Anzeige

Ölmarkt Horten Sie Rohöl statt Klopapier!

Ölförderung in Kanada
Ölförderung in Kanada
© Larry MacDougal / IMAGO
Der Ölpreis ist an den Terminmärkten erstmals unter null gesackt. Verrückt? Nein, sondern das Ergebnis des wirtschaftlichen Stillstands, begrentzer Lagerkapazitäten und schwacher Nerven. Es ist ein Preiskrieg, bei dem nur wenige gewinnen

Wollen Sie eine der spektakulärsten und gleichzeitig spekulativsten Methoden erfahren, wie Sie als Anleger in diesen Tagen Profit aus der Corona-Krise schlagen können? Dann sehen Sie sich mal den Ölpreis an. Der notierte zu Wochenbeginn bei sagenhaften minus 40 Dollar. Und dann lesen Sie weiter, denn wir werden Ihnen hier erklären: Warum Öl nun das nächste Anlageprodukt ist, das im Negativbereich notiert . Aber auch, wie lange die Phase des billigen Öls wegen der jetzigen Wirtschaftskrise wohl noch anhalten wird. Was das für Ihr Depot und Ihre Heiz- oder Tankrechnung heißt. Und warum es jetzt eigentlich eine viel cleverere Idee wäre, Rohöl statt Klopapier zu horten. Denn die Großinvestoren machen es bald auch wieder, wetten?

Gut, nun ist dieser Ratschlag jetzt natürlich nicht ganz ernst gemeint. Es sei denn, Sie haben ein unausgelastetes Frachtschiffunternehmen und Ihre Frachter dümpeln gerade in irgendeinem Hafen herum. Denn um wirklich vom jetzigen Negativpreis des Rohöls zu profitieren, müssten sie schon die Mindestabnahmemenge am Terminmarkt in Oklahoma abnehmen können. Das wären 1000 Barrel, was immerhin 160.000 Liter Öl entspricht. Für die aber hätten Sie am Montag immerhin 40.000 Dollar bekommen. Geschenkt. Denn die US-Produzenten müssen inzwischen Geld dafür bezahlen, dass irgendjemand ihnen den Rohstoff abnimmt. Wie das sein kann? Das haben sich wohl viele gefragt, als sie vom Negativpreis hörten. Und eine gängige Antwort war: Vermutlich kostet die Lagerung sonst noch viel mehr als diese 40 Dollar. Und man kann es vielleicht nicht einfach im Boden lassen.

Beides ist nicht ganz falsch, genaugenommen ist es so: Am Terminmarkt in Oklahoma werden Terminkontrakte für Rohstoffe gehandelt. Das sind Papiere, mit denen Händler auf die künftigen Preise von Rohstoffen setzen – weil man ja bei vielen Naturprodukten wie Weizen, Orangen, Schweinehälften oder Kaffee nicht weiß, ob in vier bis acht Monaten wirklich eine entsprechende Ernte oder Ausbeute auf den Markt kommt. Oder ob es eine Missernte oder Schweinekrankheit gegeben haben wird, die bis dahin die bestände dezimiert. Auch beim Öl wetten die Wertpapierkäufer darauf, dass der Preis in Zukunft höher oder tiefer sein wird. Meist jedoch, um damit andere Geschäfte abzusichern. Oder um lediglich die Renditen einzustreichen – nicht aber das Öl am Ende tatsächlich zu bekommen. Das übliche Vorgehen am Terminmarkt ist daher: Man kauft einen Kontrakt, er läuft irgendwann aus, doch bevor er das tut, verkauft man ihn wieder. Sonst nämlich bekäme man den zugrundeliegenden Rohstoff ganz real ausgeliefert. In diesem Fall eben 1000 Barrel Öl.

Ölpreis stürzt trotz Opec-Beschlüssen ab

In den vergangenen Wochen geriet die Weltwirtschaft nun in die Krise wegen der Corona-Pandemie. Das legte wegen der Shutdowns nicht nur viele Produktionsstätten lahm, sondern auch Flugzeuge bleiben beinahe komplett am Boden, Autos werden weniger gebraucht, weil man ja kaum noch Reisen antreten darf und Tankschiffe liegen in den Häfen fest, weil wegen der Fabrikschließungen viel weniger Lieferverkehr herrscht. Das hat den Ölverbrauch so plötzlich und so stark einbrechen lassen wie fast noch nie. Seitdem sind 29 Millionen Barrel jeden Tag überflüssig, weil sie nicht mehr abgenommen werden. So hoch ist der Minderverbrauch im Vergleich zum April des Vorjahres. Es wird fast ein Drittel weniger Öl verfeuert und verarbeitet als sonst. Und auch auf Jahressicht rechnen Analysten der internationalen Energieagentur IEA damit, dass im Jahresschnitt 2020 etwa 10 Millionen Barrel weniger pro Tag benötigt werden.

Wer wissen will, wie gravierend das ist, sehe sich die Zahlen der letzten Krisen an: In der Rezession nach der Finanzkrise von 2008 ging der Ölabsatz um 1,6 Prozent zurück. Nach der Ölkrise erlebte die Republik noch einige Jahre später einen Rückgang um rund 10 Prozent. Diesmal drosselt die Welt ihren Verbrauch also ungleich viel stärker als jemals zuvor. Obwohl weltweit die Nachfrage allerorten um ein Vielfaches gestiegen ist, wird zurzeit nur noch so viel Öl verbraucht wie zuletzt 1995. Das kann man durchaus als historischen Einschnitt bezeichnen. Und in dieser Schärfe war niemand darauf vorbereitet. Deswegen wirkte auch die jüngste Produktionsmengendrosselung der Opec nicht.

Die Erdöl exportierenden Länder verständigten sich zwar erst vor Wochen darauf, die Förderung ebenfalls um rund 12 Millionen Barrel täglich herunterzufahren. Dennoch laufen inzwischen bei den Produzenten die Lager und Fässer voll. Und kaum jemand nimmt das Öl ab. Auch bei der Terminbörse in Oklahoma gibt es Lagerkapazitäten für die Ölhändler. Im März waren sie erst zu rund 50 Prozent ausgelastet. Mittlerweile sind sie zu 72 Prozent voll. Und wenn es so weitergeht, sind sie in schätzungsweise vier bis fünf Wochen voll. Wohin dann also mit dem Öl, wenn es keiner braucht? Das war die bange Frage, die sich viele Händler und Besitzer von Kontrakten am Wochenanfang stellten.

Nervenkrieg ums Öl

Denn die Antwort darauf war: Wenn wir die Papiere halten, um wieder auf steigende Preise zu hoffen, dann sind wir darauf angewiesen, dass uns jemand diese Papiere später auch dringend abkauft. Denn passiert das nicht und besitzen wir die Papiere, wenn sie ihre Fälligkeitsfrist erreichen, dann bekommen wir das Öl geliefert. Aber die Auffanglager sind ja voll. Um also nicht zu riskieren, auf einem physischen Berg von Ölfässern sitzenzubleiben, stießen viele panisch ihre Papiere ab. Zumindest diejenigen, deren Fälligkeit unmittelbar bevorstand. Die Terminkontrakte der amerikanischen Sorte WTI, die im April ausliefen. Sie waren es, die dann eine Zweitlang bei minus 40 Dollar notierten. Bei jenen Papieren, die noch bis Juni laufen, betrugen die Preisabschläge „nur“ rund 20 Prozent. Bei Futures mit Fälligkeit im Dezember waren es rund 3 Prozent.

Preis für die Ölsorte WTI pro Barrel in Dollar

source: tradingeconomics.com

Nun liegen zwischen den Preisen am Spotmarkt und den Preisen am Terminmarkt in Oklahoma zwar Welten, dennoch: Sieht man sich die daraus resultierenden Preise am Öl-Spotmarkt an, dann hat das WTI dort auf Monats-, Jahres- und Zehnjahressicht rund 99 Prozent seines Wert eingebüßt. Es stand vor einem Jahr schließlich noch bei über 65 Dollar. Am späten Dienstag dagegen notierte es bei mageren 5 Dollar, am Mittwochmorgen zwar wieder bei 10 Dollar, dennoch ist der Absturz gewaltig. Die Nordseeölsorte Brent blieb zwar etwas preisstabiler. Sie sackte aber auch um neun Prozent ein. Der Preis fiel im Laufe des Dienstags wie ein Stein von 26 Dollar auf nunmehr 17 Dollar. Das war auf Fünfjahressicht ein Verlust von 71 Prozent, auf zehn Jahre verlor es knapp 80 Prozent an Wert. So billig war das Öl fast seit Menschengedenken nicht mehr. Und im Negativbereich wie am Terminmarkt notierte es gar noch nie.

Es herrsche ein Nervenkrieg ums Öl, so kommentieren Analysten die Situation. Denn die Händler wagen es in dieser Lage schlicht nicht, das Risiko auf sich zu nehmen, das physische Öl am Ende womöglich abnehmen zu müssen. Und der Druck auf die Preise wird demnächst wohl noch stärker. Denn auch die Raffinerien als Abnehmer des Rohöls können die fertigen Endprodukte schlecht lagern, schränken daher ihre Kapazitäten immer weiter ein und drosseln die Verarbeitung. Derweil pumpen einige Förderländer unverdrossen zu viel neuen Nachschub in die Welt – auch, weil sie selbst auf Einnahmen angewiesen sind. Das wird die Ölschwemme an den Terminbörsen so rasch nicht versiegen lassen, sondern eher verschlimmern. Auch Ölkonzerne wie Exxon fördern noch deutlich mehr, als inzwischen benötigt wird. Dabei ist ein Anstieg der Nachfrage noch nirgends abzusehen.

Nur Verlierer

Das Kalkül dahinter lautet: Jeder hofft, dass die Konkurrenz zuerst die Mengen drosselt. Und dass er selbst damit größere Marktanteile erobert. Wer zuerst zuckt, verliert also. Manchmal sind es auch schlicht Produktionsgründe, die verhindern, dass bei älteren Ölfeldern der Hahn zugedreht wird. Denn sie lassen sich nur schwer reaktivieren, wenn der Strom einmal versiegt. Also lässt man sie weiterpumpen.

Inzwischen aber funken auch viele Tankstellenbetreiber SOS. Denn sie sind häufig nur Pächter und können wegen der weggebrochenen Nachfrage allmählich kaum noch ihre Pachtzahlungen an die Ölunternehmen leisten. Das drückt im Gegenzug natürlich auch auf deren Erträge. Selbst der internationale Konzerngigant Shell denkt nun wohl nach, ob er tatsächlich wie geplant seine Dividende zahlen soll – oder wie schlimm sich der Preisabsturz gepaart mit dem Versiegen der Nachfrage noch auswirken wird. Für die Aktienkurse der Ölförderer selbst bedeutet das nichts Gutes.

Für die Schieferölindustrie, die vor allem in Amerika vehement angekurbelt worden war in den vergangenen Jahren, könnte der jetzige Preiskampf vielleicht sogar existenzbedrohend sein. Denn unter einem Preis von 55 Dollar, so sagen Analysten, lasse sich das Öl kaum gewinnbringend mit dem enormen Aufwand aus dem Gestein pressen. Zudem ächzen viele dieser Firmen unter hohen Kreditlasten. Die Bremsspuren infolge der winzigen Preise zeigen sich also inzwischen in der gesamten Branche und könnten schlimmstenfalls zu einer Pleitewelle bei Frackingfirmen führen. Es sei denn, der US-Präsident stützt sie mit enormen Staatsgeldern, was er vermutlich versuchen wird. Denn die Abwicklung der neuen Industrie müsst er sonst als persönliche Schlappe verbuchen – so stark, wie er sie zuletzt pushte, um Amerika ölautark zu machen.

Öl-Aktien auf Zickzackkurs

In den Aktienindizes dagegen fallen die Auswirkungen vorerst noch wenig ins Gewicht: Insgesamt resultieren nur 4 bis 6 Prozent der Gewinne großer Aktienindizes - wie S&P 500 und MSCI World - aus den Ölunternehmen. Daher wird die Durchschlagskraft auf den Aktienmarkt relativ gering sein. Die Spuren der Rezession machen sich da deutlich stärker bemerkbar als der Preisrückgang im Rohstoffmarkt. Zudem bewegten sich die Aktien der großen Ölförderer zuletzt zwar im wirren Zickzackkurs auf und ab, doch auf Wochensicht fielen sie viel weniger stark als die Spotmarktpreise: Die Shell-Aktie etwa hielt sich zuletzt recht robust mit minus neun Prozent auf Wochensicht, sie verlor aber auf Jahressicht beinahe die Hälfte ihres Werts.

Bei Total sah es ähnlich aus, sie büßte auf Jahressicht 41 Prozent ein. Exxon erwischte es auf Jahressicht ebenfalls mit knapp minus 50 Prozent. Auf Wochensicht verlor sie bis Mittwochmittag „nur“ zwei Prozent. Dabei aber schlug sie so stark nach oben und unten aus, dass man sich stündlich fragte, wohin der Kurs denn nun mittelfristig dreht. Wer ganz mutig ist, kann die gesunkenen Aktienkurse als Einstiegssignal verstehen. Doch zum jetzigen Zeitpunkt ist das ähnlich gewagt wie die Idee, sich einen Terminkontrakt aufs Öl zuzulegen und zu hoffen, dass der Preis schon bald wieder steigt.

Auch an anderer Front spürt man bisher wenig vom Preiskrieg der Ölbranche – im eigenen Portemonnaie nämlich. Zumindest profitieren die Endabnehmer bisher noch nicht davon, dass die winzigen Ölpreise auch aufs Heizöl, Diesel und Benzin durchschlagen. Denn die Spritpreise liegen noch immer verbreitet über einem Euro. Grund dafür ist: Nicht nur der Rohstoffpreis selbst ist entscheidend für die Kalkulation der Firmen, sondern auch Fracht- und Lieferkosten sowie Steuern, all das schlägt auf den Endabnehmerpreis durch. Zudem versuchen die Branchenunternehmen derzeit noch, die Preise so lange hochzuhalten, wie es geht. Und notfalls will jeder wenigstens noch etwas länger als die Konkurrenz die letzten Margen abschöpfen. Die Benzin- und Heizölpreise werden nachgeben, klar. Aber es kann dauern.

Letzter Ausweg: Tankschiffe

Eine interessante Perspektive gäbe es allerdings aus Forschersicht, wenn der Ölpreis langfristig auf einem extrem niedrigen Level von rund 11 Euro verharren würde. Dann nämlich könnte das den Effekt haben, dass es sich lohnen würde, mit dem schwarzen Gold Kraftwerke zu befeuern und aus dem Öl künftig Strom zu machen. Ganz überflüssig also wäre der Rohstoff also auch in der tiefsten Wirtschaftskrise nicht. Noch aber ist es nicht soweit.

Es gibt zurzeit nur eine Art, von den Winzpreisen am Ölmarkt zu profitieren: Indem man einen Tanker mietet. Das klingt absurd, doch einige Großinvestoren und auch Förderfirmen werden das jetzt wieder verstärkt tun. Zumindest solange die Frachtraten nicht wieder deutlich steigen, wozu sie bereits ansetzen. Denn dass diese ungewöhnliche Aufbewahrungsmethode funktioniert, haben unzählige Investmentbanken bereits in der Finanzkrise 2008 vorexerziert: Da kauften sie das Öl auf, als es besonders billig war und es niemand mehr lagern wollte. Und sie schipperten es mit Tankschiffen so lange um die Welt, bis die Preise wieder stiegen – und sie mit dem Verkauf Gewinne machten. Das klingt nicht nur wie eine moderne Abenteuergeschichte. Im Grunde ist es auch eine. Eine, die wieder nur sehr wenigen Gewieften nutzt. Privatanleger dagegen sollten sich lieber zurückhalten mit spekulativen Investments am Ölmarkt. Sie erschienen zu gewagt angesichts der enormen Nervosität am Markt.

Nur einen positiven Effekt könnte es auf lange Sicht haben, wenn der Ölpreis noch längere Zeit sehr niedrig bleibt: Das wird dann nämlich auch die Inflationserwartungen deutlich dämpfen. Das heißt, dass die höheren Staatsverschuldungen und die große Geldschwemme, die von Notenbanken jetzt in den Markt gepumpt wird, wohl eher nicht dazu führen werden, dass es bald zur großen Geldentwertung kommen wird. Also zu einer rasant steigenden Inflation. Sondern dadurch wird tatsächlich das Niveau der Teuerung und Zinsen über lange Zeit eher niedrig bleiben. Zumindest sehen Ökonomen das derzeit als wahrscheinliches Szenario für die Zukunft an.

Icon1

Kennen Sie schon unseren Newsletter „Die Woche“ ? Jeden Freitag in ihrem Postfach – wenn Sie wollen. Hier können Sie sich anmelden

Mehr zum Thema

Neueste Artikel