Die Daten hätten eigentlich erst am Mittwochabend veröffentlicht werden sollen. Stattdessen tickerten aber wegen eines Fehlers schon am Dienstag die neuen Quartalszahlen des Chipbranchenausrüsters ASML bei den Börsendiensten ein. Und sie fielen schlechter aus, als von Analysten erwartet. Das führte zu einem fast beispiellosen Absturz des ASML-Kurses von zuvor fast 800 Euro auf rund 660 Euro.
Am Mittwochmorgen rutschte der Kurs dann noch weiter ab auf 630 Euro. Damit vernichtete Europas größter Ausrüster für die Halbleiterindustrie auf einen Schlag rund 50 Mrd. Euro an Börsenwert. Weil das wiederum auch die Kurse anderer Branchenunternehmen nach unten zog, gingen rund 420 Mrd. Euro an Marktkapitalisierung in Rauch auf, wie der Börsendienst Bloomberg errechnete.
Die Frage, warum die Zahlen zu früh durchsickerten, ist noch nicht geklärt. Das Unternehmen selbst teilte dazu mit, es sei ein „technischer Fehler“ gewesen, der nun untersucht werde. Man darf es sich wohl so vorstellen, dass im Unternehmen am Dienstag an der Aufbereitung der Daten für die Börsendienste gearbeitet wurde und anscheinend jemand aus Versehen bereits auf den „Sende“-Button gedrückt hat. Der Direktor der niederländischen Vereinigung der Aktienbesitzer kommentierte es jedenfalls gegenüber Medien so: „Jemand dort wird heute Nacht extrem schlecht geschlafen haben. Auch bei ASML arbeiten Menschen, die Fehler machen können.“
Viel weniger Umsatz als erwartet
An den Zahlen aber, die so einen Tag früher die Runde machten, ändert das natürlich nichts. Und auch der Kurssturz wäre wohl bei der regulären Veröffentlichung am Mittwoch genauso hoch ausgefallen. Denn der Chipbranchenausrüster stutzte seine Umsatzprognose für das laufende Jahr: Ursprünglich hatte ASML einen Bruttoumsatz von rund 30 bis 40 Mrd. Euro in Aussicht gestellt, nun sollen es nur 30 bis 35 Mrd. Euro werden. Mehrheitlich hatten Analysten zuletzt mit 36 Mrd. Euro gerechnet. Auch die Bruttomarge sank im abgelaufenen Quartal leicht auf 50,8 Prozent und soll nun auf Jahressicht 51 bis 53 Prozent betragen. Hier hatten Analysten eher 54 Prozent angesetzt oder mehr.
Vollends erschreckten den Markt jedoch die Zahlen, die einen Ausblick auf die kommenden Quartale ermöglichen: Die Bestellungen seien im dritten Quartal stark zurückgegangen. Hier waren Marktbeobachter zuletzt mit einem Auftragswert von rund 5 Mrd. Euro ausgegangen, den sich das Unternehmen auch erhofft hatte. Tatsächlich sammelte ASML aber nur Aufträge über 2,6 Mrd. Euro ein, also nur rund die Hälfte. Das dürfte sein Wachstum in den Folgequartalen bremsen. Eine Reihe von großen Kunden halte sich momentan bei der Auftragsvergabe zurück.
Die Zahlen klingen dramatisch, weil sie einige Hoffnungen infrage stellen, die zuletzt in die boomende Chipbranche gesetzt wurden. Entsprechend sackten auch die Kurse von Nvidia, AMD, Broadcom, Infineon und SAP nach der Veröffentlichung von ASML deutlich nach unten weg. Auch asiatische Chipwerte bekamen den Pessimismus zu spüren. Doch wie bedrohlich ist nun die Lage am Chipmarkt? Und sind die schlechten Zahlen von ASML ein spezifisches Problem des niederländischen Ausrüsters – der hierzulande als großer europäischer Hoffnungswert der KI-Branche galt? Oder zeugen sie von einer sich abzeichnenden Schwäche der Gesamtbranche?
Viele Chiphersteller schieben Anschaffungen hinaus
Derzeit wird deutlich, dass sich der Halbleiter- und Chipmarkt nach dem starken Einbruch infolge der Zinserhöhungen von 2021 tatsächlich langsamer erholt als gedacht. Viele Halbleiterhersteller produzieren zwar nach wie vor große Mengen, weil die Nachfrage zurückgekehrt ist. Doch während der Hunger nach KI-Chips anhaltend groß ist, drosseln andere Branchen wie die Automobilindustrie derzeit kräftig ihre Chipnachfrage. Zudem scheuen viele Chiphersteller derzeit den Aufbau zusätzlicher Produktionsanlagen und Werke. Genau das bekommt ASML zu spüren.
Die Niederländer verkaufen jene Lithographiemaschinen, mit denen die Halbleiter belichtet werden. Und sie beobachten, dass Abnehmer wie der taiwanesische Chiphersteller TSMC derzeit neue Maschinenanschaffungen erst einmal hinausschieben. Auch der Großabnehmer Intel verschob jüngst den Bau seines neuen Werkes in Magdeburg um mindestens zwei Jahre nach hinten. Solche Aufträge fehlen ASML jetzt.
Sehr stark bestellten zuletzt noch die chinesischen Chiphersteller neue Maschinen. Doch das ist eine Art Sonderverkauf, da die dortigen Unternehmen fürchten, dass sie nicht mehr sehr lange Aufträge in Europa platzieren können. Demnächst könnten Exportbeschränkungen bei Halbleitern drohen, die von der US-Regierung angestrebt werden. Die niederländische Regierung wägt noch ab, wie stark auch sie solche Beschränkungen einführen wird, um die Chancen der heimischen Unternehmen auf dem amerikanischen Markt nicht zu gefährden. Im Handelsstreit zwischen den USA und China geraten europäische Hersteller so zunehmend in Bedrängnis. Künftig dürften die Bestellzahlen aus China deutlich kleiner ausfallen.
Der Grund für die schlechteren Margen
Im abgelaufenen Quartal jedenfalls stammte noch rund die Hälfte des Umsatzes bei ASML von chinesischen Firmen. Doch es sind nicht unbedingt die technologisch ausgefeiltesten Maschinen, die in die Volksrepublik geliefert werden, sondern eher niedriger technologisierte. Das war auch der Grund für die etwas kleineren Margen von ASML im dritten Quartal: Bei den weniger fortschrittlichen Maschinen sind nicht ganz so große Gewinnspannen drin und die Preissetzungsmacht des Konzerns ist geringer.
Wie geht es nun weiter? Für das vierte Quartal geht ASML durchaus von einem Umsatzanstieg aus. Aber weiter von einer etwas kleineren Bruttomarge um 51 Prozent. Was allerdings immer noch beeindruckend ist im internationalen Vergleich. Im dritten Quartal schnellte auch der Gewinn des Konzerns um immerhin 30 Prozent in die Höhe. Doch das wurde angesichts der Datenpanne kaum wahrgenommen.
Für das kommende Jahr rechnet ASML selbst immer noch mit einer stark steigenden Nachfrage. Und klassischerweise ist der Konzern dafür bekannt, dass er sehr bescheidene Prognosen abgibt, sie dann aber regelmäßig übertrifft. Genau deshalb erschreckten die aktuellen Zahlen wohl auch die Investorenwelt so stark, weil sie am unteren Rand der Erwartungen lagen.
Das Wachstum dürfte aber wohl anhalten
Insgesamt gehen jedoch viele Analysten davon aus, dass der Konzern weiter gute Zahlen schreiben dürfte. In den vergangenen drei Jahren schwankten die Auftragseingänge jeweils von Quartal zu Quartal stark, sie bewegten sich in einer Spanne von 2,6 bis 9,2 Mrd. Euro. Durchschnittlich waren es 6 Mrd. Euro je Quartal. Das heißt: Am unteren Rand der Spanne lagen sie seltener als am oberen Rand. Deshalb bleiben viele Analysten optimistisch: Im Grunde müsste ASML nur im vierten Quartal und im ersten Quartal 2025 jeweils rund 3,5 Mrd. Euro an Aufträgen einsammeln, um die Zahlen abzuliefern, die es prognostiziert hat. Das scheint machbar.
Die meisten Analysten hielten daher erst einmal an ihren Kurszielen für die Aktie fest und die überwiegende Mehrheit empfiehlt sie weiterhin zum Kauf. Der Markt sei derzeit zu negativ gegenüber ASML eingestellt, lauteten Sofortreaktionen. Die Zielmarken für den Kurs liegen noch bei rund 900 bis rund 1200 Euro. Angesichts des großen Dämpfers, den sie erlitten hat, wäre sie also mit rund 640 Euro derzeit stark unterbewertet.