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Finanzevolution Wird die Blockchain an ihrem 10. Geburtstag erwachsen?

Das Blockchain Centre in Kuala Lumpur ist ein Coworking-Space für Blockchain-Interessierte
Das Blockchain Centre in Kuala Lumpur ist ein Coworking-Space für Blockchain-Interessierte
© dpa
Neue Technologien wie die Elektrizität haben eine lange Reifezeit bis zur massentauglichen Verwendung gebraucht. Auch die Blockchain braucht Zeit. Dirk Elsner über eine Technologie im Säuglingsalter

Blickt man in die Geschichte neuer Technologien, dann fällt auf, dass viele wichtige und für uns heute selbstverständliche Entdeckungen oder Erfindungen sehr lange benötigt haben, um einsatzfähig zu werden. So musste die Elektrizität, deren wesentliche Entdeckungen im 18. und 19. Jahrhundert gemacht wurden, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf den breiten Einzug in die Industrie warten. Oder nehmen wir ein anderes Thema: die Computertechnologie. Die Britin Ada Lovelace beschrieb bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die Grundlagen zur Architektur von Computern, der Programmierung und künstlicher Intelligenz. Breite Anwendung fanden ihre Gedanken aber erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Diese Beispiele zeigen, dass die Evolution neuer Technologien oft eine lange Reifezeit für die massentaugliche Verwendung benötigt. Im Vergleich zur Entwicklungsdauer der Elektrizität und der Programmiertechnik befindet sich eine heute viel beachtete Technologie noch im Säuglingsalter. Die Rede ist von der Blockchain-Technologie, die Ende Oktober ihren zehnjährigen Geburtstag feierte .

Mit Hilfe der Blockchain-Technologie können Verfügungsrechte über materielle und immaterielle Güter und Daten mit Hilfe kryptografischer Verfahren manipulationssicher, dezentral und digital dokumentiert werden. So lassen sich Rechte zwischen verschiedenen Parteien nachvollziehbar übertragen und ohne Einschaltung eines vertrauenswürdigen Dritten verifizieren. Umgesetzt wird das mit technischen Protokollen in einer selbst von Fachleuten kaum noch zu überblickenden Anzahl von Varianten.

Attraktive Anwendungsmöglichkeiten

Als Verfügungsrechte bezeichnen Ökonomen die Fähigkeit, bestimmte Entscheidungen bezüglich eines Wirtschaftsgutes oder einer Handlung durchzusetzen. So kann etwa der im Grundbuch genannte Eigentümer ein Haus verkaufen, vermieten oder abreißen. Das Eigentum von Frachtgütern wird zum Beispiel über sogenannte Warenwertpapiere verbrieft. Die in den Warenpapieren genannte Person oder Institution darf dann im Hafen die Waren in Empfang nehmen. Verfügungsrechte an einem Unternehmen werden etwa in Aktien dokumentiert und berechtigen den Inhaber, Anteile am Gewinn zu verlangen. Der Inhaber einer Banknote (Geld ist sozusagen ein wichtiges Surrogat für Verfügungsrechte) kann diese verwenden, um sie in Verfügungsrechte über Konsumgüter im Supermarkt zu tauschen.

Muss ein Anwender die technischen Details der Blockchain-Technologie kennen? Nein, denn es reicht zu wissen, dass die Blockchain-Technologie helfen kann, Transaktionen deutlich zu vereinfachen. Bei den vorgenannten Beispielen muss viel Aufwand betrieben werden, um die Verfügungsrechte rechtssicher nachzuweisen und zu dokumentieren, damit ein Haus zum Beispiel nicht zweimal verkauft wird oder der verwendete Geldschein nicht gefälscht wird. Hier verspricht die Blockchain-Technologie Abhilfe.

Auf dem High-Level-Niveau von Sonntags- und Kongressreden klingen daher viele Vorhersagen und Anwendungen attraktiv und nach bürokratischer Erleichterung für die Abwicklung von Geschäftsprozessen. Ich habe in dieser Kolumne schon häufig darüber geschrieben (z.B. hier und hier ), jedoch auch betont, dass der Lackmustest mit Prototypen in der Praxis stattfinden muss. Trotz des jungen Alters wird die neue Technologie derzeit mit vielen Erwartungen überfrachtet und eine Fülle idealer Konzepte entworfen, die die Welt verändern sollen. Das klingt häufig so, als stehe die massentaugliche Verwendung kurz vor dem Durchbruch. Dem ist nicht so.

Die produktive Phase ist noch nicht erreicht

Mittlerweile kehrt daher mehr Realismus ein. Im aktuellen „Hype Cycle“ aufstrebender Technologien der Marktforscher von Gartner hat die Blockchain-Technologie die Spitze überzogener Erwartungen („peak of inflated expectations“) mittlerweile überschritten und bewegt sich auf das Tal der Ernüchterung („trough of disillusionment“) zu. Wenn das Narrativ des Gartner Hype Cycles auch auf die Blockchain zutrifft, dann dauert es zunächst noch bis die Talsohle der Desillusionierung erreicht ist. Anschließend müsste dann der Aufstieg zur Erleuchtung („slope of enlightenment“) und darauf folgend erst die wirklich produktive Phase („plateau of productivity“) kommen. Das kann noch einige Jahre dauern. Viele Unternehmen beschäftigen sich mit der Technologie, was ich für richtig halte.

Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson beschreiben eindrucksvoll in ihrem Buch „Machine, Platform, Crowd“ wie viele gerade große Unternehmen bei der Elektrifizierung zunächst weiter auf Dampf und nur sehr zurückhaltend auf Strom gesetzt haben. Viele marktbeherrschende Konzerne haben durch das zu lange Festhalten an veralteter Infrastruktur deutlich an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Es gibt zwar keinen zwingenden Zusammenhang, dass dies mit der Blockchain-Technologie genauso passieren muss, wissen tut man es aber erst, wenn es zu spät ist. Und die Technologie lässt sich nicht einfach erlernen, in dem man ein oder zwei IT-Spezialisten zu einem Seminar schickt. Will eine Bank diese Technik anwenden, dann benötigt es Erfahrungen in IT-, Marktfolge- und Rechtsfragen.

Übersehen wird häufig, dass es nicht viel bringt, wenn man diese Technologie allein beherrscht. Anders als etwa bei der Elektrizität gehören zur Nutzung dieser Technik mindestens zwei Parteien (eigentlich aber viel mehr). Vor dem Hintergrund der gleichberechtigten Nutzung frage ich mich, was die inflationäre Patentierung (die US-Patentdatenbank weist derzeit über 1400 Treffer zum Stichwort Blockchain aus) von Blockchain-Technologien bringen soll (siehe auch Der Patent-Krieg um die Blockchain ). Allein die Bank of America soll über 50 Patente angemeldet haben. Was sie davon in welchem Umfang nutzt, ist bisher nicht klar.

Klar dürfte aber sein, dass rechtliche Rahmenbedingungen angepasst werden müssen, wenn die Technologie breitere Verwendung finden soll. In einem Land, in dem Bargeld immer noch als gesetzliches Zahlungsmittel gilt und verschiedenste Transaktionen die Form physischer Dokumente mit eigenhändigen Unterschriften (zum Beispiel bezeugt durch eine dritte Person wie einen Notar oder einen Standesbeamten) erfordern, besteht ein akuter rechtlicher Aktualisierungsbedarf.

Die Blockchain hat ein großes Potenzial

Eine weitere Anwendung der Blockchain-Technologie sind sogenannte Smart Contracts. Das sind im Prinzip Computerprogramme, mit denen Verträge abgebildet, überprüft und in der Abwicklung automatisiert werden können ( mehr dazu hier ). Will man solche Smart Contracts einsetzen, dann benötigt man dafür auf einem kryptografischen Pendant auf der Geldseite. Insbesondere große Unternehmen befinden private und dezentrale Kryptowährungen wegen des operativen Risikos und vor allem wegen des Kursrisikos derzeit für ungegeignet. Bedarf besteht hier also etwa nach einem Krypto-Euro, der von einer staatlichen Institution garantiert und jederzeit in herkömmliche Euro zurückgetauscht werden kann. Die Europäische Zentralbank lehnte dies allerdings jüngst ab wegen der fehlende Robustheit der aktuellen Technologie. Andere Zentralbanken testen dagegen bereits Kryptoversionen ihrer Währungen.

Aber selbst, wenn viele der vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, steht die Wirtschaftspraxis vor neuen Herausforderungen. So befasst sich in der DZ Bank, für die ich arbeite, derzeit ein Team im Innovation LAB mit einem Prototyp für komplexe OTC-Derivate durch „ Smart Derivative Contracts “. Hier tauchen rund um die Realisierung einige praktische Fragen auf, die zu lösen sind. Will man etwa die Vorteile komplett heben, setzt dies voraus, dass alle Derivate mit allen Geschäftspartnern entsprechend abgeschlossen werden. Aber allein der Altbestand lässt eine vollständige Nutzung auf Jahre nicht zu. Neue und alte Systeme müssten nebenher betrieben werden. Daneben geht es auch hier darum, dass sich verschiedene Marktteilnehmer auf der gleichen Grundlage verständigen und die Geschäfte in die regulatorischen Rahmenbedingungen passen.

Manche sagen, die Blockchain wird sämtliche Geschäftsprozesse verändern. Ich bin da etwas vorsichtiger und sage, sie hat zumindest das Potenzial, viele Geschäftsprozesse zu verändern. Zum Ende des 19. Jahrhunderts konnten sich viele auch noch nicht vorstellen, dass die Elektrizität so viele Veränderungen nach sich zieht. Damals erwarteten zwar viele, dass Elektromotoren die bis dahin dampfbetriebenen Maschinen ablösen werden. Aber wer, außer vielleicht diejenigen die Ada Lovelace Schriften kannten, konnten sich vorstellen, dass die Elektrizität erst so etwas wie Computer und Digitalisierung und damit auch die Blockchain hervorbringen konnte.

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