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Kolumne Misstrauen Sie der Konsenswette 2015!

Der schwache Euro ist für die meisten Strategen ausgemachte Sache für 2015 – genau deshalb sind Zweifel angebracht. Von Christian Kirchner
Christian Kirchner
Christian Kirchner
© Gene Glover

Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen

Für das kurz vor Weihnachten erscheinende Capital-Heft ist die Redaktion derzeit auf vielen Jahresausblicken unterwegs, wälzt Präsentationen, führt Interviews. So viel sei schon jetzt verraten: Die Experten sind sich über die Perspektiven der Zinsen und der Aktienmärkte derzeit bemerkenswert uneins – vermutlich auch, weil zum ersten Mal seit rund 20 Jahren die großen Notenbanken der Welt ganz unterschiedliche Strategien fahren, um der wiederum recht unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung der USA, der Eurozone, Japans und Großbritanniens Rechnung zu tragen.

Und doch gibt es einen roten Faden in den allermeisten Ausblicken: Es ist die Prognose, dass der US-Dollar im kommenden Jahr gegenüber dem Euro weiter deutlich aufwerten wird beziehungsweise der Euro deutlich einbüßen, je nach dem, welche Perspektive man bevorzugt. Aktuell notiert der Euro bei 1,25 US-Dollar. Im Schnitt erwarten Analysten bis Ende 2015 einen Kurs von 1,20 US-Dollar, viele deutsche Banken und Fondsgesellschaften sehen den Euro nochmals deutlich darunter. Vereinzelt macht sogar das Wort von der „Parität“ die Runde. „Mittelfristig“ sei sie denkbar, erklärte die Deutsche Bank erst am Mittwoch, Goldman Sachs sagt sie für 2017 voraus.

Gründe für die Prognose

Für diese Prognose gibt es einige triftige Gründe. Die vier wichtigsten:

Erstens: Die US-Wirtschaft dürfte im kommenden Jahr deutlich schneller wachsen als die der Eurozone. Allenfalls ein bis zwei Prozent Wachstum in der Eurozone – vielleicht sogar etwas weniger – steht ein Plus von drei Prozent oder mehr in den USA gegenüber, glaubt man den Ökonomen. Solche realwirtschaftlichen Entwicklungen sorgen ganz automatisch für kräftige Kapitalzuflüsse in den Dollarraum.
Zweitens: Für ein Engagement in US-Anleihen gibt es deutlich mehr Zinsen als für europäische Papiere. Aktuell erhalten Anleger für zehnjährige US-Staatsanleihen mit 2,2 Prozent rund eineinhalb Prozent mehr Rendite als für zehnjährige Bundespapiere und selbst rund 0,2 beziehungsweise 0,4 Prozentpunkte mehr als für spanische und italienische Staatsschulden mit zehn Jahren Laufzeit. Man muss sich dies in seiner Radikalität wirklich vor Augen führen, dass am Kapitalmarkt derzeit Spanien und Italien ohne Berücksichtigung von Wechselkursveränderungen als sicherere Schuldner auf Sicht von zehn Jahren wahrgenommen werden als die USA (zumal man Wechselkursrisiken absichern kann).
Drittens: Die Notenbanken in den USA und der Eurozone 2015 verfolgen ganz unterschiedliche Ziele: Die US-Notenbank wird ihre Geldpolitik verschärfen, die Europäische Zentralbank hingegen mit Anleiheaufkäufen vermutlich lockern und den Euro wie schon zuletzt ganz bewusst schwächen, um die Eurozone wirtschaftlich konkurrenzfähiger zu machen.
Viertens: Die Kaufkraftparität des Euro liegt bei gut 1,15 Dollar und mithin noch deutlich unter dem inzwischen deutlich ermäßigten Euro-Niveau. Langfristig ist die Kaufkraftparität das „natürliche“ Ziel jeder Wechselkursschwankung.

Der entscheidende Haken an der Sache

Behalten die Prognostiker Recht, ist Geldverdienen im kommenden Jahr eine leichte Sache. Bei einem konservativen Kursziel von 1,15 US-Dollar gegenüber 1,25 US-Dollar je Euro aktuell könnten Anleger schon mit einem unverzinsten Dollar-Währungskonto eine mittlere einstellige Rendite erzielen. Mit US-Staatsanleihen dürfte die Kombination aus Zinskupon und Wechsekursgewinn selbst bei leicht steigenden Zinsen hohe einstellige Erträge einbringen, und spekulative Naturen könnten mit Optionsscheinen auf den Euro-Verfall ihr Kapital vervielfachen. Überhaupt erscheint der US-Dollarraum weitaus attraktiver: Mehr Wirtschaftswachstum, höhere Zinsen, Chance auf Wechselkursgewinne – wer soll da noch Bundesanleihen zu 0,7 Prozent Rendite kaufen?

Die Sache hat leider einen entscheidenden Haken: Wenn sich so viele Profis ihrer Sache so sicher sind, sollte das Anleger zur Vorsicht mahnen. Nicht nur, weil die Devisenmärkte für merkwürdige Entwicklungen bekannt sind und Währungen über viele Jahre drastisch über- beziehungsweise unterbewertet sein können, ohne, dass sich der Wechselkurs darum scheren würde. Sondern auch, weil die großen „Konsenswetten“ in den letzten Jahren meistens Flops waren – und es genau anders kam, als die Mehrheit dachte.

Jahr um Jahr nahte stets die „Zinswende“ - tatsächlich ging es mit den Renditen immer weiter in den Keller. Und 2010 und 2011 waren Schwellenländer die Heilsbringer für das Depot – kaum verschuldet, rasch wachsend und nicht mit den Herausforderungen des Schuldenabbaus geplagt wie die Industrieländer. Heraus gekommen sind vier Jahre Underperformance. Und wer erinnert sich nicht an den „Superzyklus“ der Rohstoffe, der die Finanzmärkte über viele Jahre bewegen werde?

für eine gute Diversifikation

Tatsächlich spricht vieles für den US-Dollar. Zumindest im Hinterkopf behalten sollten Anleger aber auch, dass angesichts der crashartigen Einbrüche im Ölmarkt ein seit vielen Jahres laufender Kreislauf von Geldern bald die Richtung wechseln könnte: Ihre gigantischen Überschüsse haben die ölreichen Staaten rund um den persischen Golf gerne im US-Dollar angelegt, der liquiden Weltreservewährung. In der Spitze flossen den USA so in den Nuller Jahren jährlich über 500 Mrd. US-Dollar an „Petrodollars“ zu. Geraten eben jene Staaten zu niedrigen Ölpreisen in Geldnöte, liquidieren sie ihre Positionen wieder, statt weiter zuzukaufen. Auch die Wetten auf einen Euro-Verfall am Terminmarkt sind in der Nähe ihrer Rekordstände kurz nach der Euro-Krise – weil eben all jene Gründe, die gegen den Dollar und für den Euro sprechen auch kein Exklusivwissen sind, sondern den Marktakteuren bekannt.

Nun spricht das nicht explizit gegen den Dollar oder für den Euro, sondern sehr wohl dafür, für eine gute Diversifikation zu sorgen auf dem Weg ins Börsenjahr 2015 und darüber hinaus. Gerade US-Dollar-Anleihen dürften bei den meisten deutschen Anlegern sogar eher unterrepräsentiert sein. Ich persönliche habe mit ihnen schon seit langer Zeit aufgrund der Summe der ex- und impliziten Staatsschulden der USA und der hohen Abhängigkeit von Nettokapitalzuflüssen aus dem Ausland (die die Eurozone nicht braucht) kein gutes Gefühl, muss aber zähneknirschend anerkennen, dass das Gefühl kein guter Ratgeber ist.

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