Anzeige

Reformen in der Wirtschaft „Deswegen brauchen Sie einen Haudegen, der das durchsetzt"

Das Volkswagenwerk wird im Dunkeln rot angestrahlt
Die Wirtschaftskrise bedeutet Alarmstufe Rot für manches Unternehmen – zum Beispiel Volkswagen
© dpa | Michael Matthey / Picture Alliance
Die Wirtschaftskrise hält Deutschland im Griff. Der Ökonom Gunther Schnabl fordert mehr marktwirtschaftliche Prinzipien – und ein bisschen Donald Trump

Im Wahlkampf stehen Wirtschaftsthemen im Vordergrund wie lange nicht. Freut Sie das als Ökonom?
GUNTHER SCHNABL: Ja, weil ich es als ein dringendes Thema empfinde. Aufgabe der Politik ist es, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die Wirtschaft gut läuft – und damit die Grundlage dafür, dass es allen Bürgern und Bürgerinnen möglichst gut geht. Ich glaube, inzwischen ist bei den Menschen und den Medien angekommen, dass die wirtschaftliche Lage desolat ist. Was aber noch aussteht, ist die Diagnose der Ursachen. Erst wenn wir darüber diskutiert haben, können wir entscheiden, was die richtigen Maßnahmen sind, damit es wieder besser geht.

Die Opposition sagt natürlich, die Ampel-Politik sei schuld. Die Regierungsparteien sagen, dass die Ursachen der Probleme in Krisen liegen, auf die sie keinen Einfluss hatten - etwa die Coronapandemie und der Ukraine-Krieg. Welchen Anteil an der Wirtschaftsmisere hat die Bundesregierung und welchen Anteil haben externe Schocks und Krisen?
Wir hatten lange Zeit eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung. Die basiert auf den Prinzipien Geldwertstabilität, freie Preise, Wettbewerb zwischen den Unternehmen, Privateigentum, Vertragsfreiheit, Haftung und einem schlanken Staat. Seit der Jahrtausendwende haben wir systematisch alle diese Prinzipien immer mehr außer Kraft gesetzt. Da ist es nicht überraschend, dass das Wachstum an Fahrt verloren hat und die Wirtschaft schließlich ins Straucheln geraten ist. Dazu kommen noch externe Schocks, die die Politik nicht oder zumindest nicht allein zu verantworten hat.

Wo wurden diese marktwirtschaftlichen Prinzipien konkret verletzt?
Beginnen wir mit der Geldwertstabilität: Die Europäische Zentralbank hat im Zuge der europäischen Finanz- und Schuldenkrise Staatsanleihen im Umfang von rund vier Billionen Euro gekauft. Die Entwicklung des Goldpreises, der Aktienpreise, der Immobilienpreise und auch des Bitcoinpreises zeigen, dass die Geldwertstabilität nicht mehr gegeben ist. Dann haben wir immer mehr Preiskontrollen: Der Zins, der Preis fürs Geld, wurde lange Zeit auf null gedrückt. Mit dem Mindestlohn kontrollieren wir die Lohnentwicklung. Daneben haben wir weitere Preiskontrollen wie die Mietpreisbremse. Viele wichtige Preise werden inzwischen vom Staat manipuliert. Auch in den Wettbewerb zwischen den Unternehmen greift der Staat sehr umfangreich ein, indem er insbesondere die großen Unternehmen auf Kosten der Kleinen subventioniert. Das Haftungsprinzip haben wir außer Kraft gesetzt, indem wir in der Finanzkrise die Banken gerettet haben und mit Subventionen Unternehmen stützen. Ich beobachte täglich, dass die Politiker immer neue Ideen haben, wie sie in den Wirtschaftsprozess eingreifen wollen. Oft sind die Ideen unausgereift und werden kurz darauf wieder revidiert. Das Ergebnis ist dann wie bei einem Schiff, auf dem der Kapitän ständig das Ruder rumreißt. Dann kommt das Schiff ins Schlingern und driftet in die völlig falsche Richtung.

Ein Porträtfoto von Gunther Schnabl
Gunther Schnabl ist Professor für Wirtschaftspolitik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig. Er ist Direktor des Flossbach von Storch Research Institutes
© Flossbach von Storch Research Institute

Ist Deutschland aus Ihrer Sicht also keine Marktwirtschaft mehr?
In der Realität gibt es weder die reine Planwirtschaft, wie sie im Lehrbuch steht, noch eine reine Marktwirtschaft, in der der Staat keine Rolle spielt. Wir bewegen uns immer zwischen diesen beiden Polen. Aber in Deutschland wurden seit der Jahrtausendwende systematisch die planwirtschaftlichen Elemente gestärkt und die marktwirtschaftlichen Elemente geschwächt.

Ist es nicht vielmehr so, dass das alte exportgetriebene Wachstumsmodell einfach nicht mehr funktioniert aufgrund externer Veränderungen? Wir bekommen keine billige Energie mehr aus Russland. Donald Trump droht mit Zöllen. Unsere weltumspannenden Lieferketten funktionieren nicht mehr.
Das mag sein. Aber auch diese Probleme wurden teilweise politisch verursacht. Die Russland-Sanktionen haben uns so hart getroffen, weil wir uns zuvor mit der Nord-Stream-Pipeline einseitig von einem politisch hochproblematischen Energielieferanten abhängig gemacht haben. Der Lockdown und andere Corona-Maßnahmen, die die Lieferketten beeinträchtigten, waren politische Entscheidungen. Das sind nicht einfach exogene Schocks. Dasselbe gilt für die Zölle. Die Zustimmung in der US-Bevölkerung für Trumps Zölle sind eine Reaktion auf die ungerechten Verteilungswirkungen der Geld-, Finanz- und Regulierungspolitiken, die oft den Großen und Reichen genutzt haben. Die Billiggeldpolitiken der Zentralbanken haben Aktien- und Immobilienpreise nach oben schießen lassen, wovon die reichen Leute profitiert haben, während die Mittelschicht für ihre Spareinlagen keine Zinsen mehr bekommen hat. Trump hat mit seinem Zollversprechen, die angeblich Industriearbeitsplätze schützen sollen, die Verlierer dieses Prozesses politisch an sich gebunden.

Um noch einmal kurz in Deutschland zu bleiben: Sehen Sie jetzt im Wahlkampf Ansätze, dass der wirtschaftspolitische Kurs in Ihrem Sinne korrigiert werden könnte?
Ich habe eine Ursachenanalyse gemacht und kann daraus die Therapie ableiten: Wir müssen zurück zu den marktwirtschaftlichen Prinzipien. Wir brauchen eine stabile Währung. Wir müssen die Staatsausgaben einkürzen. Wir müssen die Wirtschaft dringend von zu strengen Regulierungen befreien und dürfen die Unternehmen nicht subventionieren. Gleichzeitig muss die Steuer- und Abgabenlast für die Bürger und Bürgerinnen sinken. Wenn ich schaue, was ich davon in den Parteiprogrammen finde, dann ist das eher nicht im linken und grünen Spektrum zu finden. Das will noch mehr Regulierungen, noch mehr Umverteilung. Zur Finanzierung soll die Schuldenbremse weg. Kurzfristig mag so eine Umverteilungsagenda funktionieren, auf lange Sicht würde es die beschriebenen negativen Wachstums- und Verteilungseffekte noch verstärken. Deswegen bin ich bei Parteien, die jetzt einen schlankeren Staat fordern.

Bei welchen Parteien sehen Sie das?
In einigen Parteiprogrammen lese ich, dass weitgehende Steuersenkungen gefordert werden. Aber was unklar bleibt: Wie soll das denn gegenfinanziert werden? Es bleibt weitgehend offen, ob sie die Verschuldung erhöhen oder doch tatsächlich Ausgaben kürzen und so den Staat schlanker machen wollen. Zumindest gibt es Vorschläge, beim Bürgergeld zu kürzen. Immerhin sind vier Millionen Bürgergeldempfänger erwerbsfähig.

Aus Ihrer Sicht lassen sich die Wachstumsperspektiven langfristig verbessern durch eine ordoliberale Kurskorrektur. Aber das würde die Wirtschaftskrise zunächst einmal spürbar verschlimmern, wenn die EZB ihre Bilanz massiv abbaut und der Staat beginnt, radikal zu sparen und Schulden abzubauen. Da kämen harte Zeiten auf Deutschland zu.
„Wasch mich und mach mich nicht nass!“ gibt es nicht. Reformen tun zunächst weh und wirken erst auf die mittlere Frist wie eine bittere Pille, die man schlucken muss, um gesund zu werden. Da sehe ich das große Hindernis in Deutschland. In Argentinien wollten die Menschen diese Reformen, weil sie gesehen haben, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Der jetzige Präsident Javier Milei hat einen Reformwahlkampf gemacht mit einer Kettensäge – und die Leute haben ihn deshalb gewählt. In Deutschland ist die Situation eine andere. Wir haben noch ein sehr großes Wohlstandspolster. Reformvorschläge verursachen bei großen Teilen der Bevölkerung Unbehagen. Das dürfte ein Problem von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sein: Ich vermute, er weiß, was jetzt wichtig wäre in der Wirtschaftspolitik. Aber für eine große Volkspartei ist es wohl keine gute Idee, im Wahlkampf offensiv marktwirtschaftliche Reformen zu fordern. Dann laufen ihr die Wähler davon. Deshalb lohnt es sich auf Donald Trump zu schauen, wie er Wahlkampf gemacht hat.

Wie meinen Sie das?
Er hat einen Inflationswahlkampf gemacht. Er hat kritisiert, dass die Preise für Eier und Speck durch die Decke gegangen sind. Er hat verstanden, dass sich durch den starken Preisanstieg die persönliche Lebenslage von vielen Millionen US-Amerikanern deutlich verschlechtert hat. Damit hat er die Wahl gewonnen - und jetzt will er Reformen machen.

Aber wird Trumps Politik - soweit sie sich abzeichnet - die Inflation nicht wieder befeuern? Seine Zölle beispielsweise dürften die Preise nach oben treiben.
Ich sehe beides. Wenn er wirklich auf breiter Front die Zölle erhöht, dann wirkt das inflationär. Zölle verteuern die Preise von importierten Gütern und reduzieren den Wettbewerb für die heimischen Unternehmen, die dann einen größeren Spielraum für Preiserhöhungen haben. Auch die geplante Migrationspolitik kann inflationär wirken, wenn durch umfangreiche Abschiebungen das Angebot an billiger Arbeitskraft reduziert wird. Aber deflationär bei Trump sind die angekündigten Ausgabenkürzungen und ganz klar die Deregulierung. Vor allem Umweltregulierungen haben in den vergangenen Jahren hohe Kosten verursacht, die die Unternehmen über ihre Preise weitergeben müssen. Außerdem will Trump Ausgaben kürzen, indem er unter anderem die Beschäftigung im öffentlichen Sektor reduziert. Das ist auch in Deutschland ein wichtiger Faktor, wo seit 2008 2,6 Millionen zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Sektor geschaffen wurden. Das treibt die Inflation an, weil damit das Angebot am Arbeitsmarkt verknappt wurde. Und das ist ein wesentlicher Faktor für den Anstieg der Lohnstückkosten und den Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.

Taugt Trump tatsächlich als Vorbild für die deutsche Politik?
Trump ist eine schräge Persönlichkeit, ohne Zweifel. Aber ich sehe zumindest einige Punkte, von dem, was wir jetzt auch in Deutschland brauchen, in Trumps Programm – vor allem die Konsolidierung der Staatsausgaben und die Deregulierung. Wenn man deregulieren und Ausgaben kürzen will oder muss, braucht es jemanden, der hart durchgreift. Denn Deregulierung und Ausgabenkürzungen führen immer dazu, dass Menschen Einschnitte hinnehmen müssen. Deswegen brauchen Sie einen Haudegen, der das durchsetzt.

Also muss Deutschland mehr Kettensäge wagen?
Politiker bei CDU und FDP, die das so oder ähnlich gesagt haben, haben ja gleich Rückzieher gemacht. Aber Deutschland braucht weitgehende Reformen. Das erfordert eine entsprechende Kommunikation. Dass sich Milei mit der Kettensäge vor die Kamera gestellt hat, war ein Signal: „Ich meine das ernst.“ Nach einem Jahr Regierungszeit in Argentinien sehen wir, dass Milei ernst gemacht hat – und es wirkt. Der Staatshaushalt ist ausgeglichen und die Inflation geht runter. Der politische Rückhalt ist geblieben.

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.

>> Die Woche – Newsletter <<

Das wichtigste Thema der Woche aus Wirtschaft, Finanzen und Politik – pointiert eingeordnet von Capital-Chefredakteur Timo Pache. Immer freitags, kostenlos und mit vielen Lese-Tipps zu den besten Capital-Geschichten der Woche.

Hier können Sie den Newsletter abonnieren

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel