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Kommentar Wohin mit den Arbeitskräften?

Nur mit Bildung lassen sich die Folgen der nächsten industriellen Revolution meistern. Von Nouriel Roubini
Nouriel Roubini
Nouriel Roubini
© Getty Images

Nouriel Roubini ist Vorsitzender von Roubini Global Economics und Professor an der Stern School of Business der New York University. Er ist als "Dr. Doom" bekannt. Der Name wurde Roubini verliehen, weil er 2008 die Immobilienblase vorhersagte. Sie können ihm hier auf Twitter folgen.

Die Technologieinnovatoren und CEOs der Unternehmen scheinen heutzutage euphorisch in die Zukunft zu blicken. Neue Produktionstechnologien haben eine fieberhafte Begeisterung über das ausgelöst, was manche als dritte industrielle Revolution bezeichnen. In den nächsten Jahren werden Verbesserungen in der Robotik und Automationstechnik die Produktivität und Effizienz steigern und zu deutlichen wirtschaftlichen Vorteilen für die Unternehmen führen. Aber ohne angemessene politische Maßnahmen zur Förderung neuer Jobs ist unklar, ob die Nachfrage nach Arbeit mit der technischen Entwicklung Schritt halten kann.

Die jüngsten technologischen Fortschritte haben drei Eigenschaften: Sie sind meist kapitalintensiv (und bevorzugen damit diejenigen, die über finanzielle Ressourcen verfügen); sie erfordern hohe Qualifikationen (was denjenigen Vorteile bietet, die bereits über große technische Fähigkeiten verfügen); und sie sparen Arbeit (und führen damit zur einem Abbau der Arbeitsplätze für ungelernte oder nur gering qualifizierte Menschen). Kaum hat sich der Staub der dritten industriellen Revolution gelegt, könnten Arbeitskräfte in der Produktion bereits durch Roboter und Automaten ersetzt werden.

Der wichtigste Einflussfaktor der kommenden Produktionsrevolution war wahrscheinlich die rapide Entwicklung intelligenter Software in den letzten Jahrzehnten. Softwareinnovationen und 3D-Drucktechniken nützen Arbeitnehmern, die dafür ausreichend ausgebildet sind. Für alle anderen dagegen könnte es sich so anfühlen, als würde die Revolution anderswo stattfinden. Tatsächlich könnte die Fabrik der Zukunft aus tausend Robotern und einem menschlichen Aufseher bestehen. Sogar den Fußboden kann ein Roomba-Roboter besser und billiger wischen als jeder Arbeiter.

Dienstleistungsjobs werden zur Handelsware

Für die Industriestaaten ist das nichts Neues. Schließlich wurden die Produktionsstätten in Westeuropa und Nordamerika bereits in den letzten 30 Jahren nach Asien verlegt. Aber es gibt keine Garantie dafür, dass die Zuwächse bei den Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor die Verluste in der Industrie auch in Zukunft auffangen können.

Zum einen werden auch viele Dienstleistungsjobs durch neue Technologien zur Handelsware und können nach Asien oder in andere Entwicklungsmärkte ausgelagert werden. Zudem könnten auch dort die Produktions- und Dienstleistungsarbeitsplätze durch Technologie ersetzt werden.

Heute kann zum Beispiel das MRT eines Patienten digital, sagen wir, nach Bangalore gesendet werden, wo es durch einen hoch qualifizierten Radiologen zu einem Viertel des Preises ausgewertet wird, den ein New Yorker Radiologe berechnen würde. Aber wie lange dauert es noch, bis eine Computersoftware diese Bilder schneller, besser und billiger lesen kann als der Facharzt in Bangalore?

Dazu passt, dass Foxconn, Hersteller von iPhones und anderen elektronischen Geräten, plant in den kommenden zehn Jahren, einen großen Teil seiner 1,2 Millionen chinesischen Arbeitskräfte durch Roboter zu ersetzen. Und schneller als gedacht könnten die Call-Center von Bangalore und Manila durch Spracherkennungssoftware ersetzt werden.

Jobverluste in vielen Bereichen

Der Arbeitsplatzabbau durch technologische Innovationen wird sich auf Bildung, Gesundheitswesen, Staatsführung und sogar den Verkehr auswirken. Brauchen wir beispielsweise in den nächsten Jahrzehnten immer noch so viele Lehrer, wenn die besten von ihnen immer perfektere Online-Kurse entwerfen können, an denen Millionen von Schülern teilnehmen? Wenn nicht, wie werden all diese ehemaligen Lehrer ihr Brot verdienen?

Die Regierungen bauen ebenfalls Arbeitsplätze ab – insbesondere solche mit hohen Schulden und Defiziten. Der Trend zur E-Regierung verändert die Bereitstellung öffentlicher Dienste für die Öffentlichkeit und setzt den Arbeitsplatzverlusten einen Zuwachs an Produktivität entgegen.

Auch der Verkehr wird durch technologische Entwicklungen revolutioniert. In wenigen Jahren könnten fahrerlose Autos – entwickelt von Google und anderen – Millionen von Arbeitsplätzen überflüssig machen.

Natürlich sind kapitalintensive technologische Innovationen mit ihrem Jobabbau – gemeinsam mit dem damit verbundenen „Alles-oder-nichts“-Effekt – für steigende Ungleichheiten bei Einkommen und Wohlstand verantwortlich. Die zunehmende Ungleichheit belastet wiederum die Nachfrage und das Wachstum (und führt zu sozialer und politischer Instabilität), da sie das Einkommen von denen, die mehr ausgeben (Haushalten geringen oder mittleren Einkommens) hin zu denen verschiebt, die mehr sparen (reichen Individuen oder Konzernen).

Aus der Vergangenheit lernen

Natürlich steht die Welt nicht zum ersten Mal vor solchen Problemen, und um Lösungen zu finden, bietet sich ein Blick in die Vergangenheit an. Bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert haben Politiker versucht, die schlimmsten Auswirkungen der Industrialisierung zu mindern. Alle Industrieländer schafften Kinderarbeit ab, humanisierten Arbeitszeiten und -bedingungen, und schafften ein soziales Sicherheitsnetz, um Arbeitnehmer zu schützen und die (oft empfindliche) Makroökonomie zu stabilisieren.

Wenn es um vernünftige Lösungen für die Herausforderungen durch die dritte industrielle Revolution geht, sticht ein allgemeines Thema ins Auge: Die technologischen Gewinne müssen einer breiteren Bevölkerungsmehrheit zugutekommen als bisher. Dies hängt stark mit der Bildung zusammen. Damit mehr gesellschaftliche Schichten zu Wohlstand gelangen, müssen Arbeiter und Angestellte die Fertigkeiten besitzen, die für die schöne neue Welt der digitalen Wirtschaft erforderlich sind.

Sogar das könnte noch nicht ausreichen. Vielleicht benötigen diejenigen, deren Arbeitsplätze durch Software oder Maschinen ersetzt werden, eine dauerhafte Einkommensunterstützung. Auch hier müssen wir uns die Lektionen der Vergangenheit genau anschauen.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Copyright: Project Syndicate, 2014.
 www.project-syndicate.org

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