Wenn die große Hektik am Ende eines Jahres endlich nachlässt, fragt man sich gerne, wie das abgelaufene Jahr denn nun war. Und was wohl als Nächstes kommt. Dahinter steckt immer einerseits die Hoffnung, dass man sich selbst bestätigen kann, dass man – trotz allem – vieles richtig gemacht hat. Das wäre auf jeden Fall die schönste und beruhigendste Nachricht, die man sich selber am Jahresende noch einmal geben könnte. Und selbst wenn man sich eingestehen muss, dass nicht alles optimal gelaufen ist, so birgt das doch den Trost, im nächsten Jahr so manches besser machen zu können, sofern man die bisherigen Schwächen erkannt hat. Die spannende Frage ist nun: Gilt das auch für das kommende Anlegerjahr?
Denn zumindest eines lässt sich inzwischen eindeutig beantworten: 2017 war ein großes Jahr, ein geradezu denkwürdiges, finden Analysten. Nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht hatte 2017 mehr zu bieten, als viele gedacht hatten. Wachstum vor allem, deshalb mussten diverse Wirtschaftsforscher und Ökonomen ihre Prognosen erst zuletzt wieder nach oben korrigieren. Aber auch für die allermeisten Anleger war 2017 mit satten Zugewinnen verbunden, denn man muss sich schon sehr bemühen, um einen Bereich zu finden, der in den vergangenen zwölf Monaten nicht wuchs:
Weltweit stiegen die Aktienmärkte um 16 Prozent, die europäischen Werte legten immerhin acht Prozent zu, wobei der deutsche Dax sogar um 14 Prozent kletterte. In den Schwellenländern wie Indien, China, Russland, Brasilien und Co. sind höhere Wachstumsraten üblich und sie enttäuschten mit einer Wertsteigerung von 25 Prozent die Erwartungen auch nicht. Die große Überraschung des Jahres aber waren zweifellos die Vereinigten Staaten von Amerika, die durch ihre industriefreundliche Politik genauso stark wuchsen wie jene aufstrebenden Staaten, nämlich ebenfalls um knapp 25 Prozent. Das hatten zuvor die wenigsten erwartet, auch wenn sie der Wirtschaft der USA nach den Wahlversprechen des neuen US-Präsidenten Donald Trump einiges an Aufwärtspotenzial zugetraut hatten.
Zugpferd Technologiewerte
Noch rasanter schossen Techaktien nach oben : Der Nasdaq-Index brachte es auf 31 Prozent, der TecDax sogar auf satte 40 Prozent Kursplus. Manche Marktbeobachter hatten das kommen sehen und deshalb Ende 2016 geraten, stärker auf den Sektor zu setzen. Global gesehen war der Technologiesektor tatsächlich das große Zugpferd, was übrigens auch einer der Hauptgründe dafür war, warum die aufstrebenden Staaten so enorm zulegten. Denn hier machen die Technologiewerte zusammen immerhin rund 30 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung aus. Und auch 2018, so sagen große Fondsmanager, soll ein recht gutes Jahr für Techaktien werden.
Einzig bei den Rohstoffen lief es 2017 nicht ganz so gut. Sie verbuchten eher einen zehnprozentigen Wertverlust auf breiter Front. Und diesmal war nicht das Öl daran schuld, das sich um rund 16 Prozent verteuerte. Aber das Jahr der Superrohstoffe, das noch Ende 2016 einige Analysten vorhergesagt hatten, war 2017 damit auch nicht gerade.
Doch jenseits dieser beruhigenden Vergangenheitsbetrachtung: Was bedeutet all das nun für die Zukunft? Wird es wirklich noch einmal ein Jahr so weitergehen – wo doch schon beim letzten Jahreswechsel alle warnten, der derzeitige ewige Aufschwung werde bestimmt nicht noch ein weiteres Jahr anhalten. Im Grunde dauerte er vielen Marktbeobachtern schon vor Jahresfrist zu lange. Acht Jahre Aufschwung war das nicht schon genug? Nun werden es wirklich neun Jahre sein, oder vielleicht sogar zehn, wenn der Aufschwung auch 2018 noch anhält. Und danach sehe zurzeit alles aus sagen die Prognosen. Die Anleger könnten in Erwartung von 2018 die Sektkorken knallen lassen. Es sei wie beim Märchen von Goldlöckchen, daran fühlen sich derzeit viele erinnert: Dabei findet ein goldgelocktes Wesen eine geradezu paradiesische Hütte mit Essen und weichem Bettchen vor. Und lässt sich dort häuslich nieder. Diese Geschichte erzählen sich Börsianer gerade allen Ernstes.
Aufschwung ohne Ende?
Und sie sehen viele Parallelen zur Realität: Die Zentralbanken und der internationale Währungsfonds haben nicht umsonst jüngst ihre Prognosen für die Weltwirtschaft nach oben korrigiert. Das Wachstum werde sich fortsetzen. Ökonomen sehen auch kaum Risiken, die das gefährden könnten. Zumindest nicht, so lange es nicht zu einer überraschenden Explosion der Inflationsraten komme, die ein Umsteuern der Notenbanken bei der Währungspolitik nötig machen würden. Ein Aufschwung ohne Ende – ist das nicht zu schön, um wahr zu sein?
Es ist zumindest nicht zu abwegig, denn all das hat es schon einmal gegeben. Auch in den 90er-Jahren erlebte die Welt ein Jahrzehnt des stetigen Wachstums und fast ohne Inflation – woran sich nur heute, zwei große Wirtschaftskrisen später, bloß noch die wenigsten erinnern. Die jetzigen Wachstumsraten alleine aber machen die Wirtschaft auch nicht fit für die Zukunft, muss man dabei sagen. Denn die dringend nötigen Investitionen, die ein nachhaltiges Wachstum garantieren würden, werden in den entwickelten Ländern weiterhin zu wenig getätigt, mahnen Ökonomen. Zurzeit lebe die Wirtschaft hier von der Substanz. Was dagegen nötig ist, um die Unternehmer zum Investieren zu bewegen, hat bisher noch niemand herausgefunden. Die extrem niedrigen Zinsen sind es offenbar nicht. Denn tiefer als bisher können sie ja eigentlich nicht sinken.
Es könnte allerdings sein, dass sie genau dort verharren, so äußerte sich zuletzt Bert Flossbach, einer der bekannten deutschen Vermögensverwalter und Fondsmanager. Er verstieg sich sogar zu der Aussage, die tiefen Zinsen „blieben für die Ewigkeit“. Das ist ohne Zweifel eine gewagte These, die besonders den Lebensversicherern und Anleihenanhängern den Angstschweiß auf die Stirn treiben wird. Die jedoch für Aktienanleger bedeuten würde: Die derzeitigen Bewertungen sind noch längst nicht zu hoch, wie viele fürchten. Sie könnten sogar noch viel höher ausfallen, wenn die üblichen Zinsanlagen sich nicht wieder berappeln.
Gefahr durch Turbulenzen im zweien Halbjahr
Immerhin teilen fast alle Fondsmanager und Großanleger dieser Tage die Einschätzung, dass man ruhig in Aktien investiert bleiben könne. Das Gros der Vermögensverwalter und Mischfondsmanager, die immerhin sämtliche Anlageklassen für ihre Produktkategorien zur Verfügung haben, ist selbst zu mindestens 60 Prozent in Aktien investiert. Wenn nicht sogar mehr, denn einige bringen es auch auf 70 oder 80 Prozent. Immerhin sei es aber Zeit für eine stärkere Absicherung der Risiken, finden einige wie der Anleihegigant Pimco. Auch die Strategen von NN Investment Partners ermuntern zwar, dass es mindestens noch ein Halbjahr mit steigenden Aktienkursen weitergehe. Doch inzwischen hätten die zyklischen Werte und Finanzwerte derart outperformed und sich dadurch in den Bewertungen so weit von den defensiven entfernt, dass das schon wieder ein Warnzeichen sein könnte. Die Konjunktur sei inzwischen zumindest in Amerika in einem „späten Stadium“ angekommen, das zeigten auch die Unternehmensgewinne. Der kurze Hype der US-Steuerreform katapultiere sie dabei nur noch schneller nach vorn, also an jenen Punkt, an dem die Stimmung dann irgendwann kippt. Andere sagen etwas direkter: Der Gipfel des Wachstums scheint erreicht. Spätestens im zweiten Halbjahr 2018 könne es daher zu Turbulenzen kommen – und sei es auch nur in Form von höherer Volatilität.
Nun sieht zwar keiner den großen jähen Absturz. Und auch von einem Platzen der Aktienblase will keiner sprechen. Aber Luft könne auch ohne lauten Knall entweichen, sagen Mahner. Das große drohende Risiko derzeit bleibe auf jeden Fall die Inflation. Entwickle die sich weiter normal, so werde auch 2018 ein gutes Jahr. Doch gerate sie aus den Fugen und stiegen die Notenbanken auf die Bremse – dann brächte das den Bullenmarkt in Gefahr. Aber auch tatsächlich erst das.
Letztlich können Anleger das nur abwarten – und da schließt sich der Kreis zum Goldlöckchen-Märchen. Denn natürlich war das gemütliche Haus nicht unbewohnt und verlassen, sondern seine Bewohner waren nur kurzzeitig unterwegs, während es sich das blondgelockte Wesen hier bequem machte. Und sie ahnte ja nicht, wer hier wohnte, bis die Bande plötzlich vor der Tür stand: Es waren drei Bären, bei deren Anblick das Goldlöckchen panisch die Flucht ergriff. Ob sie die Flucht überlebte oder nicht, daran scheiden sich die Märchenversionen. Zumindest auf Letzteres sollten Anleger es finanziell nicht ankommen lassen und vielleicht schon einmal in weniger zyklische Sektoren umschichten und in defensivere Aktien, die auch einen möglichen Absturz besser überstehen. Falls die Bären dann auch bei den Börsen irgendwann vor der Tür stehen.