen. War es aber nicht. Es war die gekonnte Darbietung einer beeindruckenden Machtinszenierung, wie sie angeblich in unserer modernen partizipativen Arbeitswelt keine Rolle mehr spielt. Von wegen! Wer derlei zu sehen versteht, entdeckt die Karten der Macht in fast jeder Geschäftssituation.
Claudia Cornelsen ist Beraterin für Personality PR und Autorin des Buches „Zeichen der Macht“. Ihre handverlesenen Kunden kommen aus den Führungsetagen von Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft.