Die US-Luftwaffe hat den chinesischen Beobachtungsballon, der in den vergangenen Tagen die Öffentlichkeit beschäftigt hat, zwar abgeschossen. Doch der Fall wird das Verhältnis der beiden Supermächte auf absehbare Zeit bestimmen. Dass US-Außenminister Antony Blinken einen geplanten Besuch in China vorerst abgesagt hat, verheißt kurzfristig nichts Gutes für die Entwicklung des Dialogs zwischen den beiden Staaten.
Dabei hatte der persönliche Austausch nach der Corona-Öffnung gerade erst wieder begonnen. Jetzt gibt es erst einmal einen Schlagabtausch, in dem beide Seiten sich der Lüge bezichtigen. Es herrscht jedoch in einigen Punkten Einigkeit:
- Der Ballon stammt aus China,
- er ist rund 9.000 Kilometer in Höhenwinden bis über US-Territorium gedriftet und
- er trägt Sensoren und Messinstrumente
Die Unterschiede ergeben sich aus der Frage, welche Mission der Ballon hatte:
- China sagt: Es handelt sich um einen Wetterballon, der versehentlich vom Kurs abgekommen ist und sich zufällig über US-Gebiet wiedergefunden hat.
- Die USA sagen: Es handelt sich um ein Spionagegerät, das vermutlich seinen Kurs beeinflussen konnte und absichtlich den US-Bundesstaat Montana mit seinen vielen Raketenstellungen überflogen hat.
Verhältnis USA-China bleibt kippelig
Die US-Version wirkt derzeit etwas glaubwürdiger. Luftströmungen in großer Höhe sind zu einem gewissen Grad vorhersagbar. Wer einen Ballon dort platziert, hat zumindest eine ungefähre Vorstellung davon, wo er hinziehen wird. Das US-Staatsgebiet ist ein riesiges Ziel. Was ungefähr in diese Richtung driftet, überfliegt auch die USA. Die Verwendung von Luftschiffen für Spionage hat zudem im Satellitenzeitalter durchaus Anwendungen und ist auch durch die USA geplant.
Das Getöse um den Ballon zeigt nun vor allem: Die Kommunikation zwischen den beiden Supermächten ist gründlich gestört. Die Ballon-Krise ist nur ein Symptom des aktuell eher schlechten Verhältnisses. Die Gefahr von Missverständnissen ist daher größer denn je. Die Gesprächskanäle sind schmal, während die Bereitschaft groß ist, zu provozieren und auf Provokationen anzuspringen.
Mit dem Abschuss fängt die Diplomatie wieder an
Immerhin hat Blinken seine Reise nur verschoben, bis die Lage geklärt ist, und verspricht, den Dialog aufrechtzuerhalten. Derzeit spricht auch kein Anzeichen für eine weitere Eskalation. „Die USA und China bleiben voraussichtlich auf Annäherungskurs“, glaubt Politologe Zhao Tong von der Carnegie Endowment for International Peace, einer Denkfabrik in Washington.
China klingt denn auch vergleichsweise kleinlaut. Der Ton der offiziellen Verlautbarungen war am Sonntag geradezu zurückhaltend. Das Außenministerium brachte lediglich „große Unzufriedenheit“ über den Abschuss des Fluggeräts zum Ausdruck und sagte, es „lehnt ihn ab“. Der heilige Zorn Pekings klingt heftiger. Dazu kam schon am Freitag das Eingeständnis eines Versehens.
Es fehlte allerdings eine Entschuldigung für den mutmaßlichen Fehler. Diese hätte US-Präsident Joe Biden vermutlich zu viele diplomatische Pluspunkte gegönnt. Biden hat derzeit ohnehin moralisch Oberwasser: Es war schließlich ein chinesisches Fluggerät, das in den US-Luftraum eingedrungen ist. Ob absichtlich oder unabsichtlich, spielt kaum eine Rolle dafür – die USA durften das Objekt abschießen.
Beide Darstellungen haben Haken
Es bleiben jedoch zahlreiche Rätsel und Fragen. Wenn die chinesische Version stimmt: Warum hat die Regierung den US-Amerikanern nicht rechtzeitig Bescheid gesagt, dass einer ihrer Ballons auf dem Weg nach Montana ist? Der Verlust eines Geräts von der Größe dreier Busse ist schließlich kein alltäglicher Vorgang. Jener Ballon war über Solarzellen mit Strom versorgt und konnte seine Position mutmaßlich die ganze Reise über melden. Sonst wäre er auch als Wetterballon nur wenig brauchbar.
Doch auch das Verhalten der USA wirft Fragen auf. Nach Auskunft des Pentagon sind in den vergangenen Jahren drei solcher Ballons über amerikanisches Territorium hinweggezogen. Warum macht die Regierung von Biden daraus eine große Sache, während die Regierung unter Donald Trump offenbar höflich geschwiegen hat?
Versehen oder Verschwörung?
Auf beiden Seiten stellt sich parallel dazu die Frage nach dem Ausmaß an gezielter Absicht, die zu der aktuellen Situation geführt hat. Für Sonntag war eine Reise des US-Außenministers nach Peking geplant. Wollte China durch eine besonders dreiste Aktion während des Besuchs seine Macht demonstrieren? Wenn ja, dann ist das vorhersagbar schiefgegangen. Für Blinken wären Bilder vom Händeschütteln in Peking untragbar gewesen. Die oppositionellen Republikaner hatten dem Präsidenten bereits lautstark Schwäche vorgeworfen, weil er den Ballon nicht früher herunterholen ließ.
Haben die USA umgekehrt mit Absicht auf einen harmlosen Wetterballon überreagiert, um China schlecht dastehen zu lassen? So stellen es Chinas Staatsmedien dar. Demnach habe erst Blinken durch die Absage seiner Reise den diplomatischen Beziehungen geschadet. Außerdem seien die westlichen Medien schuld, die die Angelegenheit „hochgespielt“ hätten.
Vergleich mit Belgrad und Hainan
Tatsächlich könnte es sich auch sehr gut um eine Verkettung ungünstiger Umstände gehandelt haben. Ein Spionageballon: ja. Doch es kann gut sein, dass die militärische Auslandsaufklärung, die für so eine Mission zuständig wäre, das ungünstige Timing vor dem Blinken-Besuch nicht auf dem Schirm hatte. In einer großen Bürokratie weiß die linke Hand manchmal nicht, was die rechte tut. Gerade die Tatsache, dass solche Überflüge schon mehrfach geklappt haben, ohne eine große Reaktion zu provozieren, könnte die Verantwortlichen für das Ballon-Programm sorglos gemacht haben.
Bei der Frage nach Absicht oder Versehen drängt sich der Vergleich mit der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad im Jahr 1999 auf. Die Nato hat damals mit Angriffen gegen Serbien in den Kosovokrieg eingegriffen. US-Bomben trafen das Gebäude, drei chinesische Journalisten starben. Der Vorfall wog viel schwer als die aktuellen Ereignisse um den Ballon. Die USA sagten, sie hätten schlechte Karten verwendet, China unterstellte Absicht.
Interesse an stabilen Beziehungen
Auch von dieser Krise hatte sich das Verhältnis übrigens erholt, genauso wie vom Hainan-Zwischenfall im Jahr 2001. Damals war ein US-amerikanisches Spionageflugzeug mit einem chinesischen Kampfjet zusammengestoßen. Der Jetpilot starb, der Aufklärer musste auf Hainan notlanden und wurde von China zerlegt.
Damals zeigten sich Washington und Peking zuerst unnachgiebig, waren dann jedoch zu versöhnlichen Tönen bereit und konnten das Verhältnis schließlich kitten. So dürfte es auch diesmal laufen, wenn die erste Aufregung vergangen ist. „Beide Seiten haben großes Interesse daran, die Beziehungen stabilisieren“, glaubt Politologe Zhao.