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Nobelpreis Richard Thaler - Pionier und Politikberater

Richard Thaler
Richard Thaler
© Getty Images
Der Wirtschaftsnobelpreis geht in diesem Jahr an Richard Thaler, einem Pionier der Verhaltensökonomie, der sogar Politikern pragmatische Hilfsmittel an die Hand gibt.

Wer glaubt, dass alle immer rational entscheiden, wird Schwierigkeiten haben, Finanzkrisen zu erklären. Wer jedoch einkalkuliert, dass Menschen auch mal danebenliegen, kann Krisen nicht nur besser verstehen und antizipieren – sondern auch Lösungen zur Abmilderung solcher Krisen entwickeln. Genau das ist der Ansatz von Richard Thaler, der nun für sein wissenschaftliches Werk den Wirtschafts-Nobelpreis erhalten hat .

Der Preis geht an einen wahren Pionier und Querdenker. Thalers Ideen unterscheiden sich grundsätzlich von der lange vorherrschenden ökonomischen Lehre – in der das Ideal des Homo oeconomicus regiert, dem Bild eines strikt rationalen Menschen, der stets ökonomisch perfekt entscheidet. Thaler hält seit jeher vehement dagegen, mit einer gehörigen Spur Realismus anstelle von idealisierten Theoriekonstrukten.

Der 72-Jährige lehrt an der University of Chicago – ausgerechnet der Universität, an der einst Milton Friedman und Robert Lucas das Dogma der Rationalität der Märkte prägten. Der Marktskeptiker Thaler beschäftigt sich anders als seine Vorgänger seit vielen Jahren mit den Lücken der Theorie, mit Marktanomalien und problematischen Entscheidungen von Marktteilnehmern. Thaler gilt als ein geistiger Vater der seit der Finanzkrise wichtig gewordenen Forschungsrichtung der Verhaltensökonomie, speziell dem Segment Behavioural Finance – das für Finanzinvestoren und Banker heutzutage extrem relevant ist.

„Libertärer Paternalismus“

Jahrelang hat er intensiv menschliche Entscheidungsprozesse untersucht – mit dem Fazit, dass sie selten perfekt sind. Dabei verharrt er allerdings nicht bei der Problemdiagnose, sondern liefert auch konkrete Lösungsansätze. Auf angebliche Allheilkräfte des Marktes vertrauen diese Lösungen ebenso wenig wie auf massive staatliche Intervention. Bei Thaler geht es nicht um die Fragen „Markt oder Staat?“, „Eingriff oder Laissez-faire?“. Stattdessen zeigt seine Theorie einen ganz neuen, dritten Weg auf – jenseits tradierter Denkmuster und althergebrachter ideologischer Lager. Mit seinem Buch „Nudge“, das er gemeinsam mit dem Juristen Cass Sunstein verfasst hat, wurden seine Ideen sogar einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Menschen treffen Fehlentscheidungen, ständig und überall. Wenn sie rauchen; wenn sie Auto fahren, ohne sich anzuschnallen; wenn sie sich Häuser kaufen, die sie sich nicht leisten können. Oft braucht es jedoch nur einen kleinen Stupser (auf englisch „Nudge“), um sie von diesem irrationalen Verhalten abzubringen und auf den richtigen Weg zu bringen. Ein solcher Stupser kann der Piepton im Auto sein, wenn der Gurt nicht eingeklickt ist. Oder staatliche Anreize, die das Konsumverhalten beeinflussen. Diese Nudges können helfen, die richtige Entscheidung zu fördern – ohne dabei die Freiheit des Einzelnen einzuschränken. Ein Nudge ist eben nur ein Anstoß, aber keine Anordnung. Deshalb bezeichnet Thaler seine Theorie als „libertären Paternalismus“. Ohne die Freiwilligkeit individueller Entscheidungen anzutasten, kann der Staat Menschen zu rationalerem Verhalten bewegen. Und genau das löst bei vielen Politikern Begeisterung aus – und zwar auch hier wieder ganz ideologieübergreifend in unterschiedlichsten Lagern: Barack Obama hatte sich von Thalers Ideen ebenso inspirieren lassen wie der ehemalige britische Konservative David Cameron.

Was können Praktiker daraus lernen? Nun, Thalers Ideen bieten ganz neue Möglichkeiten, sehr unterschiedliche ökonomische, gesellschaftliche und ökologische Probleme anzugehen. Einige Beispiele für solche Anstupser sind Umweltsteuern oder der Handel mit Emissionsrechten, Steuervergünstigungen für Spenden, automatische Steuererklärungen oder Bonusprogramme für Krankenversicherungen.

In der Praxis längst bewährte Mittel werden im „libertären Paternalismus“ in einer Theorie gebündelt. Anstelle direkter staatlicher Interventionen erfolgt der Eingriff dabei oft indirekt, nicht selten unter Nutzung von Marktmechanismen. Statt sich in ideologischen Dogmen zu verstricken, weht bei Thalers Werk also stets eine frische Brise Pragmatismus.

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