Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen
Vielleicht gehören auch Sie zu jenen Sparern, welche die inflationäre Verwendung des Wortes „Zinswende“ mit einer gewissen Erleichterung zur Kenntnis nehmen. Das Wort dominiert zugegebenermaßen auch den großen Jahresausblick unserer aktuellen Ausgabe von „Capital“. Denn legt das Wort nicht nahe, dass die traditionell konservativ angelegten Mittel der meisten deutschen Anleger perspektivisch wieder etwas höher verzinst werden oder zumindest Strafzinsen vom Tisch sind?
Dummerweise ist das aus Sicht eines Sparers Wunschdenken. Was steigt, sind seit Wochen die Zinsen für Baugeld (wenngleich auf historisch sehr niedrigem Niveau). Um rund 0,3 Prozentpunkte verteuerte sich Baugeld mit zehnjähriger Zinsfestschreibung seit Oktober.
Was steigt, ist die Inflation: Sie ist mit 0,8 Prozent zwar noch moderat, aber doch auf einem Zweijahreshoch. Und sie wird in den kommenden Wochen mit hoher Wahrscheinlichkeit steigen und bereits im Januar an der Zwei-Prozent-Marke kratzen. Der Grund sind Basiseffekte aufgrund der im Vergleich zum Vorjahr gestiegenen Energiepreise: Binnen eines Jahres hat sich der Ölpreis annähernd verdoppelt.
Was jedoch nicht steigt, sind die Guthabenzinsen. Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Geklettert sind in den vergangenen Wochen vor allem die langfristigen Kapitalmarktzinsen in den USA und, in etwas schwächerem Umfang, auch in der Eurozone und Deutschland. Damit hat sich zumindest meine persönliche Prognose für 2016 (hier dokumentiert) auf der Zielgeraden des Jahres teilweise erfüllt, nachdem ich im Jahr zuvor komplett danebengelegen habe.
Der „Schmerz“ vieler Sparer wird größer
Die kurzfristigen Zinsen der Eurozone sind jedoch nicht etwa gestiegen, sondern noch ein Stückchen tiefer gefallen seit der US-Wahl Anfang November: der Eonia-Geldmarktzins von minus 0,34 auf minus 0,36 Prozent. Die Renditen zweijähriger Bundesanleihen von minus 0,6 auf minus 0,8 Prozent, die von Bundesanleihen mit drei Monaten Restlaufzeit von minus 0,75 auf minus 0,90 Prozent. Gelder sind kurzfristig weiter „heiße Kartoffeln“ aus Sicht der Banken, sofern sie diese nicht langfristig als Kredite ausreichen oder anlegen können.
Und: Es gibt wenige Anhaltspunkte dafür, dass es bei den Einlagenzinsen eine nachhaltige Wende nach oben gibt in den kommenden Monaten. Vielmehr wird sich der „Schmerz“ vieler Sparer vergrößern, weil den Nullzinsen auf Sparguthaben plötzlich deutlich höhere Inflationsraten gegenüberstehen, mithin also die Realzinsen noch tiefer in den roten Bereich rutschen. Das ist historisch nicht ungewöhnlich, aber dennoch keine schöne Perspektive.
Treten wir einige Schritte zurück, illustriert diese Lage auch ein Risiko für die Kapitalmärkte im Jahr 2017: den immer stärkeren US-Dollar. Denn den großen Kapitalsammelstellen der Welt geht es nicht anders als einem deutschen Sparer mit ein paar tausend Euro: Sie sehen, dass es derzeit in den USA für zweijährige US-Anleihen 1,2 Prozent Rendite gibt statt minus 0,8 Prozent für Bundesanleihen gleicher Laufzeit. Gleichzeitig wertet aber auch der US-Dollar immer weiter auf. Warum also nicht viel höher verzinste US-Anleihen kaufen und noch zusätzlich die Währungsgewinne mitnehmen, zumal kurzlaufende Staatsanleihen kaum zinssensitiv sind?
Starker Dollar Gefahr für Schwellenländer
Das Spiel kann so über viele Monate laufen und kennt vordergründig viele Gewinner: je mehr Anleger ihr Geld in US-Anleihen stecken, desto stärker der US-Dollar, was für nette Währungsgewinne sorgt. Je stärker der US-Dollar, desto höher die Inflation der Eurozone (über den Kanal der teureren Importe und gestärkten Exporte), worüber sich vor allem die Europäische Zentralbank freut, die seit Jahren eine höhere Inflationsrate anstrebt.
Über eine starke Nachfrage nach US-Anleihen wiederum freut sich auch der angehende US-Präsident, der - die legislative Unterstützung vorausgesetzt - die Defizite und Verschuldung für seine wirtschaftspolitischen Programme ausweiten kann, ohne dafür mit höheren Zinsen bestraft zu werden.
Nur ist im Leben nichts umsonst. Ein immer stärkerer US-Dollar belastet all jene Länder, die hohe Schulden in Dollar aufgenommen haben - genauer: ihre Einwohner. Tatsächlich sind die Staatsfinanzen vieler Schwellenländer in einem besseren Zustand als vor der Asienkrise in den 90er-Jahren. Das Problem ist jedoch, dass die Verschuldung der Privathaushalte in weit stärkerem Maße gestiegen als die der Staaten gesunken ist.
Laut einer Warnung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich aus dem Sommer ist die Gesamtverschuldung der Schwellenländer heute um rund 50 Prozentpunkte höher als zum Höhepunkt der Asienkrise 1997. Besonders gefährdet sind demnach Länder wie Brasilien, die Türkei und – China. Dass die Abwertung des chinesischen Yuan noch im August 2015 Schockwellen über die Finanzmärkte ausgesendet hat, ist heute fast vergessen.
Turbulenzen in Schwellenländern könnten übergreifen
Dabei haben sich die damaligen Sorgen vor einer Kreditblase, Kapitalverkehrskontrollen oder einer notwendigen starken Abwertung nicht in Luft aufgelöst, sondern faktisch noch verstärkt - ihnen schenkt nur kaum jemand Beachtung. Viele Strategen mutmaßen, hinter den Kursverlusten globaler Anleihen in den vergangenen Wochen stünden bereits die Zentralbanken von Schwellenländern, die sich über die Liquidation der ausländischen Anleihen gegen eine zu starke Abwertung ihrer Währungen stemmen.
Nun reflektieren die Anleihenrenditen, Wechselkurse und Aktienbewertungen vieler Schwellenländer bereits einen starken Pessimismus – das macht sie langfristig gesehen sogar recht attraktiv. Müsste ich mich aber auf Basis der zahlreichen Kapitalmarktausblicke der vergangenen Wochen auf ein aus meiner Sicht für 2017 stark unterschätztes Risiko festlegen, wäre es die Prognose, dass nicht Wahlen, der neue US-Präsident oder geopolitische Ereignisse, sondern die Turbulenzen eines oder mehrerer Schwellenländer die wirtschaftliche Stimmung und auch die Aktienmärkte in Europa und den USA in heftige Schwingungen versetzen werden.
Nun würden selbst diese Turbulenzen nicht rechtfertigen, langfristige Anlageentscheidungen über den Haufen zu werfen. Es lohnt sich aber, die Entwicklungen in den Schwellenländern genau zu beobachten, um nicht im Fall der Fälle in Panik zu verfallen.
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