Nora Fehlbaum ist die Enkelin von Willi Fehlbaum, der in den 1950er-Jahren von Basel aus Designklassiker wie die der Eames-Brüder oder von Verner Panton weltweit etablierte. Fehlbaum führt das Unternehmen seit 2016.
Vitra – die Produktion befindet sich auf der deutschen Seite des Rheins – ist nicht nur Lieferant vieler Designklassiker sondern auch ein großer Büroausstatter. Deshalb haben sich die Verantwortlichen schon kurz nach Beginn der Corona-Pandemie mit den Folgen derselben für Arbeitsplätze und Wohnräume zu beschäftigen begonnen. Am 22. Und 23. Oktober diesen Jahres veranstalten sie – natürlich digital über ihre Website – eine Konferenz zum Thema.

Was hat sich bei Ihnen persönlich mit und durch Corona verändert?
Ich reise deutlich weniger, außerdem hat sich in meiner Routine, in meinen Abläufen viel geändert. Was mir aufgefallen ist: Gerade während dieser dunklen Wochen im Frühjahr, habe ich mich viel mit anderen Menschen in ähnlicher Position wie ich ausgetauscht. Wir haben oft darüber geschmunzelt, dass wir alleine in unseren Büros sitzen. Dass wir alle Mitarbeiter nach Hause schicken mussten, aber bei uns selbst als Chefs die Identifikation mit diesem Ort so groß ist, so dass wir uns jeden Tag versichern mussten: Steht alles noch? Wenn alles drunter und drüber geht – ist das Büro noch da, gibt es das Unternehmen noch?
Wie lange dauerte dieser Zustand an?
Das Home Office hat bei uns wie bei vielen anderen Unternehmen gut geklappt und wir sind sehr früh, sobald die Regelungen gelockert wurden, zurück in die Büros gekommen, weil wir den physischen Austausch vermisst haben. Und auch um zu unseren Kunden aufzeigen zu können, dass es unter den richtigen Vorgaben möglich ist, ins Büro zurück zu kommen. Wir mussten während des Lockdowns einige Leute wieder nach Hause schicken. Gerade wenn man aus einer Situation kommt, in der das Zuhause sich nicht als ideales Arbeitsumfeld präsentiert, die Kinder zu Hause sind, oder man sehr alleine ist, spielt die Rückkehr in das Büro eine wichtige soziale und produktivitätssteigernde Rolle.
Gab es bei Ihnen keine Mitarbeiter, die zuhause bleiben wollten?
Es gibt natürlich solche Fälle: Wenn die Pendelwege sehr lang sind oder die Stimmung im Team ist nicht ganz so gut, zum Beispiel. Ein Freund von mir, ein Architekt, der viele Unternehmen berät, hat gesagt: Wenn Unternehmen jetzt Mühe haben, die Mitarbeiter zurück ins Büro zu holen, müssen sie an ihrer Kultur arbeiten. Da gibt es fast immer tieferliegende Probleme.
Was war es, was sie vermisst haben, als Sie allein im Büro saßen?
Nicht viel. Ein etabliertes Team, welches sich gut kennt, kann schon mal ein paar Wochen aus der Ferne arbeiten. Aber mit der Zeit wird es schwieriger. Das sehen wir jetzt zum Beispiel in England und in den USA, wo man immer noch von zu Hause arbeitet und wo die Unsicherheiten nach wie vor sehr groß sind. Es ergibt sich mit der Zeit eine Art Auseinanderleben, wie in einer Distanzbeziehung. Es kommt leicht dazu, dass man den Bezug zueinander verliert. Ein Büro ist ja nicht nur ein Arbeitsort. Ein Büro ist oft auch der einzige Ort, wo eine Firma sich wirklich physisch manifestiert. Eine Umgebung strahlt immer etwas aus. Sie hat einen Einfluss auf die Mitarbeiter, die Kunden und auf alle, die sich darin aufhalten. Wenn mit der Zeit der Bezug zu diesem Ort verlorengeht, dann kann man auch die Orientierung verlieren. Was mache ich hier eigentlich? Wofür arbeite ich? Was ist mein Beitrag? Diesen Ort der Identifikation brauchen vielleicht nicht alle, aber viele Unternehmen und Mitarbeiter.
Wie sieht es bei der Nachfrage aus – merken Sie schon, dass wir einen Einschnitt erleben?
Es gibt schon seit vielen Jahren die Bewegung, das Büro wohnlicher zu gestalten – also den Einfluss des Zuhauses auf das Büro. Was jetzt passiert: das Büro beeinflusst das Zuhause. Das Zuhause ist plötzlich ein multi-funktionaler Ort. Es muss sehr viel mehr Funktionen aufnehmen als vorher. Dazu gehört arbeiten oder Homelearning, vielleicht geht man auch weniger ins Restaurant und empfängt mehr Gäste zuhause. Das führt zu einer konkreten funktionalen Nachfrage: Bürostühle für das Zuhause, zum Teil sogar höhenverstellbare Tische für das Zuhause, mehr Esszimmerstühle für das Zuhause. Aber auch die Einsicht, dass dieser Ort, an dem ich jetzt sehr viel mehr Zeit verbracht habe, es eigentlich wert ist, gut gestaltet zu werden. Oftmals lebt man mit einem Kompromiss, weil man sehr kurzfristig irgendetwas gekauft hat. Das steht dann da, man sieht es schon gar nicht mehr, man wird betriebsblind im eigenen Umfeld. Nachdem man sich jetzt doch drei, vier Monate in diesem Umfeld aufgehalten hat, spürt man den Drang doch etwas zu verändern. Die Klassikern, also bestehende Werte, Dinge, die Sicherheit vermitteln, die schon viele Jahrzehnte da sind und noch viele Jahrzehnte gut sein werden sind besonders gefragt in diesen Zeiten.
Und im Büro?
Im Moment braucht es viel Orientierung. Wir versuchen, wo wir können, zu vermitteln und Unternehmen in dieser Findungsphase zu begleiten. Jetzt wird definiert: Was heißt Arbeiten für uns in der Zukunft, wo findet es statt, welches Arbeitsumfeld bieten wir unseren Mitarbeitern im Büro und in ihrem Zuhause? Wir lernen natürlich auch jeden Tag dazu. Am 22. und 23. Oktober findet in dieser Sache der Vitra Summit statt. Wir haben Kreative, Wissenschaftler, Unternehmer und Psychologen eingeladen, um über die aktuellen Themen zu diskutieren und zu klaren Schlüssen zu kommen. Der Summit ist kostenlos.
Gibt es eine Verschiebung zu Privatkunden?
Wir sehen beides. Privatkunden, welche in ihr Zuhause investieren, aber auch Firmen, die ihre Mitarbeiter dabei unterstützen, ihr Homeoffice funktional einzurichten. Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern Bürostühle für Zuhause an, einige bezahlen gar einen Beitrag an die Miete.
Ist die Entwicklung jetzt die Beschleunigung der Dinge, die schon vor Corona diskutiert wurden und begonnen haben – oder passiert etwas ganz Neues?
Neu ist, dass das Büro zu einer bewussten Entscheidung wird. Soll ein Unternehmen in einen Raum investieren, der eben mehr ist als Tisch und Stuhl und Bildschirm, denn das kann ein Mitarbeiter auch zuhause installieren. Stattdessen wird klar: das Büro ist ein Ort des Zusammenkommens. Wer das Büro nicht als solchen sieht, muss sich wirklich fragen, ob er es weiter braucht. Das Büro ist aber nicht nur eine bewusste Entscheidung des Unternehmens, es ist auch eine bewusste Entscheidung des einzelnen Mitarbeiters: Wenn ich am Morgen aufstehe, wo gehe ich hin um meine Arbeit zu erledigen? Es braucht Regeln für diese Entscheidungen und in dieser Findungsphase stehen viele unserer Kunden gerade.
Vitra steht für Klassiker – aber jetzt verändern sich die Bedingungen. Heißt das, wir brauchen jetzt ganz schnell neues Design?
Ich bin überzeugt, dass sich jetzt neue Typologien hervortun und dass sich eine Verschiebung entwickelt. Es wird im Büro deutlich weniger mit Tisch und Stuhl geplant werden und deutlich mehr Platz dem Zusammenkommen eingeräumt. Lounge, Sitzungsräume, Rückzugsräume, für remote Meetings, Kantinen und so weiter.
Gibt es schon neue Produkte aus der Erfahrung von 2020 heraus?
Wir bieten bestimmte Varianten an und überarbeiten viele bestehenden Büros planerisch. Oft ist der Bedarf sehr dringend: Die Mitarbeiter kommen jetzt zurück und die geltenden Bedingungen müssen umgesetzt werden.
Welches sind die künftigen Designaufgaben?
Es braucht jetzt – sowohl im Zuhause wie auch im Büro – gute Lösungen für Arbeit auf Distanz und digitale Interaktion.
Bedeutet das auch ganz andere Produkte, etwas was nicht Sessel, Tisch, Schrank ist – ein anderes Produkt für eine neue Funktion?
Wenn wir großes Glück haben, dann kommt dabei eine relevante Typologie heraus. Produktentwicklung ist aber keine Wissenschaft, deswegen ist das nicht vorhersagbar.
Glauben Sie, dass aus unserer Zeit wieder Klassiker hervorgehen – oder sind heute Produktzyklen kürzer?
Unser Ziel ist immer, etwas zu tun, das möglichst langlebig ist und lange relevant bleibt. Aber es wäre vermessen zu sagen: Wir arbeiten heute an den Klassikern von morgen. Ein Klassiker entsteht mit der Zeit, er ist die Folge von „survival of the fittest“. Ein Klassiker muss sich über Jahrzehnte immer wieder beweisen. Es gibt keine Methode der Produktentwicklung, die ich kenne, um Klassiker zu schaffen.
Mit der Digitalisierung des Arbeitens verschieben sich die Budgets: Was Firmen früher in angenehme Büroumgebung investiert haben, stecken sie heute verstärkt in gute digitale Ausstattung. Wie reagieren Sie darauf? Digitalisieren Sie Ihre Produkte?
Nein, ein Möbel hat eine ganz andere Lebensdauer als ein technologisches Produkt. Es macht keinen Sinn in einen Tisch, der 15 Jahre lebt, etwas einzubauen, das nur zwei Jahre relevant ist. Die jetzige Veränderung ist kein Grund zur Sorge. Es wird sicher weniger konventionelle Büros geben, aber dafür werden sie eine bewusste Entscheidung und daher vermutlich qualitativ viel besser. Das spricht dann wieder für uns.
Hilft es Ihnen, dass Sie in einem Familienunternehmen arbeiten und aus der jüngeren Generation kommen oder überwiegt der Wert von Kontinuität?
Es ist aus unserer Sicht ein Vorteil, ein Familienunternehmen zu sein, weil die Entscheidungen direkter sind, und weil man vor allem langfristiger denken kann. Die beiden Generationen vor mir, waren schon fortschrittlich, dafür brauchte es mich nicht. Aber es freut mich diese Tradition fortzusetzen.