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Gastkommentar Wirtschaft verlangt nach Freiheit

Der ehrliche Kaufmann ist die Leitfigur der sozialen Marktwirtschaft. Er trifft verantwortungsvolle Entscheidungen – ganz ohne politische Lenkung.
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Auf Capital.de schreiben ausgewählte Gastautoren zum Capital-Claim "Wirtschaft ist Gesellschaft". Heute: Christian Lindner, stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender und Landtagsabgeordneter in NRW.

Wirtschaft und Gesellschaft werden gegeneinander in Stellung gebracht. Aus den Feuilletons wird der „homo oeconomicus“ eines Egoismus bezichtigt, der das Ende der Demokratie sein könnte. Links der politischen Mitte wird der Versuch unternommen, wirtschaftliches Handeln per se in einen Gegensatz zu sozialen Zielen zu setzen. Dabei ist in der Sozialen Marktwirtschaft klar: „Wirtschaft ist Gesellschaft.“

En vogue ist hingegen neuerdings die Forderung nach einer „demokratischen Marktwirtschaft“. Es müsse, so heißt es, politisch legitimiert werden, in welche Richtung sich Wirtschaft und Gesellschaft entwickelten. Eine Spitzenpolitikerin der Grünen behauptete jüngst von sich, sie selbst wisse ganz genau, welche Branchen in Zukunft wachsen und welche Branchen schrumpfen müssten. Es kann kein Zweifel bestehen, dass diesem „Wissen“ Taten mit Subventionen, Steuern, Verboten, Geboten und Lenkungen folgen würden. Der Soziologe Ulrich Beck hat diese Anmaßung kürzlich in die Nähe des „autoritären chinesischen Staatskapitalismus“ gerückt.

Hingegen hatte Walter Eucken als einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft früh den Zusammenhang zwischen Wettbewerbswirtschaft, Demokratie und den individuellen Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen in einer offenen Gesellschaft erkannt. Diese Ordnungen durchdringen und bedingen einander. Wo Macht in den Händen weniger liegt, gerät die Freiheit des Einzelnen in Gefahr – egal, ob es Monopole sind oder Politiker, die der Wirtschaft Befehle erteilen wollen. Freiheit heißt in der Wirtschaft Wettbewerb, in der Gesellschaft Toleranz und in der Politik Demokratie. Eucken sprach von der „Interdependenz der Ordnungen“. Wir sind immer zugleich Teilhaber von Wirtschaftsleben, Gesellschaft und Demokratie. Jeder Einkaufzettel ist eine Regierungserklärung – eine Richtungsentscheidung, die nicht abschließend an ebenso fehlbare Politiker delegiert werden sollte wie wir selbst fehlbar sind.

Statt die Ordnungen also gegeneinander auszuspielen, sollten sie jeweils gestärkt werden, damit sie sich wechselseitig tragen können: Ein unzureichend geordneter Markt hebelt erstens demokratische Kontrolle aus, insbesondere wenn der Staat selbst sich in die Abhängigkeit von Gläubigern begibt und zulässt, dass Unternehmen „too big too fail“ werden. Also müssen unser Gemeinwesen entschuldet und die Verbindung von Handeln und Haften erneuert werden. Wirtschaftspolitische Reißbrettplanungen behindern zweitens Wettbewerb, kreative Anpassung an neue Entwicklungen und damit Fortschritt.

Also sollte sich der Staat auf die Schaffung guten Rechts und die Garantie eines funktionierenden Wettbewerbs konzentrieren, der auch neuen Ideen die Chance auf Durchbruch eröffnet. Und in der Demokratie sollten wir uns drittens nicht den Sirenenklängen hingeben, die uns die Lösung aller Probleme versprechen, nachdem unser Handeln auf den Staat, also auf Politiker, delegiert wird.

Stabil sind die Ordnungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie, wenn sie den gleichen Werten von Verantwortung und Freiheit folgen. Nicht der unbedingt seinen Vorteil suchende „homo oeconomicus“ ist das Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft, sondern die ehrliche Kaufmannschaft. Verantwortlich handeln heißt, für in Freiheit getroffene Entscheidungen Gründe angeben zu können, die vor Moral, Vernunft und Gemeinwohl Bestand haben können. Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis heute ist Deutschland damit gut gefahren – unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft bezeugt es. Es ist deshalb hohe Zeit für die Erneuerung eines Auftrags: „Wirtschaft ist Gesellschaft“.

Foto: © Ralph Orlowski/Getty Images

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