Capital: Frau Müller, Sie haben das Reverse Mentoring mit Yaël Meier als „positiven Störfaktor“ bezeichnet. Brauchten Sie den gerade nach dem Wechsel?
TINA MÜLLER: Ich habe eine klare Zielsetzung als CEO: Weleda verjüngen. Und da will ich mir – positiv gesprochen – mal so ein bisschen den Kopf zurechtrücken lassen, die Perspektive wechseln und noch besser verstehen, wie die junge Generation tickt. Es ist es ein gutes Gefühl, jemanden wie Yaël als Sparrings-Partner an der Seite zu haben.
Frau Meier, das Reverse Mentoring ist unbezahlt. Wie grenzen Sie das ab zu Ihrer Beratertätigkeit mit Ihrer Agentur?
YAËL MEIER: Die Zusammenarbeit ist hier sehr persönlich. Ich kann ja auch wahnsinnig viel von Tina lernen – zum Beispiel, wie man eine Marke aus Managersicht verjüngt. Bei Zeam habe ich ein großes Team, bin selbst gar nicht immer so in Projekten involviert. Da ist es sehr spannend, über einen langen Zeitraum wirklich mittendrin zu sein und das Thema transformative Verjüngung ganzheitlich zu betrachten.
Wie kamen Sie denn zusammen?
Meier: Ich habe mitbekommen, dass Tina zu Weleda in die Schweiz kommt. Das war ein perfektes Match.
Müller: Ich kannte Yaël natürlich, nur nicht persönlich. Sie hat mir geschrieben und wir haben uns getroffen, um zu sehen, ob die Chemie stimmt. Wir haben den Start dann noch ein bisschen geschoben, weil man als CEO in einem neuen Unternehmens natürlich 24/7 eingebunden ist. Und so ein Reverse Mentoring kann man nicht mal kurz zwischendurch reinquetschen. Dazu muss man auch bereit sein, auch mental.
Im März sind Sie dann gestartet.
Müller: Genau. Seitdem treffen wir uns regelmäßig, mindestens einmal im Quartal. Auch persönlich, denn es ist wichtig, sich zusammenzusetzen und Zeit miteinander zu verbringen. Das würde ich jedem raten, der es ernst meint. Mit einer Stunde Videocall ist das nicht getan.
Meier: Dazwischen sind wir natürlich auch in Kontakt oder sehen uns auf Veranstaltungen.
Frau Meier, für Sie ist das ja ein nicht unerheblicher Zeitaufwand. Sie sind 24 Jahre alt: Sehen Sie das auch ein bisschen als Teil Ihrer Ausbildung?
Meier: Ich habe nicht studiert und merke, dass mir zum Teil Wissen fehlt. Ich kann da von Tina unglaublich viel lernen – nicht nur, wie man Firmen verjüngt, auch persönlich. Ich merke jedes Mal, wie inspiriert ich aus diesen Treffen rausgehe.
Müller: Yaël ist für mich auch mehr als die „Gen-Z-Brille“, viel mehr als eine Repräsentantin ihrer Generation. Sie ist ja selbst eine Firmenchefin, eine Beauty-Konsumentin, hat ihre eigene, klare Meinung. Ich bin beeindruckt, wie viel Persönlichkeit und welches Wissen jemand schon in jungen Jahren mitbringen kann. Das ist bemerkenswert.
Ihre Zusammenarbeit ist auf jeden Fall auf ein großes Echo gestoßen. Sie haben darüber auch im Frühjahr beim OMR Festival in Hamburg gesprochen.
Meier: Das war ein ganz cooler Start. Vorher hatten wir das Reverse Mentoring auch auf LinkedIn gepostet und nicht damit gerechnet, dass es auf eine so große Resonanz stoßen wird. Das hat gezeigt, wie spannend und wichtig das Projekt ist.
Müller: Mich haben so viele Leute angerufen und gesagt: Toll, das sollten alle Manager deiner Generation machen und sich mehr öffnen. Genau das ist es ja: Wir brauchen mehr Ideenreichtum und mehr Mut. Und der Antrieb dazu kommt auch aus der neuen Generation. In manchen Unternehmen sind aber Manager in meinem Alter 55plus am Ruder, die nicht mehr viel riskieren wollen. Reverse Mentoring kann da ein Tool sein, um sich mehr zu öffnen.
„Vor einem halben Jahr wäre so etwas bei Weleda noch kein Thema gewesen“
Die Jugend war schon immer technikaffiner. Gerade aber scheint mit Künstlicher Intelligenz und Tiktok ein grundlegender Umbruch stattzufinden.
Müller: Als ich im Marketing angefangen habe, ging es um die Frage: Wie mache ich einen tollen 30-sekündigen TV-Spot? Tiktok ist eine neue Welt. Da muss man sich reindenken, offen sein und es nicht abtun im Sinne von: Was ist das für ein Phänomen, das geht auch wieder vorbei. Nein, das geht eben nicht vorbei. Und bei der Generation nach Yaël wird es noch mal etwas ganz Neues geben.
Kann man Tiktok denn im Gegensatz zu Instagram wirklich lernen?
Meier: Wenn ein Unternehmen junge Menschen erreichen will, muss es da präsent sein, wo sie sind. Viele Brands haben das bis jetzt verpasst. Das ist ein Umdenken und braucht ein Investment. Aber das kann sich schnell auszahlen – wie beim Tiktok-Coup von Weleda mit (dem französischen Kapitän Kylian) Mpappé bei der Fußball-Europameisterschaft.
Müller: Mpappé war auf dem Platz mit unserem Arnika-Massageöl behandelt worden. Die Geschäftsführerin von Weleda in England hat das gesehen – unser neues Team für digitales Marketing hat sofort reagiert und etwas daraus gemacht. Das hat super funktioniert. Vor einem halben Jahr wäre so etwas bei Weleda noch kein Thema gewesen.
Wie lang soll Ihr Reverse Mentoring denn laufen?
Müller: Darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht, wir sind noch mittendrin.
Meier: Es ist noch sehr früh. Es wird sich weiterentwickeln und wir werden sehen, ob wir mal intensiver oder auch mal weniger eng zusammenarbeiten.
Müller: Häufig sind Mentoring-Programme auf ein Jahr fokussiert. Aber wenn das gut läuft, dann trägt das manchmal ein Leben lang. Auf jeden Fall war bei Weleda das Feedback so gut, dass wir Reverse Mentoring jetzt auch intern einführen – über Generationen, aber auch über Hierarchien hinweg.