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SAP will Performance-Bewertung „Ich bin erstaunt, wie viel Diskussion es darum gibt“

SAP-Logo hinter einer Glasscheibe
Das neue Bewertungssystem, das SAP wohl einführen möchte, stößt vor allem beim Betriebsrat auf Kritik
© IMAGO / imagebroker / IMAGO
Der Dax-Konzern SAP strebt offenbar eine Kehrtwende bei der Bewertung seiner Mitarbeitenden an. Doch das System ist weder neu noch negativ, sagt Personalexperte Axel Hüttmann

Axel Hüttmann ist Partner bei der Managementberatung Undconsorten in München. Die Beratung arbeitet unter anderem für viele Dax-Konzerne und wurde von Capital mehrfach als Hidden Champion ausgezeichnet.

CAPITAL: Herr Hüttmann, der Dax-Konzern SAP will Mitarbeitende stärker nach Leistung bewerten und sogar Noten geben. Ist das zeitgemäß?
AXEL HÜTTMANN: Dieses Konzept kommt sicherlich aus dem vergangenen Jahrtausend, aber es ist auch heute noch absoluter Standard. SAP kehrt lediglich zu etwas zurück, was in den meisten Unternehmen in Deutschland ohnehin existiert. Deswegen bin ich erstaunt, wie viel Diskussion es jetzt darum gibt. Die Welle von Emotionen, die da losgebrochen ist, wirkt fast wie eine Art Glaubenskrieg.

Nur weil ein Leistungssystem Standard ist, muss es nicht sinnvoll sein.
Ich bin überzeugt, dass es nicht grundsätzlich schlecht ist. Denn es zwingt zu ehrlicher Kommunikation mit den Mitarbeitenden. Früher haben Manager lange im stillen Kämmerlein diskutiert, wer befördert wird. Die Kriterien, an denen Leistung bemessen wurde, waren oft unklar. Auch heute können sich Menschen in einem Gespräch noch missverstehen. Eine Bewertung ist hingegen eindeutig, auch wenn sie manchmal schmerzhaft ist. Sie eröffnet mir als Mitarbeiter auch die Chance, zu lernen und zu wachsen.

Welche standardisierten Leistungsbewertungssysteme sind heute üblich in deutschen Unternehmen?
SAP wendet jetzt ein individuelles System an, bei dem Einzelpersonen relativ holzschnittartig bewertet werden. Es gibt Systeme auf kollektiver Ebene, wo man als Team bestimmte Ziele erreichen muss. Dabei werden alle gleich bewertet, auch wenn einer vielleicht mehr zum Erfolg oder Misserfolg beigetragen hat als ein anderer. Andere Konzepte arbeiten mit strukturierten Fragenkatalogen, die zunächst von den Mitarbeitern und dann von den Führungskräften bearbeitet werden. Davon geht der Trend allerdings weg, weil es oft zu Pseudodiskussionen führt. Am Ende muss schließlich ein aggregierter Wert rauskommen.

Das System von SAP soll Mitarbeitende offenbar in drei Klassen einteilen: „Performer“, „Achiever“ und „Improver“. Welche anderen deutschen Unternehmen machen das ähnlich? 
Ich schätze, dass 70 Prozent der Dax-Unternehmen irgendeine Art der Leistungsbeurteilung haben, also Mitarbeitende nach Potenzial und Performance bewerten und in eine Matrix einsortieren. Die Skalen unterscheiden sich vielleicht, aber die Logik der einschlägigen Softwaresysteme, wie Success Factors und Workday, funktioniert ähnlich. Die verkauft SAP ja sogar selbst.

Bisher hat SAP bewusst auf standardisierte Leistungen verzichtet. Warum jetzt die Kehrtwende?
Das kann ich nicht beurteilen. Aber die Masse der Mitarbeitenden bei SAP macht einen ordentlichen Job, 90 Prozent werden ihre Erwartungen voraussichtlich erfüllen. Es geht darum, die Personen herauszufinden, die außergewöhnlich gute Leistungen erbringen und die, mit denen man nicht zufrieden ist. Siemens ist beispielsweise ein anderes großes deutsches Unternehmen, das mit sogenannten Growth Talks, also Wachstumsgesprächen, qualitativ bewertet. Bei Google, Apple und anderen im Silicon Valley ist das genauso. Eine quantifizierte Beurteilung gibt es dann aber trotzdem einmal im Jahr, damit man weiß, wer welche Gehaltserhöhung bekommt oder befördert werden kann. Und aus unternehmerischer Sicht ist das vollkommen nachvollziehbar.

Es geht bei der Performance-Bewertung also auch darum, besonders gute Mitarbeitende zu identifizieren?
Ja, das ist eine Seite der Beurteilung: Wen befördere ich? Wem gebe ich Projekte, die erfolgskritisch sind? Was bei SAP letztlich genau an die Bewertung geknüpft sein wird, also ob das Boni, Karrierechancen oder etwas anderes ist, weiß man noch nicht. Klar ist aber, dass das Unternehmen entwicklungsorientiert denkt und das muss für mich als Mitarbeitender nicht kritisch sein.

Wer am unteren Ende der Skala landet, soll Weiterbildungsangebote bekommen. Inwiefern dient das Modell aber auch dazu, die Leistungsschwachen auszusortieren?
Theoretisch macht das Modell das möglich, praktisch ist es aber nur bedingt zum Aussortieren geeignet. In Deutschland könnte ich auf dieser Basis niemanden entlassen, dafür müssen schon massive Verfehlungen für vorliegen. 

Der SAP-Betriebsrat hält es für sehr problematisch, eventuell vermeintliche „Minderleister“ zu stigmatisieren. Würden Sie die Einschätzung teilen?
Aus meiner Sicht geht es vor allem darum, wie man über die Bewertung redet und welche Konsequenzen daraus folgen. Dass jemand die Erwartungen nicht erfüllt, kann ja unterschiedlichste Gründe haben: im persönlichen Umfeld, im Team, vielleicht sind die Erwartungen gar nicht klar oder es ist wirklich ein Haltungsthema. Für den einzelnen Betroffenen kann das eine kritische Situation sein, aber häufig merkt der Rest der Belegschaft ohnehin, wer mitzieht und wer sich eher zugunsten anderer ausruht. Wenn dann die Richtigen identifiziert werden, finden das die, die sich anstrengen eher hilfreich als schädlich. 

Einige könnten sich unter Druck gesetzt fühlen, mehr Leistung zu bringen. Der Betriebsrat hat bereits davor gewarnt, das Arbeitsklima könne sich verschlechtern. 
Es wird mit Sicherheit Menschen geben, die die neue Bewertung als stressig empfinden. Aber es gibt so viele Unternehmen, die dieses System haben und bei denen das Betriebsklima gut ist. Das Entscheidende ist die kulturelle Wirkung von so einer Maßnahme und dass man regelmäßiges Feedback etabliert. Dann muss am Ende niemand von einer Bewertung überrascht sein.

Was bedeutet der Kurs der „Performance-Kultur“ für die Außenwirkung des Unternehmens, gerade mit Blick auf die Attraktivität für Fachkräfte und junge Bewerber?
Nach meinem Gefühl wird die Attraktivität von SAP als Arbeitgeber kaum darunter leiden. Wenn ich Leistung als negativ empfinde und davon gestresst bin, dann schreckt mich das vielleicht ab. Aber eigentlich möchte doch jeder erfolgreich im Job sein und in einem erfolgreichen Unternehmen arbeiten. Ich sehe in dem Kurs eher ein klares Zeichen an Bewerber: Wer Dienst nach Vorschrift machen und bloß keinen Stress haben möchte, ist für ein agiles Softwareunternehmen wahrscheinlich nicht der Richtige.

Die Bewertung von Personal bedeutet großen Aufwand für Unternehmen. Lohnt sich das wirtschaftlich?
Das lässt sich schwierig messen, weil mehrere Faktoren zu einer besseren Leistung beitragen können. Was wir aber definitiv merken ist, dass die Prozesse zu Diskussionen führen und das ist eigentlich das Wichtigste – und zwar unabhängig davon, ob gerade eine Bewertung ansteht. Wenn Führungskräfte oder Kollegen direkt ansprechen, wenn sie mit einer Leistung unzufrieden sind, habe ich als Mitarbeiter die Chance mich anzupassen und weiterzuentwickeln. Das rechnet sich auf jeden Fall.

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