Von Nobelpreisträgern sollte man annehmen, dass sie etwas cleverer sind als andere Menschen. Zumindest aber kennen sie sich in ihrem Metier offenbar verdammt gut aus, sonst hätten sie diese Meriten ja vermutlich nicht bekommen. Umso erstaunlicher daher, dass es sehr viele Menschen gerade unter den Börsenteilnehmern gibt, die denken, sie seien schlauer als etliche Nobelpreisträger.
Jene nämlich, die angesichts der gestiegenen Börsenkurse und neuen Höchststände sagen, es sei nun langsam an der Zeit, vorsichtiger zu werden und sich aus dem Markt zurückzuziehen. Denn es sei ja wohl besser, rechtzeitig den Absprung zu schaffen, bevor der große Absturz kommt und bevor sich der Aufschwung ins Gegenteil verkehrt. Der nächste Crash kommt nämlich ganz bestimmt. Dem letzten Satz kann man – so leid es mir an dieser Stelle tut – nicht widersprechen. Natürlich wird es einen Absturz geben. Diese Erkenntnis ist aber noch lange nicht nobelpreisverdächtig.
Denn der nächste Crash ist ungefähr so sicher wie das Amen in der Kirche oder das Ende des Lebens – beides kommt ganz sicher, aber eben nur irgendwann. Und ganz sicher nicht, wenn wir es am ehesten erwarten. Von daher ist die Idee, dass man sich mit einem rechtzeitigen Rückzug vom Aktienmarkt davor schützen könnte, einen bösen Absturz mitzuerleben nichts anderes als ein „närrisches Unterfangen“, so nannte es auch der Nobelpreisträger und Ökonom Robert Merton. Wer glaubt, er schaffe es durch das richtige Timing, sich vor Verlusten zu bewahren und nur die Gewinne einzuheimsen, der erliegt einem fatalen Irrtum. Genau deswegen sollte er aber unbedingt weiterlesen.
Rückzug vom Aktienmarkt? Schlechte Idee.
Denn tatsächlich glauben etliche Anleger – selbst Großinvestoren -, dass sie genau dieses närrische Treiben jetzt in Angriff nehmen müssten: Es sei extrem wichtig, das Depot jetzt umzustrukturieren, verkündete jüngst ein altgedienter Fondsmanager und prahlte mit seinen 30 Jahren Berufserfahrung, um seine Seriosität zu untermauern. Für den Ausstieg aus den Aktien sei es angesichts des Dax-Stands von mehr als 13.000 Prunkten höchste Zeit, mahnte ein anderer. Die Blase am Aktienmarkt sei nunmehr offensichtlich, befand zudem die Mehrzahl von 400 Befragten in Finanzunternehmen jüngst in einer Umfrage. Da sei es doch klar, dass demnächst die Luft aus dem Markt entweiche.
Es scheint, als habe sich das schon unter den Privatanlegern herumgesprochen. Die deutschen Sparer jedenfalls zogen sich zuletzt schon massenhaft aus Aktienfonds zurück. Insgesamt 1,7 Milliarden Euro flossen netto aus diesen Anlagevehikeln ab. Auch von den 48 Milliarden an Neumitteln, die der Fondsbranche in diesem Jahr zuströmten, landeten nur magere 8,5 Milliarden in Aktientöpfen. Der weit überwiegende Großteil dagegen floss in andere Anlageformen wie Mischfonds (sie sammelten rund die Hälfte des Geldes ein) und Rentenfonds (die immerhin 16 Milliarden neues Anlegerkapital aufsaugten) - ausgerechnet. Obwohl die gesamte Anlageszene doch seit Jahren jammert, wie wenig Zinsen solche Anleihen doch abwerfen.
Mit Rentenfonds zur Rendite von Nullkommairgendwas
Die Wertentwicklungen der jüngsten und mittleren Vergangenheit können es nicht sein, die Anleger zu dieser Investmentidee verleitet haben. Denn üblicherweise investieren Privatsparer ja genau dann in eine Anlage, nachdem sie einige Zeit gut gelaufen ist. Das ist der Fondsranking-Effekt: Erzielt ein Fonds eine Weile lang gute Gewinne, dann taucht er auf den Listen der Fondsrankings ganz oben auf. Und wird prompt massenhaft in die Depots gelegt. Oft sind solche guten Performance-Zeiten jedoch nur statistische Ausreißer, also pures Glück, das dem Fondsmanager aber nicht ewig hold ist. Schon in der Folgezeit werden die Fonds oft schlechter und ihre Renditen mauer.
Selten jedenfalls sind die Gewinner der vergangenen Jahre auch diejenigen, die in den kommenden Jahren die Top-Listen anführen. Rentenfonds sind aber nicht einmal das: Europäische Anleihenfonds kamen nach Auswertungen von Ratingagenturen im Schnitt auf Renditen, bei denen auf Jahressicht eine Eins vor dem Komma steht und auf Dreijahressicht sogar eine Null. Nullkommairgendwas Prozent, so hoch war der Vermögenszuwachs, wenn man 2014 in Rentenfonds investierte.
Waren Aktienfonds da besser? Waren sie. Viel besser sogar: Globale Aktienfonds kamen auf eine Wertentwicklung von immerhin sechs Prozent pro Jahr. Europäische Aktienfonds auf rund acht Prozent und deutsche führten das Feld mit rund 10 Prozent an. Aber damit wird ja bald Schluss ein, wenn man den Unkenrufen glauben darf. Also jetzt lieber schnell aussteigen?
Zum Beispiel, weil die Europäische Zentralbank EZB nun bald ihren Kurs ändern wird und aus der ultralockeren Geldpolitik aussteigt, was tatsächlich etwas Luft aus dem Markt entweichen lassen würde. Doch das stellt die EZB schon seit mehreren Jahren immer wieder in Aussicht. Es wäre ja auch dringend notwendig, so bekräftigen die befragten Finanzmanager in der Umfrage ebenfalls. Das Problem ist nur: Selbst wenn die Notenbank es vor hätte und es fast alle Marktteilnehmer begrüßen würden, wird es so schnell nicht passieren. Denn Zentrabankchef Draghi und seine Kollegen wagen sich seit Jahren nur in Trippelschritten voran. Wenn überhaupt.
Niemand kann den Absturz voraussagen
Was also macht alle so sicher, dass der Absturz wirklich bald kommen wird? Und wann endet die Zeit des Aktienaufschwungs und beginnt die Zeit der Neuorientierung, in der viel Geld an den Kapitalmärkten in neue Bereiche fließen wird? Die Antwort darauf lautet: Niemand weiß es. Wie clever ist es also, schon jetzt umzuschichten? Robert Merton hat die passende Antwort. Man muss nur die Statistik heranziehen, um das zu erkennen: Von jenen Profis, die für sich in Anspruch nehmen, den Markt richtig lesen und vorausschauend auf ihn reagieren zu können, haben es in den vergangenen 15 Jahren, seit 2002 also, bloß 15 Prozent geschafft, den Referenzindex zu schlagen. Darunter waren nur diejenigen, die sehr eigenständig anlegten – also auch sehr gewagt.
Die überwiegende Mehrheit, selbst unter den Profis, lag dagegen deutlich daneben wenn es um Fragen des Timings geht. Sie wählten eher zur falschen Zeit die falschen Papiere aus. Und bezeichnenderweise waren es beileibe nicht die Mischfonds, mit ihren vielen variierbaren Anlageklassen, die gut abschnitten – im Gegenteil. Von ihnen schlugen die allerwenigsten überhaupt den Markt. Es waren vor allem Aktienfonds mit deutschen und europäischen Papieren, meist kleinerer Unternehmen, von denen es einige schafften, besser abzuschneiden als der Markt.
Was Analysten häufiger beobachten: Fondsmanager schaffen es gelegentlich, ihre Depots in Abschwungphasen gut aufzustellen. Das beruhigt dann den einen oder anderen Anleger, weil er nicht den ganz tiefen Fall erlebt. In der nächsten Aufschwungphase jedoch verpassen viele den rechtzeitigen Einsteig in den boomenden Markt. Und genau das ist fatal.
Die beste Strategie: Buy-and-hold-Ansatz
Wie stark es sich nämlich bemerkbar macht, wenn man zu spät wieder einsteigt, nachdem der Aktienmarkt wieder Fahrt aufnimmt, das zeigt folgende Auswertung, die auf Bloomberg-Daten beruht: Investoren, die in den vergangenen 30 Jahren (also seit 1985) allein die besten fünf Börsentage verpassten, weil sie sich zwischenzeitlich vom Markt zurückzogen, erzielten eine Rendite von 6,9 Prozent pro Jahr. Das ist doch sehr ordentlich, wird mancher denken. Aber es ist im Grunde auch großes Glück: Verpasst man nämlich die besten zehn Tage, waren es nur sechs Prozent, beim Verpassen der besten 20 Tage nur 4,2 Prozent und ohne die besten 25 Tage bleiben sogar nur noch 3,5 Prozent Jahresrendite übrig. Und was sind schon 25 Tage im Lauf von 30 Jahren? Was aber erzielten Anleger, die einfach die kompletten 30 Jahre – mit guten wie mit schlechten Tagen – stoisch weiter investierten? Sie kamen auf eine Rendite von 8,4 Prozent pro Jahr.
Das ist nicht nur eine satte Rendite und ein gutes Argument dafür, den Buy-and-hold-Ansatz zu verfolgen, den übrigens schon sehr viele clevere Großspekulanten propagierten. Sondern es ist überdies auch eine der am leichtesten zu verfolgenden Strategien überhaupt. Man muss sich keine Gedanken mehr über richtige oder falsche Zeitpunkte machen. Man kauft einfach seine Aktien oder Fonds, möglichst häufig und in kleineren Tranchen, und lässt sich möglichst lange im Depot. Wem es nicht gelingt, sie 30 Jahre zu halten, der sollte es mindestens für zwölf oder 13 Jahre tun. Nach dieser Zeit nämlich ist das Risiko, damit eine negative Jahresrendite zu erzielen, am allergeringsten und liegt bei rund drei Prozent. Wenn die Gesamtrendite dann negativ ist, sollte man am besten noch eine Weile daran festhalten.
Der nächste richtig gute Börsentag wird kommen
Denn eines passiert garantiert: So sicher wie der Abschwung alle paar Jahre kommt auch wieder der nächste richtig gute Börsentag. Und er kommt ebenfalls so unangekündigt wie jeder Crash. Wenn man nur ein paar solcher guten Tage erwischt, kann das die Jahresrendite für viele Jahre um zwei, drei oder vier zusätzliche Prozentpunkte in die Höhe treiben – auf über acht Prozentpunkte. Ein Narr, wer sich das entgehen lässt, weil er denkt, er sei schlauer als alle anderen.