Sven Gábor Jánszky ist Zukunftsforscher und Direktor des „2b AHEAD ThinkTanks“. Auf seine Einladung treffen sich seit zwölf Jahren 250 CEOs und Innovationschefs der deutschen Wirtschaft und entwerfen Zukunftsszenarien und Strategieempfehlungen für die kommenden zehn Jahre.
Lassen Sie uns bitte mit einem grundlegenden Missverständnis aufräumen. Die „Sharing Economy“ gibt es nicht! Es ist eine der modernistischen Wortschöpfungen, mit denen Trendforscher und Kreativagenturen gern um sich werfen, weil sie bessere Geschäfte machen wenn sie Buzzwords besetzen. Als vor einigen Jahren die deutschen Automobilkonzerne feststellten, dass junge Menschen in Berlin weniger Autos kauften sondern stattdessen Carsharing-Dienste nutzten, sprach sich die Mär von der angeblichen „Sharing Economy“ schnell herum. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Das grundlegende Missverständnis ist die Behauptung, dass jene jungen Berliner plötzlich ganz öko und nachhaltig geworden wären. Das ist Unsinn.
Der wirkliche Grund für ihr Verhalten ist ein Wertewandel im Freiheitsempfinden der Menschen. Kurz gesagt: In Berlin und den urbanen Metropolen erhöht es die individuellen Freiheitsgrade erheblich, kein Auto zu besitzen. Die Allermeisten teilen, weil es ihre Freiheit erhöht und Kosten spart. Das Neue an der sogenannten „Sharing Economy“ ist also nicht das Teilen, sondern die Fähigkeit, durch Datenanalyse die Produkte für jeden Kunden individuell und situativ passend zu machen. Der Begriff für die Summe aus „individuell“ und „situativ“ ist: Adaptivität. Wir haben es also in Wirklichkeit mit einer „Adaptive Economy“ zu tun.
Die Frage der Macht
Es waren die lizenzierten Taxifahrer und ihre Taxizentralen, die mit ihrem Protest gegen Uber die angebliche „Sharing Economy“ vor die Gerichte und in die Medien gebracht haben. Von der „Dumpinghölle“ war die Rede, und von Fahramateuren ohne Taxilizenz, die die Einheitspreise im Markt brechen. Doch Vorsicht! Bevor wir den Stab über Uber brechen, fragen wir uns kurz, wer eigentlich nicht protestiert: Die Taxikunden, die Automobilhersteller, der ÖPNV, die Bahn, die Autovermieter, jene potenziellen Taxifahrer, der gern eine Taxilizenz hätten, aber im bisherigen System keine bekommen … Warum?
Es protestieren jene, die das Geschäft bisher beherrschen und nun von einem neuen Konkurrenten angegriffen werden. Soweit, so verständlich. Aber es sind auch jene, die sich der Digitalisierung unserer Welt bislang konsequent verweigern. Sie haben ihr Geschäftsmodell, das auf einem Kartell basiert, nie hinterfragt. Seit mehr als zehn Jahren erzählen wir Trendforscher und Strategieberater der Taxibranche, dass sie damit rechnen muss, dass ihr Geschäftsmodell demnächst angegriffen wird. Und dass es radikaler und schädlicher sein wird, wenn dies Andere tun. Doch all unsere Appelle das eigene Geschäftsmodell doch selbst anzugreifen, verhallten im Nichts. Nun kommt Uber. Gut so!
Gewinner und Verlierer
Nicht das wir uns falsch verstehen: Das ist eine normale Verteidigungsstrategie der alten Machthaber in Zeiten des technologischen Wandels. In meinen Keynotes erzähle ich gern die Geschichte von der Einführung des Automobils in Großbritannien. Damals hat die bedrohte Droschkenlobby tatsächlich im Parlament den sogenannten „Red Flag Act“ durchgesetzt: 31 Jahre lang musste jedem Dampfwagen und Automobil ein Mann mit einer roten Flagge voranlaufen. Weil die Autos angeblich zu gefährlich waren!
Ähnliches passierte in Deutschland bei der Erfindung des Tonfilms. Der war ein Problem für die Berufsmusiker, die bislang jeden Stummfilm im Kino live auf ihren Instrumenten begleitet hatten. Wütende Proteste behaupteten, der Tonfilm sei „geistiger Mord“, „verderbe das Gehör“ und „ruiniere die Existenzen der Musiker“! „Fordert gute stumme Filme!“ Bitte vergleichen Sie dies mit den Argumenten der Taxizentralen, Gewerkschaften und Verbraucherschützer von heute. Sie werden verblüffende Ähnlichkeiten feststellen.
Doch seien wir ehrlich: Wie viele Stummfilme haben Sie in Ihrem Leben gesehen? Und finden Sie das schlimm? Natürlich hat es auch damals Gewinner und Verlierer des technologischen Wandels gegeben. Der eine Teil der Musiker ist auf größere Bühnen gegangen, hat Fans gewonnen und mehr Geld verdient. Die anderen waren passiv, haben sich der Veränderung verweigert und sind zum Teil arbeitslos geworden. Das muss man nicht schön finden. Aber das ist die Welt in der wir leben.
Wie funktioniert die kommende Adaptive Economy?
Wir können am Beispiel der Taxis heute schon sehr gut sehen, was künftig in den meisten Branchen geschehen wird. Die Behauptung, dass Uber die Taxis verdrängt, ist eine Mär. Wer jemals in San Francisco die Uber-App gestartet hat, der findet gleichberechtigt zu den Bestellbuttons für SUV, BlackCar, UberX und Uberpool auch den Button „Taxi“. Die Wahrheit ist: Uber versorgt die Taxifahrer mit Aufträgen- allerdings zu den Spielregeln von Uber, nicht zu denen der Taxizentralen.
Das ist die Kernbotschaft, die ich seit vielen Jahren in Strategietagungen und Vorstandsklausuren diskutiere. Wir kommen aus der Industriegesellschaft, in der der Besitz von Infrastruktur (Produktion, Logistik und Shops) automatisch die Macht über den Kunden sicherte. Aber seit mehr als zehn Jahren zieht in den meisten Branchen eine neue, kostenlose Infrastruktur ein: das Internet. Auf diese Weise entkoppelt sich die Macht über das Geschäft vom Besitz der Infrastruktur. Die Macht über die Kaufentscheidungen der Kunden geht auf jene Unternehmen über, die die Kundendaten besitzen und damit das Produkt in jeder Situation perfekt und adaptiv auf den Kunden zuschneiden können.
Um es noch deutlicher zu sagen: Natürlich wird auch künftig noch Hardware produziert. Aber die Macht über die Kundenbedürfnisse liegt bei den Datenanalysten. Sie wissen, wann welcher Kunde welches Bedürfnis hat. Dieses Wissen verauktionieren sie an die Hardwarehersteller. Dies ist eine klare Machtverschiebung. Künftig gilt: Wer die Daten hat, definiert die Regeln. In jeder Branche! Das ist der Grund, warum etablierte Player zu Softwareunternehmen werden müssen.
Keine Einheits-Produkte zu Einheits-Preisen für Einheits-Kunden
Wer die Entwicklung in den verschiedenen Branchen nüchtern analysiert, der stellt fest, dass es vor allem eine Veränderung gibt, die den etablierten Playern Angst macht. Denn in der Digital-Ära tritt plötzlich eine Vielzahl von Kundensegmenten zutage, die sich hauptsächlich in ihrer Technologieaffinität, in ihrem (Pro-)Aktivitätslevel und ihren Privacy-Anforderungen unterscheiden. Unsere Trendforscher haben diese neuen Kundenzielgruppen unlängst in der Trendanalyse „Neue Kundenzielgruppen der Digital-Ära“ beschrieben.
Es gibt künftig keine Einheits-Kunden mehr, die zu Einheits-Preisen, mit Einheits-Datenschutzlevel, und Einheits-Zielgruppenbedürfnissen, in Einheits-Taxis fahren. Diese Grundsätze gelten auch für andere Branchen! Stattdessen zieht in unsere Geschäftsmodelle eine wohltuend, menschliche Logik ein: Wir sind keine Einheits-Menschen. Wir möchten manchmal in der Limousine fahren und mehr bezahlen, manchmal beim Nachbarn mitfahren und weniger zahlen, ab und ab vielleicht in der Gruppe mitfahren und noch weniger zahlen und es gibt auch diejenigen die weiterhin Taxi fahren wollen, weil sie der Marke vertrauen. Sollen Sie es tun!
Wie Ihre Branche adaptiv wird
Es ist unschwer zu prognostizieren, dass diese Art der peer-to-peer-Geschäftsmodell a la Uber und Airbnb sich in den kommenden Jahren auf alle denkbaren Bereiche des Lebens ausdehnen … und damit auch in ihre Branche! Welche Dinge unseres Alltags kann man noch „sharen“? Das Waschen von Kleidung. Das Einkaufen. Das Taschen-Tragen. Das Kochen. Das Gassi-Gehen. Das Parken. Die Haushaltsarbeit. Das Heimwerken. Das Reparieren. Das Gärtnern. Das Kinderbetreuen. Die Kleidung. Die Maschinen. Die Produktion. Den Office-Space. Das Lernen. Das Investieren. Das Risiko absichern … und so weiter.
In all diesen Bereichen werden sich die etablierten Anbieter einer größeren Konkurrenz von Angreifern gegenüber sehen. Sie haben dann die Wahl: Entweder sie pochen auf ihren Qualitätsvorteil und übernehmen damit das kleine Premiumsegment in ihrem Markt. Oder sie werden auch zu Softwareunternehmen und kämpfen um das Massensegment. Etablierte Player machen es vor, wie man mit adaptiven Angeboten das eigene Geschäftsmodelle angreifen muss: DHL mit dem p2p-Lieferdienst „myways“, BMW mit den p2p-Parkingangeboten „Parkatmyhouse“ und „Chargeatmyhouse“. Walgreen, Pepsi und GE mit der p2p-Plattform für Haushaltstätigkeiten „taskrabbit“, die Marriot-Hotels mit der p2p-OfficeSpaceplattform „liquidspace“ etc.
Die Moral der modernen Maschinenstürmerei
Ist diese überall entstehende Adaptive Economy nun gut oder schlecht? Führt sie zur Totalkommerzialisierung der Welt? Lassen Sie uns die Antwort in unserer Geschichte suchen: Erinnern Sie sich noch, wie Sie in ihrer Kindheit getrampt sind? Irgendwann, noch lange vor der Digital-Ära, entstanden dann Mitfahrzentralen. Plötzlich gab es kaum noch Tramper. Offensichtlich war den meisten von uns die Bequemlichkeit wichtiger als das Warten auf die „zweckfreie Freundlichkeit“. Zweifellos ist damals eine gewisse Kommerzialisierung des Trampens eingetreten. Das kann man schlimm finden? Aber ist es das wirklich? Urteilen Sie bitte selbst.
Das Unangenehme an der digitalisierten Welt ist, dass es keine Institutionen mehr gibt, die das Böse verkörpern. In der Adaptivitätswirtschaft wird kein guter Mensch von einer bösen Macht zu etwas gezwungen. Niemand zwingt uns Uber zu benutzen. Wenn jemand böse ist, dann sind wir es selbst.
Das kann man als unangenehm empfinden. Aber für die Innovation in ihrer Branche ist das Ende des Einheits-Menschen eine wunderbare Sache. Deshalb bitte ich Sie herzlich, die moderne Maschinenstürmerei zu überdenken. So populär sie auch sein mag. Wir brauchen kein Verbot von Uber. Wir brauchen mehr Ubers. Und wir brauchen viele deutsche Ubers. Auch in Ihrer Branche. Denn das was wir heute im Taxigeschäft sehen, ist nur ein Vorgeschmack darauf, was wir in den kommenden Jahren in Ihrer Branche erleben werden.