Vor kurzem traf ich mich zu einer virtuellen Runde der digitalen Innovationseinheiten deutscher Großkonzerne wie Commerzbank, Deutsche Bahn und Bayer. Zweimal im Jahr laden wir im Cyber Innovation Hub der Bundeswehr zu diesem Schlagabtausch ein. Wir sprechen darüber, was uns bewegt und was uns herausfordert. Dieses Mal war es die seltsame neue Lage der Welt, die im letzten Frühjahr alle Planungen über den Haufen warf.
Innovationseinheiten sind die schnellen, wendigen Begleiter ihrer großen Mutterkonzerne. Sie schmieden Ideen, probieren aus, was funktioniert und was nicht, und entwickeln es dann schnell weiter.
Wir fragten uns: Wird das „neue Arbeiten“ bereits bei altbekannten Tools wie Zoom und Webex enden? Was passiert mit Innovationen, wenn Budgets eingefroren sind und kein Geld (und kein Mut) mehr da ist für das Ausprobieren und mögliche Scheitern? Vor allem: Was bedeutet Leadership in einer solchen Zeit?
Hybrides und dezentrales Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben. Man kann nicht den alten Status Quo einfrieren und nach der Krise auftauen.
Gute Führung muss spätestens jetzt vieles ganz neu denken: mentale Gesundheit, soziale Kontakte, die Struktur des Arbeitstags.
Wie entsteht Vertrauen, wenn man sich nur im Video sieht? Ein Team ist mehr als eine Gruppe von Menschen, die zusammenarbeiten. Ein Team ist eine Gruppe von Menschen, die sich vertrauen. Wie schaffen wir dieses Vertrauen, wenn man sich nicht mehr physisch gegenübersteht?
Wie entsteht Innovation, wenn der informelle Kontakt und das wilde Ideenspinnen fehlen, wenn es keine Kaffeeküche und kein Feierabendbier mehr gibt? Wie setzen wir dann noch Impulse??
Führung in der neuen Normalität muss empathisch sein. Sie muss die Angestellten in ihrer Ganzheit als Menschen begreifen, die auch ein Privatleben zu meistern haben, und nicht nur als Arbeitskraft, die den Tag über zur Verfügung steht. Dazu gehören auch Rituale wie das regelmäßige „Check in“, wo man sich öffnen und auch private Gedanken und Sorgen einbringen kann und darf.
Achtsamkeit und Resilienz waren vor einem Jahr noch etwas, worüber man viel las, aber sie nicht als Teil des Business begriff. Heute sind sie zentrale Elemente guter Führung.
In der Breite ist noch nicht angekommen, was gerade jetzt wirklich wichtig ist: Die neue Führung kontrolliert nicht, sondern sie dient. Sie hält den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Rücken frei und sorgt dafür, dass sie ihre Arbeit möglichst gut machen können – und dass sie wissen, was zu tun ist. Wenn das „Was“ der Ziel setzungen klar ist, dann kann man die Mitarbeiter selbst über das „Wie“ der Ziel erreichung entscheiden lassen. Im Homeoffice gilt das noch mehr als zuvor.
Im Cyber Innovation Hub der Bundeswehr setzen wir dabei auf das militärische Konzept der Auftragstaktik. In der Bundeswehr heißt das beispielsweise: Wenn eine Einheit den Befehl erhält, einen Hügel einzunehmen, dann ist das Ziel definiert. Wie genau die Einheit den Hügel einnimmt, ist im Wesentlichen ihr selbst überlassen. Anders ist das bei der US-amerikanisch geprägten Befehlstaktik, wo jeder einzelne Schritt geklärt werden muss: Die Einheit steht im Feld, dann kommt der Befehl: „Gehen Sie rechts herum, über den Weg, entlang des Bachlaufs, um dort in Stellung zu gehen. Warten Sie auf meinen Befehl zum Zerschlagen des Feindes.“ Das Wie wird also schon vorgegeben.
Das Prinzip der Auftragstaktik ist im Grunde ganz ähnlich wie agiles Arbeiten. Befehlstaktik ist genau das Gegenteil, nämlich: Micromanagement. Die Bundeswehr hat agiles Arbeiten daher längst in ihrer DNA. Und so auch bei uns im Cyber Innovation Hub, wo Soldaten mit Reservisten und Zivilisten an einem Strang ziehen, um unsere Streitkräfte digital innovativ zu machen.
Mit Anarchie nach der Losung „jeder macht was er will“ hat das nichts zu tun. Im Gegenteil: Steuerung ist sogar noch wichtiger, damit es nicht zum Chaos kommt. Wir arbeiten daher mit „Objectives & Key Results“, kurz: OKRs. Mit dieser Methode koordinieren sich die Teams selbst, um ihre Ziele zu erreichen- dezentral und siloübergreifend. So weiß jeder, was wir vorhaben, wo wir stehen, und was zu tun ist.
Bei unserer Innovationsrunde waren wir uns jedenfalls bei einem absolut einig: Präpandemische Führungsprinzipen mit Kontrolle, Micromanagement und Präsenzkultur brauchen wir auch postpandemisch nicht. Wenn man den Menschen vertraut und ihnen die richtigen Werkzeuge an die Hand gibt, dann leisten sie auch. Das ist Führung in Zeiten von Covid: eine Lichtung zu schaffen, an der sich Menschen begegnen. Sonst verstecken wir uns weiter in unseren Höhlen.
Sven Weizenegger leitet seit Mai 2020 den Cyber Innovation Hub der Bundeswehr und gehört zu den „Top 40 unter 40“ des Capital-Magazins. Der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr wurde 2017 als erste deutsche Innovationseinheit im behördlichen Umfeld gegründet, um als „schnelles Beiboot“ die digitale Transformation der Bundeswehr voranzutreiben.