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Kommentar Wo Krugman Unrecht hat

Starökonom Krugman streitet die Erfolge der Sparpolitik ab. Dabei weist der US-Aufschwung das Gegenteil. Von Jeffrey D. Sachs
Paul Krugman: Der Ökonom ist strikt gegen eine Sparpolitik
Paul Krugman: Der Ökonom ist strikt gegen eine Sparpolitik
© Getty Images
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Jeffrey D. Sachs ist Professor für nachhaltige Entwicklung, Professor für Gesundheitspolitik und Gesundheitsmanagement sowie Direktor des Earth Institute der Columbia University

Seit mehreren Jahren – und häufig mehrmals im Monat – vermittelt der Wirtschaftsnobelpreisträger, Kolumnist der New York Times und Blogger Paul Krugman seinen treuen Lesern immer wieder dieselbe zentrale Botschaft: Die um einen Defizitabbau bemühten „Austerianer“ (Krugmans Bezeichnung für die Befürworter einer Sparpolitik) seien verblendet. Haushaltseinsparungen inmitten einer schwachen privaten Nachfrage würden zu chronisch hoher Arbeitslosigkeit führen. Tatsächlich würde eine Absenkung des Defizits eine Neuauflage des Jahres 1937 herausfordern, als Franklin D. Roosevelt die Konjunkturimpulse des New Deal vorzeitig zurückfuhr und dadurch die USA in die Rezession zurückwarf.

Und in der Tat haben der US-Kongress und das Weiße Haus seit Mitte 2011 einen Sparkurs verfolgt. Das Haushaltsdefizit des Bundes sank von 8,4 Prozent des BIP im Jahr 2011 auf prognostizierte 2,9 Prozent des BIP 2014. Zudem fiel laut Internationalem Währungsfonds das strukturelle Defizit – eine Messgröße für fiskalpolitische Impulse, die manchmal auch als „Vollbeschäftigungsdefizit“ bezeichnet wird – zwischen 2011 und 2014 von 7,8 Prozent auf vier Prozent des potentiellen BIP.

Krugman protestierte lauthals, der Defizitabbau verlängere oder verschärfe die Lage (die er wiederholt als „Depression“ oder manchmal als „mindere Depression“ bezeichnet). Nur Narren wie die britische Regierung (die ihn an die drei Stooges erinnerten) könnten das anders sehen.

Krugman blendet die Realität aus

Doch statt dass es zu einer neuen Rezession oder einer anhaltenden Depression kam, fiel die US-Arbeitslosenquote von 8,6 Prozent im November 2011 auf 5,8 Prozent im November 2014. Das reale Wirtschaftswachstum belief sich 2011 auf 1,6 Prozent; für das Gesamtjahr 2014 erwartet der IWF 2,2 Prozent. Das BIP wuchs im dritten Quartal 2014 kraftvoll mit einer Jahresrate von fünf Prozent, was nahe legt, dass das Wachstum 2015 über drei Prozent liegen dürfte.

So viel zu Krugmans Vorhersagen. In keinem seiner Kommentare in der New York Times in der ersten Jahreshälfte 2013, als die „austerianischen“ Maßnahmen zur Absenkung des Defizits wirksam wurden, prognostizierte er eine wesentliche Verringerung der Arbeitslosigkeit oder eine rasche Wirtschaftserholung. Im Gegenteil: „Die katastrophale Wende in Richtung Austerität hat Millionen Arbeitsplätze vernichtet und eine Vielzahl von Leben ruiniert“, argumentierte er. Der US-Kongress setze die Amerikaner „der unmittelbaren Gefahr schwerer wirtschaftlicher Schäden durch kurzfristige Ausgabesenkungen“ aus. Infolgedessen, so Krugmans Warnung, scheine eine vollständige Erholung „noch immer sehr weit weg. Und ich mache mir langsam Sorgen, dass es gar nicht dazu kommt.“

Ich spreche all dies an, weil Krugman seine Kolumne zum Jahresende 2014, mit dem Titel „The Obama Recovery“, als Ehrenrunde zelebriert. Die Erholung ist laut Krugman nicht trotz der Sparpolitik gekommen, gegen die er seit Jahren polemisiert, sondern weil wir „anscheinend aufgehört haben, die Schrauben anzuziehen: Die öffentlichen Ausgaben steigen nicht gerade steil an, aber zumindest fallen sie nicht mehr. Und der Konjunktur geht es infolgedessen viel besser.“

Das ist eine unglaubliche Behauptung. Das Haushaltsdefizit wurde steil reduziert, und die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Und trotzdem verkündet Krugman nun, dass alles genau so eingetreten sei wie von ihm vorhergesagt.

primitives Gesamtnachfrage-Management

Tatsächlich vermengt Krugman zwei klar verschiedene Ideen, als wären beide Komponenten „progressiven“ Denkens. Einerseits agiert er als das „linke Gewissen“ und konzentriert sich zu Recht darauf, wie der Staat Armut, Krankheit, Umweltzerstörung, wachsende Ungleichheit und andere gesellschaftliche Übel bekämpfen kann. Diese Seite von Krugmans Schriften bewundere ich, und wie ich in meinem Buch The Price of Civilization geschrieben habe, stimme ich ihm zu.

Andererseits hat Krugman sich aus unerklärlichen Gründen zum Champion eines primitiven Gesamtnachfrage-Managements aufgeschwungen und tut so, als wäre die Neigung zu großen Haushaltsdefiziten der letzten Jahre ebenfalls Bestandteil progressiver Ökonomie. (Krugmans Position wird manchmal als Keynesianismus bezeichnet, aber John Maynard Keynes wusste viel besser als Krugman, dass wir uns nicht auf mechanistische „Nachfragemultiplikatoren“ verlassen sollten, um die Arbeitslosenquote zu regulieren.) Die Defizite wurden 2009 nicht rasch genug erhöht, um eine hohe Arbeitslosigkeit zu vermeiden, so Krugman, und seien nach 2010 gefährlich schnell gefallen.

Offensichtlich lassen die aktuellen Trends – ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosenquote und eine relativ hohe und steigende wirtschaftliche Wachstumsrate – Zweifel an Krugmans makroökonomischer Diagnose aufkommen (wenn auch nicht an seiner progressiven Politik). Und die gleichen Trends sind in Großbritannien erkennbar, wo die Regierung von Premierminister David Cameron das strukturelle Haushaltsdefizit von 8,4 Prozent des potentiellen BIP im Jahr 2010 auf 4,1 Prozent in 2014 gesenkt hat, während die Arbeitslosenquote von 7,9 Prozent bei Camerons Amtsantritt laut den neuesten Daten für den Herbst 2014 auf inzwischen sechs Prozent gesunken ist.

Hohe Defizite sind nicht progressiv

Um es deutlich zu sagen: Ich bin sehr wohl der Ansicht, dass wir den Anteil der staatlichen Ausgaben am BIP erhöhen müssen für Bildung, Infrastruktur, eine kohlenstoffarme Energieversorgung, Forschung und Entwicklung sowie Sozialleistungen für Familien mit niedrigem Einkommen. Aber wir sollten dies durch eine höhere Besteuerung hoher Einkommen und Nettovermögen, eine CO2-Steuer und künftige Mauteinnahmen der neuen Infrastruktur gegenfinanzieren. Wir brauchen das linke Gewissen, aber ohne die chronischen Haushaltsdefizite.

Es ist nichts Progressives an hohen Haushaltsdefiziten und einer steigenden Schuldenquote. Schließlich haben hohe Defizite keine zuverlässigen Auswirkungen auf die Senkung der Arbeitslosigkeit, und Defizitabbau kann mit sinkender Arbeitslosigkeit einhergehen.

Krugman ist ein großer Wirtschaftstheoretiker und ein großer Polemiker. Aber er sollte weniger polemisieren und mehr analysieren – und gründlich nachdenken über die jüngsten Erfahrungen: einen Defizitabbau, der mit einem Aufschwung, der Schaffung von Arbeitsplätzen und einem Rückgang der Arbeitslosigkeit einhergeht. Es wäre die Gelegenheit für ihn, sein langjähriges makroökonomisches Mantra zu überdenken, statt zu behaupten, dass die Entwicklung Ideen bestätigt habe, denen die jüngsten Trends zu widersprechen scheinen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2015.
www.project-syndicate.org

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