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Gastkommentar Wie man die Flüchtlingskrise managt

Optimismus ist zu wenig. Die Flüchtlingskrise muss anders gemanagt werden als die Wiedervereinigung. Von Thomas Doyé
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Thomas Doyé ist Professor für Organisations- und Personalentwicklung an der Technischen Hochschule Ingolstadt.

Der aktuelle und wohl noch andauernde Flüchtlingsansturm bedeutet eine der größten Veränderungen für unsere Republik. Sie ist in ihrer Dimension vergleichbar mit der Wiedervereinigung – und diese wurde zunächst denkbar schlecht gemanagt. Große Veränderungen brauchen ein strukturiertes Veränderungsmanagement. Ein solches war bei der „Wende“ nicht zu erkennen – und entsprechend mangelhaft, mit nachhaltigen Schäden ist sie gelaufen. Wie bei den DDR-Flüchtlingen 1989 setzt die Bundesregierung wieder auf blanken Optimismus. Für die erneute große Veränderung, in der wir schon mitten stecken, ist ein strukturiertes Veränderungsmanagement notwendig, um weiteres Chaos und weiter zunehmende soziale Spannungen zu vermeiden.

Die Prinzipien des Change Management wurden zwar für Unternehmen entwickelt, sie sind aber bei noch größeren Organisationsgebilden wie einem ganzen Land, erst recht erforderlich und darauf adaptierbar.

Für eine gelungene Veränderung müssen ganz konkrete Punkte angepackt werden: Es braucht ein Veränderungsteam, das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Veränderung, eine Vision mit klaren Zielsetzungen, die breite Kommunikation dieser Vision, den Umgang mit Widerstand, das schrittweise Realisieren sowie die nachhaltige Verankerung.

Kakophonie bei den Verantwortlichen

Aktuell fehlt es im Flüchtlingsthema schon an einem kompetenten Veränderungsteam. Die Kanzlerin öffnet die Grenzen und schließt sie kurz darauf wieder, der bayerische Ministerpräsident poltert dagegen, eine Kommission der Länderchefs stellt öffentlich konkrete Forderungen an die Bundesregierung … und der Münchner OB ruft schlichtweg nach Hilfe. Ein abgestimmtes Team mit konkreten Plänen, wie die Veränderung zu gestalten ist, sieht anders aus. Dieses Team braucht eine Verankerung bei allen von der Veränderung betroffenen Gruppen, andernfalls wird dessen Arbeit keine Akzeptanz bekommen.

Dafür ist die zweite Voraussetzung, das Bewusstsein, dass eine Veränderung dringend erforderlich ist, schon breit vorhanden. Es muss wohl niemand wehr aufgerüttelt werden, um zu kapieren, dass endlich etwas geschehen muss, dass die vielfältigen Auswirkungen der Flüchtlingswellen strukturiert angepackt werden müssen. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Veränderung. Dieses Momentum der Veränderungsbereitschaft der überwiegenden Bevölkerung muss aber jetzt auch genutzt werden.

Ein Plan, eine Vision, wie dieses Land nach einer gelungenen Integration aussehen soll, ist nicht einmal in Ansätzen zu erkennen. Zumindest hat die Kanzlerin uns an ihren Gedanken dazu noch nicht teilhaben lassen. Für eine große Veränderung, an deren Anfang wir gerade wieder mal stehen, reicht kein Dahinwursteln von einem Problem zum nächsten. Es braucht einen großen Wurf, auf den zugesteuert wird. Eine solche Vision muss erst noch im politischen Konsens erarbeitet werden – allerdings deutlich schneller als üblich. So auch der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber: „Die Regierung muss sagen, was in ein, zwei Jahren ist.“

Widerstand ist absehbar

Für diese Vision muss mit breit gestreuter Kommunikation geworben werden. Die Akzeptanz dafür wird nicht zwangsläufig bei allen Gruppierungen in unserer Gesellschaft vorhanden sein. Das ist auch nicht von Beginn an notwendig, sie müssen aber sukzessive durch erste Erfolge der Veränderungsarbeit immer mehr überzeugt werden.

Widerstand ist bei Veränderungen nichts Ungewöhnliches, sondern der Normalfall. Die verschiedenen Formen des Widerstands lassen sich sogar weitgehend absehen und damit kann ihnen auch begegnet und sie teilweise ausgeräumt werden. Aber auch dazu braucht es ein gezieltes Veränderungsmanagement.

Der Gesamtplan der Veränderung muss in einzelne überschaubare Teilschritte herunter gebrochen werden, damit das Riesenpaket handelbar wird. Das Erreichen der ersten dieser Meilensteine überzeugt weitere Zweifler, reduziert deren Widerstand oder macht sie gar zu Unterstützern.

Die erreichten Veränderungen müssen verankert werden, damit sie auch nachhaltig wirksam sind. Aber dies zu konkretisieren, bleibt noch viel Zeit. Erst braucht es die Erkenntnis, dass diese im Wesentlichen noch vor uns liegende Veränderung strukturiert und gezielt gesteuert werden muss. Die Aufgabe wäre es wert, dass sie diesmal professioneller angepackt wird.

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