Wenn sich der EZB-Rat in den vergangenen Monaten getroffen hat, stand das Ergebnis eigentlich schon vorher fest: Die Zinsen werden angehoben. Die Frage war nur, wenn überhaupt, um wie viele Punkte. Doch jetzt, erstmals seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs, könnte die EZB am Donnerstag eine Pause von ihren Zinserhöhungen einlegen. Das glauben immerhin 60 Prozent der Analysten. Gleichzeitig birgt es das Risiko für unruhige Börsentage. Denn: So sicher ist die Zinspause auch wieder nicht.
Selten waren die Signale vor einer EZB-Sitzung so uneinheitlich wie dieses Mal. Lange Zeit sah es so aus, als ob die Notenbank noch einmal die Zinsen um 25 Basispunkte erhöhen könnte, auch weil die Inflation mit 5,3 Prozent immer noch zu hoch ist. Doch dann kamen über den Sommer extrem voneinander abweichende Daten und ein Auftritt der deutschen EZB-Direktorin Isabel Schnabel, in dem sie – anders als noch vor dem Sommer – die Aufwärtsrisiken für die Inflation nicht mehr betonte. Das werteten Analysten als Zeichen, dass die Zeit der Zinsanhebungen vorerst vorbei sein könnte.
Trotzdem bleibt die Inflation weiter akut – und EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat mehrfach betont, dass der Kampf noch nicht vorbei sei. Da die Inflation aber tendenziell zurückgeht, könnte die EZB zunächst ihr aktuelles Niveau halten. Wie dem aber auch sei: Es ist aktuell nicht klar, wohin die Reise geht. Und auch deshalb hielten Anleger in dieser Woche weitestgehend die Füße still. Alle blicken dabei auf zwei Daten: Die EZB-Sitzung am Donnerstag um 14.15 Uhr und die US-Inflationsdaten am Mittwoch. Aus der Teuerung in den USA lässt sich ableiten, welchen Zinskurs die US-Notenbank Fed am 20. September (20 Uhr, MEZ) einschlagen wird. Außerdem blicken Anleger mit einem Auge auf eine Auktion zehnjähriger US-Staatsanleihen am Mittwoch. Ist die Nachfrage dort nicht stark genug, könnte das einen Aufwärtsdruck bei den Renditen erzeugen.
Eine Zinsanhebung eingepreist
Unabhängig davon gehen knapp 60 Prozent der Anlegerinnen und Anleger von einer Zinspause in Europa aus. Das zeigen OIS-Forwards-Daten von Bloomberg. Die Daten zeigen aber auch, dass 74 Prozent der Anleger bis Jahresende noch eine letzte Zinsanhebung um 25 Punkte erwartet. Der Einlagezins läge dann bei 4,0 Prozent. Erst ab September 2024 nehmen die meisten Anleger erste Zinssenkungen um 25 Punkte vorweg. Dazwischen erwarten sie eine Zinspause.
Das zeigt aber auch: Sollte die EZB bereits am Donnerstag die Zinsen um 25 Punkte erhöhen, gleichzeitig aber den Ausblick stabil halten, wird das die Märkte kaum bewegen. Die 25 Punkte sind schließlich von vielen eingepreist.
Überrascht könnten trotzdem einige sein – darunter die Analysten von der Commerzbank, BNP Paribas und Generali Investments. „Viele Marktteilnehmer erwarten, dass die EZB auf ihrer Sitzung nächste Woche die Leitzinsen weiter erhöht. Wir glauben das nicht. Denn angesichts der schwachen Konjunktur und des Abwärtstrends bei der Inflationsrate wird eine Mehrheit der EZB-Ratsmitglieder wohl für unveränderte Leitzinsen stimmen“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Von Martin Wolburg, Senior Economist bei Generali Investments, heißt es: „Obwohl die Entscheidung sehr knapp ausfallen wird, gehen wir davon aus, dass der EZB-Rat von einer weiteren Zinserhöhung absehen wird. Gleichzeitig dürfte er deutlich machen, dass dies nicht als Ende des Zinserhöhungszyklus zu verstehen ist, sondern eher als eine Pause – wobei weitere Straffungsmaßnahmen bei Bedarf jederzeit wieder eingeführt werden könnten.“
Ähnlich sieht es Paul Hollingsworth, Chief European Economist und EZB-Beobachter bei BNP Paribas: „Wir erwarten nicht, dass die EZB den Leitzins dieses Mal erhöht. Allerdings wird Christine Lagarde deutlich machen, dass das Ende der straffen Geldpolitik noch nicht unbedingt erreicht ist“, sagt Hollingsworth gegenüber Capital.
Gemischtes Bild der Analysten
Aus dem EZB-Rat selbst gab es zuletzt auch „hawkishere“ Stimmen, die sich für eine strenge Geldpolitik aussprechen. Dazu gehört etwa der niederländische Notenbankchef Klaas Knot: Die Marktteilnehmer unterschätzten die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung im September, sagte er. Auch die Analysten von Allianz, Axa und HSBC gehen von einem weiteren Schritt aus. „Die Prognosen für die Gesamtinflation werden aufgrund der höheren Ölpreise leicht nach oben korrigiert. Der anhaltende Inflationsdruck und die prognostizierte Kerninflation von über zwei Prozent reicht unserer Meinung nach aus, um den Markt in Atem zu halten“, sagte Hugo Le Damany von Axa Investment Managers.
Trotzdem überwog bei vielen Analysten zuletzt die Einschätzung von EZB-Direktorin Schnabel. In einer Bloomberg-Umfrage erwarten 20 von 39 Analysten eine Zinspause. Wichtigster Grund für die gesunkenen Erwartungen sind vor allem die jüngsten Umfragen aus den Unternehmen, vor allem die Einkaufsmanagerindizes. Diese zeigen sowohl bei Industrie als auch bei Dienstleistern überraschend deutlich nach unten. Die Folge wäre, dass die Eurozone empfindlich schwächer wachsen wird.
Außerdem fielen die jüngsten Inflationsdaten eher gemischt aus: Über die gesamte Eurozone lag sie im August bei 5,3 Prozent, womit sie gegenüber Juli leicht um 0,2 Punkte gesunken ist. Allerdings ist sie in 10 von 20 Eurozonen-Ländern wieder angezogen, wozu wichtige Länder wie Spanien, Frankreich oder Belgien zählen. Dieser Trend dürfte in den kommenden Monaten auch in anderen Ländern zu sehen sein, da die Ölpreise zuletzt stark gestiegen sind. Und selbst die Kerninflation, ohne Energie und Lebensmittel, hat zuletzt wieder nach oben gedreht.
Daraus erwächst für die EZB das nächste größere Risiko – dass sich die Inflationserwartungen wieder nach oben anpassen. Tatsächlich ziehen auch die Preiserwartungen der Unternehmen schon wieder leicht an, wie die monatlichen Umfragen im Auftrag der EU-Kommission zeigen – insbesondere aber in der Dienstleistungsindustrie, die weniger stark von Energiepreisen abhängig sind. Insgesamt geht die EZB daher wohl davon aus, dass sich die Inflationsprognosen nicht wesentlich ändern werden. Darauf deuten Aussagen von EZB-Ratsmitgliedern hin.