Viele Immobilienbesitzer hatten es im Dezember 2022 eilig, ihre Objekte noch schnell vor dem Jahreswechsel zu übertragen. Der Grund: Die Befürchtung, dass Erben und Schenken ab Januar teurer werden könnten durch eine Änderung im Jahressteuergesetz. Es wurde davor gewarnt und darüber berichtet – auch Capital sprach deswegen vor einem Jahr mit etlichen beteiligten Steuerberatern und Experten. Vor allem Verbände fürchteten damals, dass Erben und Schenken deutlich teurer wird.
Doch haben sich die Befürchtungen bewahrheitet? Oder hat der Andrang bei Notaren und Steuerexperten wieder nachgelassen?
Wertsteigerung von acht Prozent
„Wir sind im Akkord mit Vermögensübertragungen beschäftigt“, sagte der Frankfurter Notar Marc Ströbele vor einem Jahr zu Capital. „Ich habe doppelt so viele Fälle wie normalerweise. Allein heute Morgen habe ich drei neue Schenkungsanfragen angenommen.“ Dabei hatte er einige Mühe, Immobilienwerte überhaupt zu ermitteln. „Es werden Werte geschätzt und unterstellt, was mit einem gewissen Risiko verbunden ist“, sagte er.
Denn der Wert einer Immobilie setzt sich – eingebettet in komplizierte Rechenformeln – aus Wertzahlen im Jahressteuergesetz zusammen, die per 2023 leicht angehoben wurden. Statt 0,7 steht im Jahressteuergesetz nun zum Beispiel 0,9; statt 1,0 der Wert 1,3. im Ergebnis bestimmen diese Faktoren den Wert einer Immobilie. Und der wiederum legt fest, wie hoch die Steuer ausfällt, wenn diese Immobilie verschenkt oder vererbt wird.
Deniz Hoffmann, Fachanwalt für Steuerrecht bei der Kanzlei Rose & Partner in Frankfurt am Main, hatte vor einem Jahr mit einer Wertsteigerung von um die zehn Prozent bei Mehrfamilienhäusern gerechnet – und lag damit richtig. „Der Wert eines Mehrfamilienhauses in Berliner Innenstadtlage ist in diesem Jahr etwa acht Prozent höher als für dasselbe Objekt vor der Reform“, erzählt Hoffmann von einem konkreten Fall aus diesem Jahr. „Rechnerisch müssen dann auch acht Prozent mehr Erbschaftssteuer gezahlt werden, wenn man die Freibeträge einmal unberücksichtigt lässt.“
In Innenstadtlagen gab es in der Regel aber bereits gute Vergleichswerte, weil es in den vergangenen Jahren schon regelmäßige Wertanpassungen gab. Bei Objekten außerhalb der Ballungsgebiete wurden viel stärkere Auswirkungen befürchtet mit Wertsteigerungen von 20 oder sogar 30 Prozent. Doch das sind wohl Einzelfälle.
Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kann aufgrund der Änderung keine großen Verwerfungen erkennen. Die Diskussion sei von Anfang an „eine ziemliche Gespensterdebatte“ gewesen, sagt er. Bei Einfamilienhäusern seien die Sorgen um höhere Steuern unbegründet, sagte der Experte schon damals. Denn die Änderung im Jahressteuergesetz zur Immobilienbewertung habe nur wenige Einzelfälle von Wohlhabenden betroffen: zum Beispiel Renditeobjekte – darunter Mietshäuser, Geschäftsgrundstücke, aufwendigere Eigenheime und Betriebsgrundstücke, die vom Finanzamt nach dem Ertrags- oder Sachwertverfahren bewertet werden. „Bei den meisten Immobilien waren die höheren Werte schon längst angekommen“, sagt Bach nun.
Forderung nach Anhebung der Freibeträge
Der Eigentümerverband Haus und Grund sieht das Thema aber nach wie vor als Problem. Er verweist auf eine Umfrage des Instituts Civey zwischen dem 21. Dezember 2022 und dem 17. Januar 2023. Damals befürchtete gut ein Drittel der 1000 Befragten, eine künftig geerbte Immobilie wegen einer zu hohen Erbschaftsteuer verkaufen zu müssen. Mehr als die Hälfte (52 Prozent) teilte diese Sorge jedoch nicht.
Hoffmann hatte durch die Reform in diesem Jahr nicht mehr oder weniger zu tun als sonst. Die Zinslage habe Transaktionen zurückgehen lassen, aber gerade bei unentgeltlichen Übertragungen vor Eintreten des Erbfalls sei der Bedarf konstant hoch. „Hier merken wir die höheren Objektbewertungen natürlich besonders“, sagt Hoffmann. „Die Freibeträge werden schneller ausgeschöpft und es kann zu Lebzeiten ein geringerer Anteil des Vermögens übertragen werden.“
Über eine Anhebung der Freibeträge für Erbschaften und Schenkungen wird wohl weiter diskutiert werden. Bisher hat sich laut Steuerexperte Bach in dieser Frage bislang allerdings nichts getan – auch weil die Sache wegen gesunkener Immobilienpreise nicht dringlicher geworden ist.
Der Verband Haus und Grund pocht wiederum auf eine Anhebung. Freibeträge reichen in den üblichen Übertragungswegen auf Kinder oder Ehegatten immer häufiger nicht aus, so eine Sprecherin, weshalb beim Finanzamt Anträge auf Stundung gestellt und bewilligt werden. „Das verschiebt das Problem aber natürlich nur in die Zukunft, denn eine Stundung ist nur ein Hinausschieben der Fälligkeit, gezahlt werden muss dann eben später.“