Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen
Gegen den Strom schwimmen, das tun viele gelegentlich mal. Auch einzelne Aktien bewegen sich dann und wann in eine andere Richtung als der Markt. Aber gegen den Strom fliegen, das kommt schon sehr viel seltener vor. Auch bei Wertpapieren ist es eher eine große Ausnahme, denn Luftfahrtaktien sind sehr zyklische Papiere. Sie gewinnen, wenn die Konjunktur gut läuft und es auch am Aktienmarkt kräftig brummt. Und ihre Kurse knicken ein, wenn die gesamtwirtschaftliche Stimmung sich eintrübt und auch die Märkte nach unten drehen. So gilt es jedenfalls meistens, doch in letzter Zeit ist die Branche sehr viel unberechenbarer geworden und die Kurse der Luftfahrtgesellschaften volatiler. Die Lufthansa etwa notiert so tief wie seit vier Jahren nicht mehr. Deshalb darf man sich schon fragen, wie tief die Aktienkurse wohl noch sinken werden.
Während der Deutsche Aktienindex Dax in der vergangenen Woche von der guten Anlegerlaune beflügelt wurde und seine Erholung fortsetzte, drehten die Kurse der Airlines scharf nach unten – und das, obwohl der Markt auch gute Nachrichten zu bieten hatte: Gute Auftragszahlen, ausgelastete Flieger, billiges Kerosin und Zusammenschlüsse für mehr Effizienz, das waren – kurz zusammengefasst – die Schlagzeilen der jüngsten Vergangenheit. Aber offenbar reicht das alles noch nicht, um den Airlines wieder anhaltend zum Höhenflug zu verhelfen. Jedenfalls nicht bei denen, um die sich Anleger derzeit Sorgen machen.
Lufthansa kann Anleger nicht begeistern
Da ist allen voran die Lufthansa, Deutschlands Luftfahrt-Flaggschiff, das gerade verkündete, einen Deal mit der angeschlagenen Air Berlin einzugehen. Die Lufthansa will von der Billigairline 40 Maschinen samt Besatzung leasen und damit über ihre Tochter Eurowings einige Strecken bedienen, auf denen sie bisher nicht präsent war. Da es die Konkurrenz der Billigflieger Ryanair und Easyjet hier bisher auch nicht ist, stehen die Aussichten gut, dass die Lufthansa auf einigen dieser Verbindungen die Preise anheben und für mehr Rentabilität sorgen kann. Zudem tütete die Lufthansa die Komplettübernahme von Brussels Airlines ein, an der sie bereits vorher 45 Prozent besessen hatte und mit dem sie schon länger liebäugelte.
Und sie unterzeichnete nach zwei Jahren zuletzt endlich einen Vertrag mit Air China, mit dem sich beide Gesellschaften zu mehr Kooperation auf Langstreckenverbindungen nach Asien verständigen. Das soll beiden Unternehmen bessere Flugpläne und eine höhere Auslastung der Maschinen versprechen. Das klingt alles in allem, als zöge die Lufthansa nach Jahren der Flaute nun wieder davon.
Doch die Anleger begeisterte es nicht. Im Gegenteil, viele sind skeptisch, ob ausgerechnet die defizitäre Air Berlin wirklich einen neuen Schub fürs Lufthansa-Geschäft bringt. Deshalb waren sie auch deutlich zurückhaltend bei der Lufthansa-Anleihenemission, die vergangene Woche vonstatten gehen sollte. Das Unternehmen wollte damit 500 Mio. Euro von Investoren einsammeln, fand aber nicht genügend Käufer und sagte die Ausgabe der Papiere schließlich ab. Das schreckte wiederum die Aktienbesitzer. Sie schickten die Lufthansa-Papiere in den Sinkflug. Der Kurs verlor zwischenzeitlich von 10,30 Euro auf 9,80 Euro. Die Kooperationen der großen Airlines sehen sie außerdem eher als Zeichen dafür, dass der Markt für Fluggesellschaften zunehmend härter wird.
Es war noch nie einfach, in dieser Branche Geld zu verdienen, sagen Beobachter. Allmählich aber scheint es noch schwieriger zu werden. Obwohl das Marktumfeld eigentlich gut ist und die sinkenden Ölpreise das Geschäft der Kerosinverbrenner positiv beeinflussen. Doch mit rückläufiger Nachfrage, Überkapazitäten und sinkenden Umsätze plagen sich viele der Konkurrenten. Auch der Großzusammenschluss von Air France und KLM ringt derzeit um seinen Platz am Markt und will künftig eine neue Strategie fliegen. Er will ebenfalls vermehrt auf günstige Angebote setzen. Das könnte sich auszahlen, denn einzig die Billigflieger meldeten zuletzt volle Flugzeuge.
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Bei Ryanair zum Beispiel ging es zuletzt steil bergauf, auch mit dem Kurs. Seit 199 legte die Aktie vom Pennystock auf 12,50 Euro zu. Allein in den vergangenen zehn Jahren kam sie auf eine Wertentwicklung von 196 Prozent. Doch jetzt machte der Brexit dem Unternehmen – ebenso wie auch dem Konkurrenten Easyjet – einen dicken Strich durch die Pläne: Er ließ nicht nur den Ryanair-Kurs Ende Juni von 13 Euro um knapp 3 Euro abstürzen, sondern er wirft auch viele Probleme auf: Bisher hat die irische Airline viele ihrer Flugzeuge im nahen Großbritannien stationiert. Künftig will sie neue Maschinen außerhalb der britischen Insel unterbringen, also in der EU. Und sie muss sich wohl auch eine neue Aktionärsstruktur zulegen. Denn laut Vorschriften müssen europäische Luftfahrtgesellschaften auch europäisch geführt werden. Das heißt, sie dürfen höchstens einen Anteil von 49 Prozent an Nicht-EU-Aktionären haben. Künftig wären alle britischen Aktionäre von Ryanair Nicht-EU-Aktionäre, deshalb muss die Airline nun umstrukturieren. Ein Aktienrückkauf ist als erster Schritt geplant.
Aber sind nicht diese vielen neuen Richtungsänderungen auch eine gute Chance für Anleger? Schließlich entscheidet sich vermutlich gerade, wer den Konkurrenzkampf am Markt überleben wird und wer auf Dauer mit seiner Strategie wettbewerbsfähig bleibt. Doch ist es die Lufthansa mit ihrem Qualitätsdenken und dem Anspruch, hohe Preise vor allem bei den Geschäftsreisenden durchzusetzen? Oder die Billigkonkurrenz, die es auf die Masse der Flugreisenden abgesehen hat und die mit günstigen Tickets umwirbt? Das ist in der Tat noch schwer auszumachen. Risiken stecken in beiden Geschäftsmodellen. Hinzu kommen die noch unkalkulierbaren Brexit-Kosten. Wegen ihnen hat Ryanair-Chef O´Leary jüngst seine Anleger zumindest auf vier harte Jahre eingeschworen. Und danach?
Glaubt man den Analysten, dann sind die Ryanair-Aussichten dennoch gut. Mit zehn Prozent Unternehmenswachstum rechnen sie bis 2019. Noch sei der Preis der Aktie fair und der Trend neutral. Das heißt: Kurzfristig sehen sie keine Aufwärtsbewegung, aber mittelfristig, also bis 2019, rechnen sie sehr wohl damit. Es könnte sich also sehr wohl lohnen, beizeiten ein paar Ryanair-Papiere zu kaufen.
Lufthansa-Aktie bewegt sich gegenläufig zum Dax
Für die Lufthansa-Papiere sind die Prognosen dagegen nicht so gut. Derzeit sagen doppelt so viele Analysten „Verkaufen“ (nämlich 20) wie „Kaufen“ (das sagen nur elf). Fast ebenso viele (19) sind unentschieden und raten zum „Halten“. Ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt bei knapp unter vier, also eigentlich sensationell niedrig und auch weit unterhalb des Branchenschnitts, der bei knapp acht liegt. Müsste sich da ein Kauf nicht trotzdem lohnen? Er kann schon, er muss es nicht. Vor allem aber muss der Kurs nicht automatisch nach oben drehen, wenn die anderen Aktien es auf breiter Front tun. Vermutlich tut er sogar genau das Gegenteil. Momentan scheint die Lufthansa nämlich eher ein Kontraindikator zu sein: Seit 2014 bewegt sich ihr Kurs exakt gegenläufig zum Dax. Auf Dreijahressicht legte der Aktienindex 20 Prozent zu, während die Lufthansa-Aktie 30 Prozent verlor. Auf Fünfjahressicht gewann der Dax 75 Prozent, die Airline aber machte so gut wie überhaut keinen Boden gut.
Das spricht nicht unbedingt dafür, sich das Papier ausgerechnet jetzt ins Depot zu packen. Bleibt die Fluggesellschaft aber auf genau diesem Kurs, dann wäre sie immerhin eine tröstende Alternative in Zeiten des allgemeinen Kursabsturzes. Denn dann müsste es ja folglich zügig mit ihr bergauf gehen – vorausgesetzt sie hat bis dahin ihre Umsätze und Kooperationen alle wieder im Griff und hält sich weiter an das Prinzip, auch größere Strecken gegen den Strom zu fliegen.
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