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Konjunktur Ist die deutsche Wirtschaftskrise nur ein Mythos?

Containerumschlag im Mannheimer Hafen. Vor allem der Außenhandel stockt
Containerumschlag im Mannheimer Hafen. Vor allem der Außenhandel stockt
© Herrmann Agenturfotografie / IMAGO
Die Inflation sinkt, die Löhne steigen. Doch Daten und Stimmung im Land passen nicht zusammen

Steckt die Wirtschaft in einer Krise? Der Wirtschaftsminister selbst nennt die Lage „dramatisch schlecht“. Viele Menschen spüren das im Moment allerdings nicht. Die Inflation sinkt, die Löhne steigen. Die Krisenentwicklung der vergangenen Jahre hat sich in ihr Gegenteil verkehrt.

Deutschlands Wirtschaft geht es blendend, oder? Die deutsche Volkswirtschaft hat gemessen an ihrer jährlichen Leistung gerade Japan überholt und ist nun die drittgrößte der Welt. Der Leitindex der deutschen Börse, der DAX, klettert von einem Allzeithoch zum nächsten. Vom Arbeitsmarkt meldet die Bundesagentur für Arbeit stetig neue Beschäftigungsrekorde. Zugleich ist die Inflation nahezu auf den Zielwert der Europäischen Zentralbank gesunken, während die Löhne kräftig steigen.

Dennoch läuft etwas schief mit der deutschen Wirtschaft. Nicht nur die politische Opposition und Wirtschaftsverbände sind unzufrieden, sondern sogar Robert Habeck, der zuständige Minister, bezeichnete die Wirtschaftslage als „dramatisch schlecht“. Habeck musste gerade im Namen der Bundesregierung die Wachstumsprognose für dieses Jahr auf nur noch 0,2 Prozent senken. Im vergangenen Jahr war Deutschlands Wirtschaftsleistung sogar leicht geschrumpft. Beim Wachstum gehört Deutschland zu den Schlusslichtern in Europa. Bei näherem Hinsehen hat auch Deutschlands Wirtschaft die japanische weniger überholt, als dass die japanische hinter die deutsche zurückgefallen ist, unter anderem rein rechnerisch aufgrund einer schwachen Entwicklung der japanischen Währung Yen.

Wie geht es also der deutschen Wirtschaft wirklich? Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Für viele Menschen in Deutschland hat sich die wirtschaftliche Situation nach der Corona-Krise und nach der Energiekrise im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zuletzt wieder verbessert. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist stabil. Die sinkende Inflation bei steigenden Löhnen führte dazu, dass die Kaufkraft vieler Menschen wieder leicht gestiegen ist.

Strompreis fällt unter Vorkrisenniveau

Insbesondere die zwischenzeitlich explodierenden Energiepreise sind wieder auf das Niveau von vor mehr als zwei Jahren gefallen. Das nutzt nicht nur Privatverbrauchern, sondern auch Unternehmen von Chemiekonzernen bis zu Bäckern, die insbesondere unter den hohen Gasrechnungen litten. Die Strompreise liegen aufgrund gesenkter Steuern und Abgaben für manche Unternehmen derzeit sogar deutlich unter dem Niveau der Vorkrisenzeit. Doch während die Kosten für die Unternehmen sinken oder zumindest nicht mehr so stark steigen, hat die Wirtschaft nun ein anderes Problem: Vielen Branchen bricht die Nachfrage weg.

Damit hat sich die Krisenentwicklung der vergangenen Jahre in ihr Gegenteil verkehrt. Baubranche, Maschinenbau, Autobauer: Sie alle litten darunter, dass Energie, Rohstoffe und Vorprodukte knapp und teuer oder teilweise gar nicht mehr zu bekommen waren. Die Produktion und damit das Angebot an Gütern konnte mit der Nachfrage nicht mithalten. Nun ist es zunehmend andersherum.

Besonders drastisch ist diese Entwicklung auf dem Bau zu beobachten. Einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge dürften die Ausgaben für Bauleistungen im vergangenen Jahr um 3,5 Prozent sinken, im Wohnungsbau sogar um 5,4 Prozent. Die Baubranche reagiert besonders empfindlich auf die 2022 und 2023 im Rekordtempo gestiegenen Leitzinsen. Die machen Hypotheken und andere Darlehen, mit denen Bauträger ihre Investitionen in der Regel finanzieren, teurer.

Gründe für schwache Nachfrage bleiben

Die Baubranche ist nicht die einzige, die sich vor Kurzem kaum vor Nachfrage retten konnte, nun aber mit leeren Auftragsbüchern dasteht. Die Kapazitätsauslastung der deutschen Industrie ist laut Eurostat auf gut 80 Prozent gesunken, den niedrigsten Wert seit dem Höhepunkt der Corona-Krise. Dabei spüren die Industriebetriebe vor allem einen Rückgang bei der Nachfrage aus dem Ausland. 2023 sanken die deutschen Exporte preisbereinigt um 1,8 Prozent. Während die Bundesregierung eine Stabilisierung für dieses Jahr erwartet, sehen andere Prognosen einen weiteren Rückgang voraus.

Und wie geht es weiter? An den Hauptgründen für die schwache Nachfrage – die gestiegenen Zinsen und die schwache Weltkonjunktur – dürfte sich in nächster Zeit kaum etwas ändern. Die widersprüchliche Lage der deutschen Wirtschaft mit stabilen Preisen und steigenden Einkommen bei stagnierender Wirtschaftsleistung dürfte anhalten.

Dieser Artikel ist zuerst bei n-tv.de erschienen.

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