Götz Albert , 53, Seit 2019 sitzt der Experte für europäische Mittelständler als Chefanlagestratege bei Lupus alpha im Vorstand. Die Fondsgesellschaft hat sich einen Namen für spezielle Investments gemacht und verwaltet mehr als 11 Mrd. Euro. Mit Erfolg: Im Capital-Fonds-Kompass belegt das Unternehmen regelmäßig einen Top-Platz.
Capital:An den Börsen geht die Angst vor einer globalen Rezession um. Nebenwerten sagt man nach, sie hingen weniger an der Konjunktur. Ist das wirklich so?
GÖTZ ALBERT: Nebenwerte per se sind nicht weniger konjunktursensibel. Aber angesichts eines Universums von circa 1000 investierbaren Nebenwerten in Europa hat man einfach mehr Aktien zur Auswahl, die weniger stark von konjunkturellen Abschwüngen betroffen sind. Natürlich sind da auch einige Werte dabei, die besonders konjunktursensibel sind wie zum Beispiel die Automobilzulieferer. Deshalb sollte man sich jedes Unternehmen und jede Branche einzeln anschauen.
In der Aktienwelt wird zwischen Standard- und Nebenwerten unterschieden. Macht diese Abgrenzung eigentlich Sinn?
Um es mal plakativ zu sagen: Der Begriff Nebenwerte ist in meinen Augen diskriminierend. Schließlich wird damit suggeriert, dass es hier um eine kleine Nebensache geht. Die Realität sieht doch ganz anders aus. Als Anleger sollte man immer den Zugang zur vollen Breite und Tiefe einer Volkswirtschaft suchen. Gerade mit Small und Mid Caps können Sie jedes Thema adressieren. Mit anderen Worten: Als Anleger brauchen Sie beides, und zwar in einer vernünftigen Mischung.
Welche Aufteilung zwischen Bluechips, Small und Mid Caps würden Sie einem Anleger empfehlen?
Wer Small und Mid Caps seinem Aktiendepot nur mit – sagen wir fünf Prozent – beimischt, wird den wirklichen Gegebenheiten in der Volkswirtschaft nicht gerecht. Ich würde eher sagen, dass 60 bis 70 Prozent bei Aktien für Large Caps und bis zu 30 Prozent für Small und Mid Caps eine vernünftige Mischung sind.
Welche Sektoren zählen momentan zu Ihren Favoriten?
Bei Lupus alpha haben wir keinen Branchenansatz, wir denken nur in Einzelwerten. Denn auch in Branchen, die sich aktuell in Krisen befinden, gibt es interessante Kandidaten. Etwa zurzeit bei den Autozulieferern: Hier macht es einen großen Unterschied, ob ein Unternehmen nur auf Technologien für Verbrennungsmotoren spezialisiert ist oder ob es auch für alternative Antriebskonzepte oder autonomes Fahren offen ist.
Auf welche Kriterien sollten Anleger bei Nebenwerten achten?
Wir schauen standardmäßig auf vier Dinge, die immer eine Rolle spielen. Zunächst muss das Geschäftsmodell des Unternehmens tragfähig sein. Zweitens kommt es entscheidend darauf an, ob das Management in der Lage ist, das Geschäftsmodell durch eine gute Strategie umzusetzen. Drittens muss die Marktstellung betrachtet werden: Wie steht das Unternehmen im Wettbewerb da? Dazu kommt, viertens, die reine Zahlenarbeit – also letztlich die Analyse der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung.
Weil Sie das Management erwähnen: Wie eng ist der Austausch mit den Vorständen?
Wir haben Jahr für Jahr circa 1000 persönliche Kontakte mit Vorständen. Beim Kennenlernen ist es für uns wichtig, das Unternehmen vor Ort zu besuchen – vor allem wenn wir uns im produzierenden Gewerbe bewegen. Mit einem Gespräch ist es aber nicht getan. Der Kontakt muss über Jahre gehalten werden. Es folgen viele weitere Gespräche, zum Beispiel nach Vorlage von Geschäftszahlen.
Wie halten Sie es mit fundamentalen Kennziffern wie dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)?
Natürlich sehen wir uns fundamentale Kennzahlen an. Diese muss man aber je nach Unternehmen und Branche unterschiedlich interpretieren. Ein Pharmawert bewegt sich in einer ganz anderen Größenordnung als eine schnell wachsende Technologiefirma. Wichtig sind zum Beispiel auch die Entwicklung der operativen Marge und diverse Verschuldungskennziffern. Das KGV steht in dieser Betrachtung weit hinten, da es auf Gewinnerwartungen beruht – und ganz ehrlich: Seriös lassen sich künftige Gewinne bestenfalls für ein oder zwei Jahre vorhersagen.
Wie sieht es mit der viel beachteten Dividendenrendite aus?
Die Dividendenrendite hat durchaus Aussagekraft. Vor allem bei Unternehmen, die in einer geschützten Nische operieren und viel Cash generieren, können Dividenden ein Indikator für die ökonomische Leistungsfähigkeit sein. Bei Wachstumsunternehmen spielt sie dagegen natürlich keine so große Rolle.
Wir versuchen, durch unsere Analysen Dinge zu sehen, die der Markt bisher übersehen hat. Wenn Sie so wollen, stellen wir also unsere eigene Transparenz her
Götz Albert
Viele mittelständische Unternehmen befinden sich ja mehrheitlich in Familienhand. Schreckt Sie das ab, oder ist das für Sie sogar eher ein Kaufargument?
Familiengeführte Unternehmen denken weniger in Quartalen, eher in Generationen. Uns gefällt, dass die Interessen der Manager mit den Interessen der Eigentümer einhergehen. Dennoch sind für uns Familienunternehmen nicht per se die bessere Anlage. Denn es gibt auch negative Aspekte, wenn zum Beispiel krampfhaft versucht wird, die Führung innerhalb der Familien zu halten. Auch hier gilt also: Wir prüfen das in jedem Einzelfall.
Ist die geringere Transparenz ein Problem bei Nebenwerten?
Im Gegenteil – das ist eine große Chance! Wir versuchen, durch unsere Analysen Dinge zu sehen, die der Markt bisher übersehen hat. Wenn Sie so wollen, stellen wir also unsere eigene Transparenz her. Bei den kleinen Werten lassen sich mit aktivem Management noch Chancen entdecken. Das ist bei Large Caps, die teilweise von mehreren Dutzend Analysten beobachtet werden, viel schwieriger.
Ist für Sie eine Indexzugehörigkeit, etwa zum MDax oder zum SDax, ein Investitionskriterium?
Eigentlich nicht – es sei denn, ein Index ist uns durch die Regularien des jeweiligen Fonds vorgegeben. Wir selbst haben uns aber gewisse Mindestmarktstandards auferlegt. So investieren wir nicht in Aktien, die im unregulierten Freiverkehr gelistet sind. Denn hier werden zu wenig Zahlen veröffentlicht, und oft werden auch einfach zu wenig Papiere überhaupt gehandelt, sind also nicht liquide genug.
Apropos Liquidität: Wie gehen Sie beim Ein- und Ausstieg vor, ohne die Kurse massiv zu beeinflussen?
Der richtige Ein- und Ausstieg ist tatsächlich in diesem Segment von entscheidender Bedeutung. Dazu haben wir bei Lupus alpha zwei Spezialisten, die sich um nichts anderes als um den Auf- und Abbau von Positionen kümmern. Sie wissen sehr genau, wie es um die Liquidität der einzelnen Aktien bestellt ist und wie sie vorgehen müssen, um auch an größere Aktienblöcke zu kommen. Block-Trades sind sehr wichtig für uns: Wenn Großaktionäre größere Pakete abgeben wollen, können sich interessante Kaufgelegenheiten ergeben.
Was raten Sie Privatanlegern, die diese Möglichkeiten nicht haben?
Auch Privatanleger können bei ganz kleinen Nebenwerten, auch Micro Caps genannt, mit ihren Orders größere Kursbewegungen auslösen – gerade bei Werten mit geringer Marktkapitalisierung. Daher sollten Anleger beim Ein- und Ausstieg unbedingt mit Limiten arbeiten.
Der aktuelle Kursaufschwung reicht bis ins Jahr 2009 zurück. Wie beurteilen Sie heute die Marktlage: Haben wir schon Einstiegschancen, oder kommt die große Korrektur noch?
Wir leben in einem Umfeld, das zwei ganz starke Einflussfaktoren hat: Die Weltbevölkerung wächst, vor allem in Ländern, die sich ökonomisch liberalisieren. Das führt dazu, dass wir ein relativ starkes globales Weltwirtschaftswachstum haben – auch wenn wir aktuell eine Abschwächung sehen, die bedrohlich wirkt. Dazu kommt der Einfluss der Politik auf die Aktienmärkte, der aktuell viel stärker wirkt als in den vergangenen Jahren. Private Anleger sollten sich weniger um die kurzfristigen Trends und das Timing kümmern. Viel wichtiger ist es, langfristig dabeizubleiben. Insofern wäre ein Abschwung an der Börse – sollte er denn kommen – nichts Beunruhigendes.
Das bedeutet im Gegenzug: Bei einer Korrektur sollten Anleger die Hand aufhalten und bei ihren favorisierten Aktien zugreifen?
Wenn wir einen drastischen Kursrutsch für ungerechtfertigt halten, stehen wir auf der Käuferseite. Ein Extrembeispiel war der Tag nach der Brexit-Entscheidung, als viele Small und Mid Caps mit großen Verlusten in den Handel starteten. In solchen Situationen hilft uns natürlich, dass wir den Markt ständig screenen und die Welt der Nebenwerte gut kennen.
Das Interview ist in Capital 10/2019 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay