Darauf haben die Wall-Street-Investoren lange gewartet: Die US-Inflation kühlt stärker ab als erwartet und eine erste Zinssenkung der US-Notenbank Fed im September wird realistisch. Jetzt heißt es: Einpreisen, einpreisen, einpreisen. Im Alltag der Profi-Investoren bedeutet das ganz konkret, dass sie wieder in risikoreichere Aktien einsteigen können. Immer nur auf die großen US-Tech-Werte Nvidia, Microsoft, Apple und Alphabet, Amazon, Meta und Tesla setzen zu müssen, ist auf Dauer langweilig. Doch damit stürzen sie die Kurse der sogenannten Magnificent Seven jetzt in starke Verluste.
„Die Inflationsdaten aus den USA haben einen positiven Paukenschlag für die Finanzmärkte geliefert“, kommentierte LBBW-Ökonom Elmar Völker. Am Donnerstag hatte das US-Arbeitsministerium in Washington für Juni lediglich eine Steigerung der Verbraucherpreise um drei Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gemeldet. 3,1 Prozent war erwartet worden, 3,3 Prozent hatte die Rate noch im Mai betragen.
Während die Tech-Aktien nach der Bekanntgabe zwischen 2,3 und 8,4 Prozent verloren, zog der US-Nebenwerteindex Russel 2000 um mehr als vier Prozent an. „Die sicheren Tech-Häfen litten, während konjunktursensible Titel Unterstützung bekamen“, sagt Sven Streibel, Chef-Aktienstratege der DZ Bank. Seit den Zinssteigerungen 2022 liegen die Bewertungen der kleinen und mittelgroßen Werte auf einem historisch niedrigen Niveau, obwohl sich die Gewinnaussichten im Schnitt nicht eingetrübt hatten.
Die Korrektur der Tech-Werte wirkt hart: 623 Mrd. Dollar haben sie binnen eines Tages verloren, Chip-Produzent Nvidia davon allein 180 Mrd. Dollar. Wegen des Hypes um neue KI-Technologien und trotz aller Krisen stabiler Geschäftsaussichten haben die Aktien der Konzerne im Jahresverlauf schnell zugelegt.Für Anleger gab es kaum Alternativen. Sinken die Zinsen, kommen auch kleinere Unternehmen wieder besser an Geld und können investieren. Dann sind auch sie wieder attraktiv. Der jetzige Einbruch ist deshalb keine Überraschung sondern war zusammen mit dem Ausblick auf Zinssenkungen erwartet worden. Und es kann auch noch heftiger kommen.
Zinssenkungen nicht sicher
Zwar hat der Future-Markt bereits Zinssenkungen der Fed im September eingepreist. Doch nicht alle Investoren sind davon überzeugt. Marc Dowding von RBC Blue Bay Asset Management etwa geht zwar davon aus, dass die US-Inflationsdaten im Sommer weiter sinken werden, aber nicht auf das Fed-Ziel von zwei Prozent. Die Zinssenkungen hält er deshalb nicht für ausgemacht. „Bereits im vergangenen Jahr haben die Marktteilnehmer den Fehler gemacht, zu früh von Zinssenkungen auszugehen“, sagt er.
Es gibt also noch Zurückhaltung, nicht alle schichten bereits in risikoreichere Anlagen um. Die jetzige Korrektur kann vor diesem Hintergrund als Vorgeschmack auf den Zeitpunkt gewertet werden, an dem die Inflation weiter sinkt und die Fed noch deutlichere Signale sendet.
Klar ist: Während der jetzt startenden Berichtssaison werden die Investoren wieder genauer auf die Geschäftsentwicklung der großen Tech-Firmen schauen und Schwächen eher abstrafen. „Enttäuschungen bei den KI-verwöhnten Tech-Giganten könnten entsprechend ihrer hohen Gewichtung für den Gesamtindex ein Schwankungstreiber sein“, sagte auch Streibel von der DZ Bank. Für die Kapitalmärkte bedeutet das eine Normalisierung – und unter diesem Aspekt ist der Einbruch zu begrüßen.