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Lesestoff Die digitale Demokratie

Für Donald Trump ist Twitter ein Herrschaftsinstrument. Dabei könnte das Digitale auch einen Beitrag zur Machtkontrolle leisten
Seine Tweets sind gefürchtet. Donald Trump macht Politik per Twitter
Seine Tweets sind gefürchtet. Donald Trump macht Politik per Twitter
© Getty Images

Hier ist meine Challenge: Es gibt 519.000 gewählte Offizielle in den USA. Unter Zuhilfenahme von Apps und Websites, können Sie 30 Namen von Personen nennen, die Sie repräsentieren? Die für Sie verantwortlich sind? Und damit meine ich nicht nur Kongressabgeordnete, sondern auch die lokalen Verantwortlichen für beispielsweise das Schulwesen oder die Schädlingsbekämpfung.

Gar nicht so einfach, oder? Mit unseren Smartphones können wir alle erdenklichen Infos über 13.000 Starbucks-Cafés abrufen und vor jedem ein Selfie machen. Aber gibt es auch Apps, die einem helfen, ein verantwortungsvoller Bürger zu sein? Da liegt noch ein gutes Stück Arbeit vor uns.

Die US-Präsidentschaftswahlen von 2016 haben vielen von uns das schwarze Loch namens Social Media aufgezeigt. Wurden wir dadurch klüger? Oder mächtiger? Nicht wirklich. Also habe ich mich auf die Suche nach unparteiischen Apps und Websites begeben, die uns helfen können, Politiker jeder Couleur unter die Lupe zu nehmen. Einige neue Anbieter wie das Internetarchiv über alles, was Donald Trump während des Wahlkampfs im Fernsehen gesagt hat, habe ich gefunden. Aber wenn es um Regierungen, besonders auf Bundesstaaten- oder lokaler Ebene geht, sieht es sehr mau aus.

Verfechter der Open-Data-Politik wie die Sunlight Foundation predigen seit mehr als einer Dekade das Potenzial des Internets, um Regierungen zu überwachen. Gruppen wie Code of America haben tausende Freiwillige angezogen. Das Ergebnis ist, dass Unmengen an Daten online abrufbar sind.

Das Tohuwabohu der Datenbanken

Aber viele Bürgerrechtsaktivisten sind dennoch frustriert. Zum einen, weil die vielen Daten immer noch nur ein von den Regierungen ausgewählter Bruchteil dessen sind, was existiert. Zum anderen, weil die Dokumente auf tausende Datenbanken verteilt sind.

Was wir brauchen sind Tools, um die Datenbanken zu verbinden und die Dokumente zu sortieren, so dass wir uns besser informieren können über die, die uns regieren. So könnten wir Anträge und Projekte verfolgen, Wahlkampfphrasen entlarven. Was muss ein verantwortungsvoller Bürger also tun? Hier sind die besten unparteiischen Tech-Tools, die helfen, den Bürger die Politiker auf Ehrlichkeit zu überprüfen.

Im ersten Schritt muss man herausfinden, welche gewählten Offiziellen überhaupt für einen Bürger verantwortlich sind. Leider gibt es dafür keine Basisquelle, die das leistet. Einen Einstieg bietet die freie Website myreps.datamade.us, die von einer privaten Datenfirma in Chicago entwickelt wurde. Nach Eingabe der eigenen Adresse werden alle Vertreter in Washington genannt, die meisten aus der Regierung des Bundesstaates und einige aus dem Rathaus – inklusive deren Kontaktinformationen.

Silicon-Valley-Riesen in die Pflicht nehmen

In dieser Datenbank sind ungefähr 50.000 der 519.000 offiziell gewählten Vertreter gelistet. Nicht überwältigend, aber immerhin mehr als in jeder anderen frei verfügbaren Datenbank. In meinem Fall lag die Datenbank nur in einem Fall falsch. Und ich musste nach weiteren 20 – meist lokalen – Vertretern suchen.

Es ist auch möglich herauszufinden, wer oder was die Politiker unterstützt. Dazu dienen Datenbanken wie opensecrets.org oder followthemoney.org. So fand ich heraus, dass der größte Geldgeber für meine Kongressabgeordnete Facebook war.

Um alle in den USA gewählten Offiziellen herauszufinden und zu überprüfen, bedürfte es eines großen Teams an Mitarbeitern. Das wäre ein gigantisches Projekt für eine NGO, aber nur ein vergleichsweise kleines für die Silicon-Valley-Riesen, die davon profitieren, unsere Hauptquelle zu sein. Google hat bereits Ressourcen für eine zivile Datenbanh geschaffen, steckt aber bei weitem nicht so viel Enthusiasmus in das Projekt wie in die Vorschläge, welches Restaurant Ihnen wohl zum Brunch gefallen dürfte.

Vorbild Trump-Archiv

Moderatoren wie Bill O’Reilly oder John Oliver können auf unendlich viel Bildmaterial zurückgreifen, um Politiker durch die Mangel zu drehen. Wir wäre es, wenn auch Sie auf ein Depot an TV-News zugreifen könnten?

Das ist die Idee hinter dem Trump-Archiv, das jedermann danach suchen lässt, was der Präsident jemals gesagt hat. Zumindest seit 2009.Das gleiche gibt es auch für Twitter. Die Macher hinter dem Trump-Archiv ist die Nonprofit-Organisation Internet Archive, die bekannt ist für ihre Wayback-Maschine, die Kopien von alten Webseiten ins Netz stellt. Vor ein paar Jahren begann die Organisation damit, TV-Nachrichten von 20networks zu archivieren und die Beiträge mit kurzen Beschreibungen zu versehen. Somit kann mit Schlagwörtern nach Beiträgen gesucht werden.

Das Trump-Archiv, wie der Name schon sagt, konzentriert sich auf den Präsidenten. Aktuell, Anfang Mai 2017, sind dort über 1100 Videos von TV-Auftritten Trumps hinterlegt, oft verknüpft mit den Ergebnissen von Organisationen, die die angeblichen Fakten gecheckt haben.

Inhalte von Regierungsservern sichern

Das Beispiel Trump-Archiv verdeutlicht aber auch, wie aufwändig solche Tools sind, denn es wird manuell von Menschen bestückt und verwaltet. Um das Modell auch auf hunderte oder gar tausende andere Politiker auszudehnen, bräuchten die Macher des Archivs die Unterstützung von Tech-Companies mit deren Möglichkeiten, computergesteuert die Videos zu analysieren – nicht nur auf Inhalte, sondern auch auf Sprache, Stimme und Mimik.

Ein weiterer Verdienst der Archiv-Macher ist es, Daten und Dokumente langfristig zu sichern. Denn wider der weitverbreiteten Meinung bleibt nicht alles, was einmal im Netz kursiert, der Ewigkeit erhalten. Das ist aber wichtig, um Politiker an ihre Wahlversprechen und Aussagen zu erinnern. Das Archiv arbeitet mit anderen Organisationen zusammen, um sicherzustellen, dass alle Dokumente, die derzeit auf Regierungsservern einsehbar sind, nicht im schwarzen Loch des Internets verschwinden.

Politikern im Netz folgen

Um die Apathie in Schach zu halten, müssen wir das Potenzial des Internets nutzen, um die relevanten Informationen der Regierungen zu präsentieren.

Die Seite govtrack.us beispielsweise verfolgt bestimmte Gesetzgeber in Washington, um deren Abstimmungsverhalten zu analysieren und versendet Alert-Meldungen bei wichtigen Entscheidungen. Votesmart.org verlinkt Themen mit den Aussagen von Politikern. Washingtonwatch.com beschäftigt sich mit den Auswirkungen von neuen Gesetzen auf die Bürger, rechnet die Kosten – oder Ersparnisse – für eine Durchschnittsfamilie aus.

Brigade.com versucht Politik in sozialen Netzwerken darzustellen. Ich selbst habe versucht so vielen meiner Abgeordneten auf Facebook und Twitter wie möglich zu folgen. Damit habe ich ein umfassendes Bild erhalten von deren Aktivitäten und Anliegen, die es mir leichter machen, ihnen Fragen zu stellen.

So einfach zu finden wie Katzenvideos

Direkt nach der Wahl hat Facebook an seine Nutzer in den USA eine Nachricht geschickt, mit dem Aufruf möglichst viele ihrer Repräsentanten zu identifizieren und bei Facebook zu finden. Facebook postet mittlerweile auch lokale Nachrichten in seinem News-Feed und arbeitet mit Faktencheckern wie Snopes zusammen.

Eine Sprecherin sagte, dass das Facebook-Team für ziviles Engagement weitere Pläne habe. Ich wünsche mir von Facebook einen Button, der es mir ermöglicht, alles präsentiert zu bekommen, was meine Man könnte ihn „Civic Feed“ nennen. Wenn wir die Chance wahrnehmen wollen an der digitalen Demokratie mitzuwirken, dann müssen wir die Anwendungen so einfach machen wie das Finden von Katzenvideos.

Copyright The Wall Street Journal 2017

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