Nennenswerte Zinsen waren für deutsche Anleger jahrelang kein Thema. Bei Direktbanken hat sich dies deutlich gedreht, dort bietet mancher Anbieter schon bis zu 3,5 Prozent jährlich, während Volksbanken und Sparkassen ihre Kunden weiterhin vom Zins abklemmen. Das Geld vergammelt auf dem Girokonto. Dabei hat sich die Zinslandschaft in Europa in den letzten beiden Jahren so massiv gewandelt wie nie zuvor. Recht unerwartet vollzieht sich ähnliches im ganz kleinen Rahmen auch anderswo.
0,5 oder 0,7 Prozent Rendite für zehnjährige Anleihen sind auf den ersten Blick kein großer Unterschied. „Und doch ist der kleine Sprung bei den japanischen Zinsen ein erster Fingerzeig, der erfahrene Börsianer derzeit aufschreckt“, sagt Stefan Riße, Anlagestratege bei Acatis. „Immerhin hat Japans Notenbank seit 2016 erfolgreich verhindert, dass der Schlüsselsatz über 0,5 Prozent anzieht“, so Riße. Nun wandelt sich aber auch in der drittgrößten Volkswirtschaft allmählich die geldpolitische Ausrichtung. Der Kampf gegen die Deflation rückt in den Hintergrund, auch in Japan steht die Inflation nun im Fokus.
Sollten die Japaner ernst machen und einen Straffungskurs einschlagen, dürften vielen Großinvestoren schlaflose Nächte bevorstehen. „Immerhin haben die Japaner rund 1,1 Billionen Dollar in amerikanischen Staatsanleihen investiert und sind der größte Gläubiger. Stichwort ist hier der gigantische Carry-Trade“, sagt Jürgen Molnar vom Broker Robomarkets.
Wie läuft das Spiel?
„Bei dieser Währungsspekulation leihen sich Anleger Yen zu einem tiefen Zinssatz und investieren das Geld in andere Währungen, Anleihen oder sogar Aktien. Zumindest bei der reinen Währungsspekulation sind die Risiken eher gering, denn man erhält hohe Zinsen für das investierte Geld und zahlt nur einen geringen Satz für das geliehene Kapital“, so Riße. Japan und die USA sind dafür das beste Beispiel und entsprechend beliebt. Der Yen ist am kurzen Ende sehr niedrig verzinst, zweijährige Anleihen stehen bei 0,02 Prozent, während ihre amerikanischen Pendants mit fünf Prozent locken. Eine hervorragende Ausgangslage für Carry-Trade-Händler, zumal der Dollar im Hochzinsland USA sogar gegen den Yen aufwertete. Wenn viele Akteure dieses Spiel mitmachen, erhöht dies die Nachfrage nach hochverzinslichen US-Anleihen und der Dollar zeigt Stärke. Dies führt zu weiteren Gewinnen und lockt neue Spekulanten an, ein sich selbst verstärkender Effekt setzt ein.
Nun wissen wir aus seiner „Gier ist gut“-Rede von Michael Douglas im Klassiker „Wall Street“, dass man es gerade mit der Gier nicht übertreiben sollte. Daten der US-Terminmarktbörse zufolge waren US-Händler zuletzt massiv in Richtung steigende Renditen positioniert. Bedeutet: Der Weg des größten Schmerzes – und diesen Weg schlägt die Börse häufig ein – wären fallende US-Renditen. „In diesem Fall würde der Renditevorteil gegenüber japanischen Papieren schrumpfen und Yen-Short-Positionen müssten eingedeckt werden“, sagt Salah-Eddine Bouhmidi, verantwortlich für das Marktresearch beim Broker IG. Wenn aber der Dollar-Yen-Wechselkurs fällt und die Renditedifferenz sinkt, stehen die Carry-Trade-Spekulanten von zwei Seiten unter Druck.
Wer schon länger an der Börse aktiv ist, kann sich noch gut an die Yen-Aufwertungsphasen zwischen 2007 und 2011 sowie ab Mitte 2015 bis Sommer 2016 erinnern. „Damals kamen die Aktienmärkte empfindlich unter Druck, während die US-Renditen zulegten“, so Bouhmidi. Lösen Anleger Carry-Trade-Positionen auf, sinkt die Liquidität und Kapital wird vor allem aus risikoreicheren Anlageklassen abgezogen.
Amerikaner auf dem falschen Fuß
Für das US-Finanzministerium kommen die aktuellen Sorgen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. „Um den Haushalt zu stemmen, muss Washington im dritten Quartal Anleihen im Volumen von 1 Billion Dollar begeben und damit 274 Milliarden mehr als bisher angekündigt. In den kommenden Monaten dürfte das Neuemissionsgeschäft daher hoch bleiben“, sagt Molnar.
Anhaltend hohe Haushalsdefizite lassen sich nur über steigende Renditen finanzieren, zumal die Fed ihre Bilanz abbaut. Man darf gespannt sein, wie lange die Währungshüter dies noch fortsetzen werden. Finanzministerin Janet Yellen hat zum Glück gute Kontakte zur Fed. Für die Unternehmen wird die Luft aber schon jetzt dünner, denn die Refinanzierungsbedingungen werden immer schwieriger. Hier liegt die oft unterschätzte kritische Verknüpfung zwischen Aktien- und Anleihemarkt.