Vom Café um die Ecke ins Fitnesstudio und abends ins Theater. Oder doch lieber die neue Bar ausprobieren? Großstädtern stehen täglich alle Möglichkeiten offen. Büro und Hobbys sind oft mit einer S-Bahn-Taktung von wenigen Minuten erreicht. Doch umsonst sind diese Vorteile nicht. In den sieben größten deutschen Städten stiegen die ohnehin hohen Mieten 2023 um durchschnittlich fast sieben Prozent, meldet das Institut der deutschen Wirtschaft. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit 60 Quadratmetern in der Kölner Südstadt kostet rund 880 Euro kalt im Monat – günstigere ältere Mietverträge schon einberechnet. Bei neu geschlossenen Mietverträgen wird oft deutlich mehr fällig.
Insbesondere Familien, die mehr Platz brauchen, können das kaum zu stemmen. Viele weichen daher ins direkte Umland aus, wo die Mietet deshalb ebenfalls anziehen – zuletzt um rund 5,5 Prozent. Wer also wirklich günstig wohnen möchte, muss „richtig aufs Land“. Genau das tun seit einigen Jahren offenbar immer mehr Menschen.
Insbesondere viele 30- bis 50-Jährige haben genug vom urbanen Leben. Laut einer Studie der Sparda Bank verloren Städte Im Jahr 2021durchschnittlich 11 Menschen je 1000 Einwohner dieser Altersgruppe. Laut Bundesstiftung Baukultur ziehen dabei immer mehr Menschen gleich in die tiefe Provinz. „Auch jenseits der Speckgürtel gewinnen zahlreiche kleinere Ortschaften Bewohnende hinzu“, heißt es in der „Neu im Dorf“-Studie der Stiftung. Capital hat sich einige Vor- und Nachteile beider Welten angesehen.
Landleben: Mehr Wohnraum, Natur und Zusammenhalt
Auf dem Land sind laut Sparda-Studie erschwingliche Immobilien im Extremfall fast viermal so groß wie im Bundesdurchschnitt: das gilt für Deutschlands günstigsten Landkreis – den Kyffhäuserkreis in Thüringen. Plötzlich gibt es also Platz für den Gemüseanbau im Hochbeet, ein Baumhaus im Garten und den lang ersehnten Familienhund. Zwei Drittel der Menschen, die aufs Land ziehen, vergrößern sich laut Bundesstiftung Baukultur flächenmäßig. Auch die sonstigen Lebenshaltungskosten auf dem Land sind niedriger. Der Kaffee kostet in Hamburg mehr als im Dorfcafé in Schleswig-Holstein. Zumindest wenn es – wie es sich für einen Städter gehört – der Flat White mit Haferdrink sein muss.
Junge Eltern sorgen sich bisweilen, ob Verkehr und Stadttrubel das beste Umfeld für ihre Kinder sind. Auch das kulturelle Abendangebot lässt sich kaum nutzen, wenn der Nachwuchs um sechs Uhr in der Früh wach ist. Für Rückkehrende, die nach dem Studium zurück in ihre ländliche Heimat ziehen, ist zudem das familiäre Netzwerk wichtig. Schließlich sind Großeltern in Sachen Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine große Stütze.
Wer in der Stadt wohnt, muss sich oft mit einem Park oder einer Wiese am Fluss zufriedengeben. Sobald die Betonwüste die Temperaturen zusätzlich in die Höhe treibt, sind solche Oasen dann restlos überfüllt. Wer auf dem Land wohnt, ist im Idealfall umgeben von Wäldern, Wiesen und Seen. Das ist nachgewiesen gut für die mentale Gesundheit. Studien zufolge fühlen sich Menschen, die regelmäßig Zeit in der Natur verbringen, öfter gesund und zufrieden und sind weniger gestresst.
Darüber hinaus besticht das Landleben mit einem stärkeren sozialen Zusammenhalt. „Nahezu alle unsere Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen, die es in eines unserer besuchten Dörfer oder Kleinstädte zog, wollten raus aus der Anonymität der Stadt“, schreiben die Autoren der Neu-im-Dorf-Studie. Dorfbewohnende grüßen sich, gratulieren sich gegenseitig zu Geburtstagen und Hochzeiten. Wer Hilfe braucht, bekommt sie. Egal ob es um einen tropfenden Wasserhahn oder einen Liter Milch am Sonntag geht.
Nachteile: Strukturschwäche und begrenzter Jobmarkt
Zu den Kehrseiten des Landlebens gehört die eingeschränkte Infrastruktur. Die fehlende Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel ist ein massives Problem. Ohne Auto geht auf dem Land nichts. Gibt es überhaupt einen Bahnhof, dann wird dieser oft nur unregelmäßig angefahren. Im thüringischen Kyffhäuserkreis sind zwar die Immobilienpreise günstig, dafür braucht der Zug nach Leipzig – der nächstgelegenen Großstadt mit mehr als 500.000 Einwohnen – beinahe drei Stunden. Und das mit zwei Umstiegen und Abfahrten alle zwei Stunden.
Selbst im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen erreichen Landbewohnende das nächstgelegene Lebensmittelgeschäft nur mit dem Auto, und das selten unter 15 Minuten. Zudem sind viele der kleinen inhabergeführten Geschäfte, Bäckereien oder Kneipen verschwunden. Dann gibt es auch weniger des viel gepriesenen Gemeinschaftslebens.
Auch muss man sich auf dem Land auf weniger Bildungseinrichtungen einstellen. Die Auswahl an Schulen ist auf dem Land deutlich eingeschränkt. Nicht überall gibt es Schulbusse – und wo sie fahren, müssen Kinder ziemlich früh aufstehen, sofern nicht die Eltern sie bringen und abholen. Und: Beinahe alle Hochschulen liegen in städtischen Gebieten.
Zu guter Letzt ist auch das Arbeitsplatzangebot auf dem Land begrenzt. Nicht jeder kann den Job einfach mitnehmen und fortan im Homeoffice arbeiten. Insbesondere Jobs in der Kulturbranche oder im Dienstleistungssektor gibt es auf dem Land kaum. Und selbst, wer zuhause arbeiten könnte, braucht dafür eine schnelle Internetverbindung, die es noch längst nicht überall gibt. Städte dagegen bieten eine breite Palette an Arbeitsplätzen und oft höhere Gehälter. Das Bruttojahresgehalt im Median in ganz Sachsen-Anhalt liegt bei nur 36.500 Euro, in der Landeshauptstadt Magdeburg hingegen bei 43.000 Euro.
Das Beste beider Welten
Am liebsten hätten viele wohl das Beste beider Welten: Den größten Zuzug bei den 30- bis unter 50-Jährigen verzeichnet daher der Landkreis Dahme-Spreewald in Brandenburg südlich von Berlin. Hier gibt es Seen, Naturparks sowie einige Grund- und Oberschulen. Und in nur 1,5 Stunden sind die Stadtflüchtigen mit den Öffis wieder in Berlin-Mitte.