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Lars Vollmer Bahn-Boni: Alle Jahre wieder (die selbe Aufregung)

Lars Vollmer
Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Bestsellerautor.
© André Bakker
Die Bahn performt unterirdisch. Warum sollten ihre Manager also Boni einstreichen, fragen manche. Ganz einfach, meint Lars Vollmer: weil es ihnen vertraglich zusteht

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, über diesen Mythos zu schreiben, dass Menschen zu Unternehmen kommen, aber Vorgesetzte verlassen. Nur ist mir nun dummerweise ein anderes Ritual in die Quere gekommen, zu dem ich einfach etwas schreiben musste.

Es geht um die allsaisonale Empörung, sobald die Höhe der Boni bekannt werden, die Top-Manager großer Konzerne für ihre Leistung im abgelaufenen Jahr einstreichen. 

Über dieses Ritual habe ich mich vor mehr als fünf Jahren an dieser Stelle bereits schon einmal ausgelassen. Verändert hat sich seither wenig. Also nehme ich es noch einmal aufs Korn – steter Tropfen höhlt ja bekanntlich den Stein.

Bleibende Blindheit

Diesmal ist es der Vorstand der Deutschen Bahn, dem in der öffentlichen Debatte ein Mangel an Stil und Anstand vorgeworfen wird, weil er die zur Nachzahlung anstehenden Millionenboni anzunehmen beabsichtigt – wo doch sowohl die Pünktlichkeitsquote als auch die Kundenzufriedenheit unterirdisch sind. Doch worauf fußt diese Empörung? Nur darauf, dass es für einen Richard Lutz moralisch verwerflich sei, eine Zahlung anzunehmen, die ihm vertragsrechtlich zusteht?

Aus meiner Sicht verdienen er und sein Vorstandskollegium im Gegenteil Respekt: Sie beweisen alle zusammen, dass sie in der Lage sind, intelligent mit dem System umzugehen, in dem sie sich bewegen. Was soll daran empörend sein?

Nun gut, Sie könnten einwenden, dass die Kriterien „Mitarbeiterzufriedenheit“ und „Anzahl weiblicher Führungskräfte“, die dem Vernehmen nach die mangelnde Zielerreichung bei der Pünktlichkeit weit überkompensiert haben sollen, lediglich interne Referenzen seien, also überhaupt nicht wertschöpfungsrelevant. Da würde ich Ihnen sogar zustimmen – aber empören würde ich mich nicht. 

Was aber in der Tat aus meiner Sicht empörend ist, ist die allgemeine Blindheit gegenüber den zwei zentralen Denkfehlern, die in dieser Debatte und auch in solchen Systemen ganz grundsätzlich stecken.

Der erste der beiden Denkfehler lautet: Leistung ist individuell.

Fehler #1: Leistung ist individuell

Leistung in Unternehmen ist nun mal nie individuell. Das gilt für alle Firmen, unabhängig davon, ob sie 20, 200 oder 200.000 Mitarbeiter haben. Leistung ist stets emergent, also das Resultat eines hochkomplexen Zusammenspiels unterschiedlicher Elemente. Oder anders herum: Die Leistung eines Unternehmens lässt sich nicht aus den Leistungsbeiträgen der Individuen errechnen.

Selbstverständlich gibt es individuelle Eigenschaften wie Fleiß, Engagement, Kompetenz oder Ideenreichtum. Aber es ist nicht möglich, eine direkte Linie zu ziehen zwischen diesem individuellen Verhalten und dem, wofür Kunden bereit sind, Geld auszugeben. Nur danach bemisst sich die Leistung eines Unternehmens. 

Das heißt, dass das, was typischerweise in Performance-Management-Systemen belohnt oder bestraft wird, gar nicht im eindeutigen Zusammenhang mit der „Performance“ des Unternehmens steht. Schon darüber lohnt es sich nachzudenken. 

Darüber hinaus ist dieser Punkt eng mit dem zweiten Denkfehler verknüpft.

Denkfehler #2: Boni verbessern die Leistung

Die allgemeine Annahme ist, dass Boni und andere Anreize die Leistung des Unternehmens verbessern.

Diese Hypothese ist jedoch durch rein gar nichts zu belegen. Eher im Gegenteil, denn aus der Motivationsforschung liegen empirisch wie theoretisch Erkenntnisse noch und nöcher vor, die deutlich machen, dass Boni höchstens dazu motivieren, Boni zu bekommen, zu sonst nichts.

Der Wissenschaftler, der diesen Zusammenhang als Erster formuliert hat, hieß Alfie Kohn, und seine Aussage ist inzwischen vielfach bestätigt.

Boni setzen den Anreiz, Wege im System zu finden, an diesen Topf heranzukommen – selbst wenn es auf Kosten der Kunden, des Gewinns, der Ethik oder gar Gesetzestreue geht. Deshalb kann es für ein Unternehmen dank Bonussystem auch ziemlich dumm laufen.

Doch der Fehler liegt nicht bei den Menschen, der Fehler liegt in der Grundidee des Anreizsystems, das regelrecht organisationelle Dummheit provoziert.

Deshalb finde ich es unzulässig, Menschen einen Strick daraus zu drehen, dass sie sich ihre Wege im System suchen. Sie tun das weder aus bösem Willen noch in betrügerischer Absicht. Sie richten sich einfach nach dem, was das System von ihnen fordert. Das tut jeder normale Bürger auch: Wenn der die Möglichkeit hat, durch die Abschreibung einer Ausgabe seine Steuerlast ein wenig zu reduzieren, wird er das tun. 

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass SAP laut Pressemitteilung zu einer solchen Art Anreizsystem zurückkehren will.

Quo vadis, SAP?

Ich beobachte diesen Vorgang ja nur von außen. Ich kann und will daher nicht ausschließen, dass SAP damit etwas anderes als die Leistungsförderung bezweckt. Möglicherweise sollen Gründe zur Entlassung gefunden werden. Möglicherweise dient das Ganze aber auch als Marketingmaßnahme gegenüber den Aktionären, um zu zeigen: »Ja, wir sind dran, das Unternehmen noch wirtschaftlicher zu machen.« 

Ich weiß also nicht, was bei SAP wirklich dahinter steckt. Ich erlebe nur häufig, dass Unternehmen die unterschiedlichen Funktionen der Systeme, die sie einführen, in Kauf nehmen, ohne sie genau zu kennen oder explizit benennen zu können. 

Das halte ich für hochproblematisch, denn die Auswirkungen können fatal sein. Wie fatal, möchte ich Ihnen an einem hypothetischen Beispiel aus aktuellem Kontext verdeutlichen. Dieser Kontext ist ebenso hochkomplex wie die Wertschöpfung im Unternehmen.

Quo vadis, Weihnachten?

Stellen Sie sich vor, eine Familie kommt auf die Idee, zur Förderung der obligatorischen Familien-Liebe ein internes Zuneigungs-Performance-System einzuführen. Anhand von festgelegten Kriterien wird kurz vor den Weihnachtstagen das Maß der Liebe zwischen den Akteuren Vater und Tochter, Oma und Enkel, Onkel und Neffen bewertet – in einem absolut objektiven und transparenten Verfahren. 

Nach der Auswertung liegen für diejenigen, die gut performt haben, mehr Geschenke unter dem Baum als für diejenigen, deren Leistung hinter den Erwartungen zurückbleibt. Die Leistung der einen wird belohnt, während bei den anderen ein Anreiz gesetzt wird, sich im nächsten Jahr in Sachen Zuneigung mehr anzustrengen. Auf diese Weise werden systematisch die Weichen für einem harmonisches Weihnachtsfest gestellt, das von Jahr zu Jahr liebevoller wird. 

Sie entscheiden bitte selbst, ob dies eher nach dem Anfang eines herzerwärmenden Liebesromans oder eines blutigen Familiendramas klingt.

Ihnen wünsche ich jedenfalls frohe Festtage und einen guten Rutsch, ob mit oder ohne Anreizsystem.

PS: Den Mythos vom verlassenen Vorgesetzten knöpfe ich mir dann übrigens in der ersten Kolumne im nächsten Jahr vor – versprochen!

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