Frithjof Bergmann, der Begründer von New Work und geistige Vater der Bewegung, war ein Macher. Das mag ungewöhnlich erscheinen bei jemandem, der das Etikett Philosophieprofessor trägt. Aber Bergmann war immer jemand, den es hinauszog ins Leben, in andere Länder und Kontinente, in den konstruktiven Streit. Bis zuletzt blieb er in regem Austausch mit Gleichgesinnten aus der ganzen Welt, um die Idee von New Work auszubauen, zu verfeinern und zu verbessern.
Er hat geschafft, was wenige andere schaffen: nicht nur seine Überzeugung zu finden und zu leben, sondern sie auch für andere Menschen aufzubereiten, sie gar zu inspirieren. Bei ihm haben sich Leben und Werk glaubwürdig die Hand gereicht. Er hat nach seiner Ankunft in den USA in den 1950er Jahren selbst eine Entwicklung hin zu seiner persönlichen „Arbeit, die man wirklich, wirklich will“ gemacht – und diesen Begriff zum Wesenskern von New Work geformt. Tätigkeiten für jeden Menschen zu finden, die den individuellen Bedürfnissen und Stärken entsprechen: Das war und ist bis heute das erklärte Hauptziel von New Work.
Er folgte Hegels Credo
Bergmann machte sich das Credo von Georg Wilhelm Friedrich Hegel zu eigen, über den er promoviert hatte: Philosophieren heißt, frei leben zu lernen. Frei leben lernen hieß für Bergmann immer auch, seinen Traum von New Work, von Neuer Arbeit, nicht aufzugeben. Dafür blieb Bergmann bis zuletzt ein Aktiver, ein Diskutant, jemand, der sich einmischte und andere hin zu New Work anleitete. Er erlebte in den letzten Jahren, wie sich New Work in der Wirtschaft ausbreitete – und nicht immer gefiel ihm, was er sah. Mehr als einmal kritisierte er öffentlich die „Lohnarbeit im Minirock“, wie er einige Versuche, eine Art „kosmetisches New Work“ einzuführen, nannte.
Denn das ist die Kehrseite der Popularisierung von New Work: Banalisierung und Verflachung. Das Label New Work klebt inzwischen auf vielen Initiativen und Ansätzen, die dem Geist von Bergmann wenig entsprechen oder sogar zuwiderlaufen. Man kann das im Sinne einer Vielfalt des Konzepts begrüßen, sollte sich dann aber auch der Ehrlichkeit halber von den Wurzeln distanzieren. Denn New Work im Sinne Bergmanns lebte schon immer in einem Spannungsverhältnis zur Wirtschaft an sich. Bergmann hielt beispielsweise das System der Lohnarbeit an sich für „krank“; es mache den Einzelnen psychisch kaputt und ökonomisch erpressbar. Darüber hinaus favorisierte er eine „Wirtschaft des minimalen Kaufens“, weg vom Wachstumsdogma hin zur provozierenden Frage: „Gibt es auch ein Zuviel an Gewinn?“
Man sieht: Es gibt gewaltige Reibungspunkte zwischen der „reinen“ Lehre von New Work und der modernen Wirtschaft. Dies bereitet den Boden für Missverständnisse und auch für die kritiklose Übernahme eines Begriffs, mit dem sich viele gar nicht richtig auseinandersetzen. So ist New Work momentan leider im Begriff, zur belanglosen Management-Mode zu mutieren: Homeoffice? Na klar, New Work! Flexible Arbeitszeit und Digitalisierung? Auch New Work! Aber so einfach ist es eben nicht. New Work erfordert von Menschen und Unternehmen ein tiefes Umdenken bezüglich des Selbstverständnisses von Wirtschaft und Arbeit – ein Umdenken, das nicht alle bereit sind zu leisten. Das ist selbstverständlich in Ordnung, nur sollte man dann im Einzelfall auch sagen: Das, was wir hier machen, ist kein New Work.
Sein Auftrag bleibt bestehen
Andererseits hat New Work auch viele positive Debatten angestoßen: Selbstbestimmung, sinnvolle Arbeit, kollektives Lernen, aber auch der Mindestlohn oder die Reformation von Arbeitszeit sind elementare New-Work-Themen. Bergmann ging es immer um die Selbstbestimmung des Einzelnen, um Autonomie, Teilhabe an der Gemeinschaft und ein gelingendes (Arbeits-)Leben. New Work trifft somit in einer ökologisch-nachhaltig orientierten Gesellschaft den Zeitgeist – mit ein Grund dafür, dass sich in den letzten Jahren vor allem im deutschsprachigen Raum eine schlagkräftige, vielfältige New-Work-Szene etabliert hat.
Haben wir nun bereits eine Wirtschaftsgesellschaft im Sinne von New Work? Sicher nicht. Gibt es vielversprechende Ansätze und inspirierende Beispiele? Selbstverständlich. New Work wird sich in der kommenden Zeit selbst den größten Gefallen tun, wenn die Bewegung konsequent ihren Weg in die Wirtschaft weitergeht, gut in den Mainstream kommuniziert, Erfolge vorweist und somit den New-Work-Gedanken immer tiefer in Wirtschaft und Gesellschaft hineinträgt.
Mit Frithjof Bergmann verliert die New-Work-Gemeinde nun ihren wichtigsten Denker und Vertreter – aber nicht den Auftrag. Jetzt liegt es an uns allen, New Work weiter in die Arbeitswelt zu tragen und sie für alle zu einem besseren Ort zu machen.
Markus Väthist Capital-Kolumnist und gilt als einer der führenden Köpfe der New-Work-Bewegung in Deutschland. Er ist Gründer und Geschäftsführer der auf New Work spezialisierten humanfy GmbH und Verfasser der New Work Charta, die sich für eine klare, humanistische und soziale Version von New Work einsetzt. Er hat mehrere Bücher zu New Work und Management verfasst und ist Lehrbeauftragter für New Work und Organisationsentwicklung an der Technischen Hochschule Nürnberg. Mit seinem Ansatz des Organisationscoachings begleiten er und sein Team Unternehmen in ihrer Transformation hin zu echtem New Work und einer neuen Arbeitswelt.