Herr Keppler, viele Aktienmärkte haben im Corona-Jahr 2020 neue Höchststände erreicht oder bewegen sich in der Nähe ihrer Rekordmarken. Ist das angesichts der Pandemie und der dadurch ausgelösten Rezession eigentlich gerechtfertigt?
Die Welt wurde in diesem Jahr weiter mit Liquidität überschwemmt, die in hohem Maße in die Kapitalmärkte geflossen ist. Das hat die Kurse ansteigen lassen. Ob dies gerechtfertigt ist, wird sich eher langfristig entscheiden. Wenn aber die Wirtschaft aufgrund der Ankurbelungsmaßnahmen anspringt, dann sind die Kurse auf jeden Fall gerechtfertigt. Man muss auch sehen: Die Erwartungen sind gesunken. Zum Tiefstand Ende März haben wir für die nächsten drei bis fünf Jahre noch ein Plus von 14 Prozent pro Jahr erwartet, jetzt rechnen wir nur noch mit 6,1 Prozent. Das ist aber immer noch üppig, wenn man die niedrige Inflation und die sonstigen Anlagemöglichkeiten an den Kapitalmärkten berücksichtigt. Angesichts der niedrigen Zinssätze sind Aktien also nicht überteuert.
Die Aktienmärkte haben meist einen Vorlauf von mehreren Monaten gegenüber der Konjunktur. Haben sie die Erholung nach der Pandemie also schon vorweggenommen?
Zum großen Teil, ja. Deshalb ist jetzt die Frage, wie stark die Konjunktur nachziehen wird. Wenn man bedenkt, dass wir jetzt einen Impfstoff haben und fiskalpolitische Maßnahmen oft eine Vorlaufzeit von einem Jahr haben, dann kann man sich durchaus eine kräftige Erholung vorstellen. Auf jeden Fall wird der Aktienmarkt künftig stärker von der Entwicklung der Fiskalpolitik beeinflusst werden als von der Geldpolitik.
Wie haben Sie sich in ihren Aktienfonds in den Monaten seit dem Ausbruch der Corona-Krise positioniert?
Wir haben mehr umgeschichtet als üblich, weil wir bei den Unternehmen deutliche Unterschiede sehen – denken Sie an die Airlines oder die Tourismusbranche.
Sie sind einer der bekanntesten und bekennenden ValueInvestoren. Was zeichnet für Sie diesen Anlagestil aus?
Wir agieren als Value-Investoren wie vorsichtige Kaufleute, die ungern zu viel für eine unsichere Zukunft ausgeben. Das ist auch der Grundsatz von Warren Buffett: Mir sind die Bilanzen der vergangenen fünf Jahre wichtiger als eine Prognose des Vorstandes für die nächsten fünf Jahre. Prognosen sagen oft mehr über den Prognostiker aus als über die Zukunft. Die Gewinnprognosen von Unternehmen sind so unzuverlässig, dass wir sie wenig beachten. Wir suchen uns die preiswertesten Unternehmen, Branchen oder Märkte heraus – im Verhältnis zu dem was heute verdient wird und zu dem was wir glauben, was als Norm von einem Unternehmen verdient werden kann.
Bei Unternehmen wie Tesla zahlen Anleger offenbar gern für die Zukunft.
Wir sind grundsätzlich keine Freunde von Tesla. Die Aktie ist zu teuer und passt deshalb nicht zu unserem Anlagestil. Man muss die Realitäten sehen: Während Tesla offenbar nichts falsch machen kann, werden die Anstrengungen der drei deutschen Autohersteller in Richtung Elektromobilität vollkommen ignoriert.
Kann der Blick in die Vergangenheit nicht auch den Blick für die Zukunft trüben angesichts der enormen Strukturbrüche, die sich durch die Corona-Pandemie noch verstärkt haben. Unternehmen, die vor drei Jahren noch Top-Performer waren, können in drei Jahren große Verlierer sein.
Strukturbrüche sind für Investoren schwierig einzuschätzen. Aber auch hier bietet uns das Value-Investing eine Lösung – sozusagen durch die Hintertür, nämlich in Form einer Sicherheitsmarge.
Wie sieht die aus?
Beim Value Investing steht ein niedriger Kurs im Verhältnis zu den Gewinnen, Dividenden oder Cashflows im Vordergrund. Dadurch ist eine Sicherheitsmarge eingebaut für den Fall, dass etwas Schlimmes passiert. Unsere Portfolien sind besser geeignet damit umzugehen als bei jemandem, der sagt: Der Preis spielt keine Rolle. Oder noch schlimmer: Der Kurs ist immer der richtige Preis. Das Vorsichtsprinzip hilft uns zwar nicht solche Strukturbrüche zu erkennen und auf sie zu handeln— sie sind, wenn sie eintreten meist nicht eindeutig. Ich gebe ihnen ein Beispiel: Anfang des vergangenen Jahrhunderts hatten wir in den USA 500 Automobilfirmen – heute gibt es noch drei. Und die meisten wurden nicht übernommen, sondern gingen in Konkurs. Neue Industrien sind immer auch mit großen Fragezeichen und Risiken verbunden, und da stehen wir als Value-Investoren nicht gern in der ersten Reihe.
Ganz neu sind Technologie-Aktien aber auch nicht mehr.
Wir sehen die sogenannten FAANG-Aktien mit ihren charismatischen Vorständen. Aber wir sehen nicht die Verlierer, die es in der Technologiebranche gegeben hat. Wenn heute fünf Unternehmen die Gewinne einer Branche dominieren, stellt sich die Frage, ob man die im Jahr 2000 oder 2010 hätte identifizieren können. Und selbst Firmen, die wie Microsoft heute hervorragend dastehen, brauchten nach 1999 mehr als 15 Jahre, um ihre Höchstkurse wieder zu erreichen In diesen Zeitraum hat sich der von uns betreute Global Advantage Major Markets High Value Fonds fast verdreifacht.
Jetzt sprechen Sie wie ein Index-Investor, der sagt: Ich weiß sowieso nicht welche Firmen überleben oder sich toll entwickeln, also kaufe ich mir lieber den breiten Markt und habe am Ende die Gewinner dabei.
Das machen wir natürlich nicht.
Ich weiß. Trotzdem die Frage, wie Sie sich in dem teuren Aktienmarkt bewegen?
Die USA sind heute einer der teuersten Aktienmärkte mit einem Shiller-KGV von 33, das heißt der Aktienmarkt wird mit dem 33-fachen des Durchschnittsgewinns der vergangenen zehn Jahre bewertet. Entsprechend sind unsere Erwartungen für den US-Aktienmarkt sehr bescheiden. Europa ist heute wesentlich preiswerter als die USA, gleiches gilt für die asiatischen Märkte wie Singapur und Hongkong. Ich würde darauf wetten, dass die USA in den nächsten zehn Jahren eine Underperformance haben werden aufgrund der heutigen hohen Bewertung.
In einem Interview mit Capital vor gut zwei Jahren haben Sie gesagt, Value-Investing stecke seit zehn Jahren in der Krise. Jetzt sind zwei weitere Krisenjahre hinzugekommen. Bleiben Sie Ihrem Stil trotzdem treu?
Wir sind bekennende Value Investoren — diese Stiltreue werden wir nicht abgeben. Es ist ja nicht so, dass wir kein Geld verdient hätten in den vergangenen zehn Jahren, eben nur nicht so viel wie die Technologie-Investoren. Wir haben in den USA sehr verlässliche Unternehmensdaten und können die letzten 100 Jahre untersuchen: In nur drei Jahrzehnten hat Value eine unterdurchschnittliche Wertentwicklung erzielt: In den 1930er und 1990er Jahren des letzten Jahrhunderts und in dem letzten Jahrzehnt. Der US-Leitindex S&P 500 war in den vergangenen zehn Jahren der beste Aktienmarkt unter 23 Ländern im MSCI-Weltaktienindex. In den 40 Jahren zuvor war es umgekehrt. Nach 40 Jahren Outperformance des MSCI-Weltaktienindex gegenüber dem S&P 500 folgten nun zehn Jahre Unterperformance. Da sage ich: So what?
Kann man diesen historischen Vergleich überhaupt ziehen? Die digitale Wirtschaft mit ihren Plattformunternehmen ist heute sehr viel weniger kapitalintensiv als dies die alten Industrien waren?
Da haben Sie natürlich vollkommen recht. Aber die Kapitalintensität ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg.
Wie hängen Zinsen und Bewertungen zusammen?
Als ich nach meinem Wirtschaftsstudium 1980 angefangen habe als Wertpapieranalyst zu arbeiten, hatten wir die höchsten Zinsen seit sehr langer Zeit — in den USA gingen sie für kurze Laufzeiten hoch bis auf 18 Prozent. Seit 40 Jahren haben wir nun sinkende Zinsen. Die Aktienkurse profitieren von niedrigen Zinsen, weil künftige Gewinne über einen niedrigeren Abzinsungsfaktor einen höheren Barwert liefern. Aber da sind wir jetzt am Ende der Fahnenstange angelangt. Sie sind in Europa mit Negativzinsen sogar schon darüber hinaus. Wohin sollen die Zinsen denn noch weiter fallen? Es ist eher umgekehrt: Ich bin der Meinung, dass wir am Rentenmarkt eine Jahrhundert-Blase haben. Ich würde krank werden, wenn ich einen Bond mit einem negativen Coupon kaufen müsste. Es widerspricht jeder kaufmännischen Philosophie, Frau Merkel dafür zu bezahlen, dass man ihr Geld leihen darf.
Kommt also jetzt die Renaissance von Value – oder kommt Value nie wieder, weil die Welt eine andere geworden ist?
Value-Investing ist im schlechtesten Fall krank, aber sicher nicht tot. Die Prinzipien des Investierens haben sich nicht verändert seit Benjamin Graham und David Dodd 1934 ihr Lehrbuch „Security Analysis“ – zu deutsch „Wertpapieranalyse“ - veröffentlich haben.
Können sie denn noch mit den gleichen Kennzahlen operieren wie in der Vergangenheit?
Aber sicher. Die Kennzahlen dazu, wie erfolgreich ein Unternehmen ist ändern sich ja nicht. Es geht darum, was für den Aktionär übrig bleibt, nachdem die Mitarbeiter und die Steuern bezahlt sind. Beim Investieren ist es immer wichtig eine Norm zu haben nach der man seinen Kaufpreis ausrichtet.
Viele Ihrer Fonds haben sich – anders als der breite Markt – noch nicht wieder ganz vom Crash im Frühjahr erholt. Was ist da passiert?
Wir sind im Hightech-Bereich, der in diesem Jahr eine besonders gute Performance aufwies, tendenziell untergewichtet Klar, diese Positionierung war im letzten halben Jahr für uns nicht förderlich. Das gilt für alle ValueStrategien. Wir haben da in den vergangenen Jahren keine Lorbeeren verdient. Das liegt aber vorwiegend am Anlagestil und nicht an der Strategie. Value-Indizes hatten in den vergangenen zwölf Monaten eine außergewöhnliche Underperformance gegenüber den Wachstumstiteln Die Value-Variante des MSCI All Country-Index hat in dieser Zeit 14 Prozent verloren, während der Wachstumsindex 21 Prozent gewonnen hat. Das ist eine extreme Ausnahmeerscheinung. Ich würde mich hüten, diese Trends fortzuschreiben.
Wer eine hohe Fondsgebühr zahlt, der ärgert sich schon über die Underperformance.
Da haben Sie auf jeden Fall recht. Unsere Fonds sollten aber nicht die einzige Aktienanlage sein. Es gibt genügend Möglichkeiten in andere Branchen und Anlagestile zu diversifizieren. Die Underperformance von Value gehört zu den Risiken, die ein Anleger grundsätzlich hat. Sie können als Landwirt nicht jedes Jahr eine Spitzenernte einfahren. Die Bewertungsunterschiede zwischen Value und Growth waren in der Vergangenheit noch nie so groß. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Entwicklung in Zukunft wieder umkehrt.
Sie haben in ihren Fonds ein starkes Gewicht auf Finanzdienstleister. Das ist ja schon fast ein Investieren gegen den Mainstream. Jeder redet von Niedrigzinsen, digitaler Konkurrenz, Regulierung und wegen der Pandemie drohenden Kreditausfällen. Was macht die Titel für sie so attraktiv?
Sie werden lachen, aber unsere Prognosen für den Finanzbereich – das gilt hauptsächlich für US-Finanzwerte – ergeben, dass sie heute so preiswert sind wie zuletzt 1989. Damals hat Warren Buffett angefangen Aktien von Wells Fargo zu kaufen, die sich dann verzehnfacht haben. Wir haben Bankaktien in unserem Portfolio mit einem Kurs-Buch-Wert von 0,8. Das heißt, der Kurs spiegelt nur 80 Prozent des Buchwertes wider. Wenn in den letzten 40 Jahren die Kurs/Buchwert-Relationen der Finanztitel in den USA unter 1 lagen, haben sich die Kurse in den darauffolgenden zehn Jahren mindestens vervierfacht. Wir gehen davon aus, mit unseren US-Finanzwerten in den nächsten zehn Jahren weit überdurchschnittliche Gesamtrenditen erzielen zu können. Einer der führenden Bankanalysten in den USA, Mike Mayo, teilt unsere Meinung und spricht von einem goldenen Jahrzehnt für US-Bankaktien.
Damals waren aber die Zinsen nicht so niedrig wie heute.
Ok, die Ertragslage der Finanzwerte ist momentan möglicherweise etwas gedrückt wegen der Zinsen, aber sie werden vom heutigen Standpunkt aus nicht mehr sehr viel weiter fallen können. Die relative Entwicklung wird sich also zwangsläufig verbessern und damit auch die Ertragslage. Und Häuser wie Goldman Sachs oder Morgan Stanley haben Einkommen aus dem Investmentbanking. Eines muss ich aber festhalten: Bei europäischen Banken sind wir sehr vorsichtig und halten nur einige wenige Positionen.
Warum das?
Viele der führenden Banken in Europa und gerade auch in Deutschland haben die Finanzkrise von 2008/09 noch nicht verdaut. Ihre Ertragslage hat es nicht erlaubt, dass sie die notwendigen Abschreibungen auf ihre Buchwertverluste vornehmen. Ich kann mir das nur dadurch erklären, dass die Aufsichtsämter das zugelassen haben, weil die Banken sonst pleite gegangen wären – was aus dem Prinzip „Too big to fail“ gesellschaftspolitisch inakzeptabel geworden ist –und deshalb die Buchwerte nicht mehr repräsentativ sind. Ich habe mal einen Manager einer großen europäischen Bank gefragt: Warum verkaufen sie den Laden eigentlich nicht? Bei einem Buchwert von 0,5 ist Ihre Bank tot doppelt so viel wert wie lebendig.
Was hat er geantwortet?
Er hat nicht konkret geantwortet. Aber was daraus hervorging war: Sorry, unser Buchwert stimmt nicht. Solche Banken haben offenbar nach wie vor Derivate im Keller liegen, die viel zu hoch bewertet sind.
Zurück zu Warren Buffett. Er hat im Sommer ja seine Goldman Sachs-Aktien verkauft.
Er hat die Aktien über Optionen in der Finanzkrise erworben zu einem außerordentlich günstigen Preis. Wenn er jetzt verkauft, dann können ganz andere Gründe dahinter liegen, die wir nicht kennen. Es könnte auch mit der Aussicht auf wieder steigende US-Unternehmenssteuern zusammenhängen.
Sie haben ihre Karriere bei der Commerzbank begonnen. Die Aktie kostet kaum mehr als fünf Euro. Ist sie ein Schnäppchen?
Für uns nicht. Ich habe sehr gern für die Commerzbank gearbeitet. Sie war und ist wahrscheinlich auch heute noch eine sehr gute Bank für ihre Mitarbeiter. Sie war aber eine katastrophale Investition für die Aktionäre. Hier wurden gravierende Fehler gemacht, die eigentlich nicht hätten passieren dürfen. Deshalb ist die Bank heute wahrscheinlich strukturell schlechter aufgestellt als in der Vergangenheit.
Also kein Hoffnungswert?
Investieren muss ein Kalkül sein— es darf kein Hoffen darauf sein, dass es nun endlich besser wird. Sie müssen für jede Investitionsentscheidung eine fundierte Basis haben. Ein gefallener Kurs ist nicht Grund genug, eine Investition zu tätigen