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Charmeoffensive Wie Habeck versucht, Indien als Partner zu gewinnen

Robert Habeck besucht das Safdarjung Mausoleum
Robert Habeck besucht das Safdarjung Mausoleum. Der Wirtschaftsminister will die Zusammenarbeit mit Indien stärken, um die Abhängigkeit von China zu verringern
© Britta Pedersen/dpa / Picture Alliance
Indien ist zu einem der Lieblingsreiseziele deutscher Minister geworden. Jetzt ist Wirtschaftsminister Robert Habeck auf Werbetour in dem Riesenland. Doch Indien ist ein schwieriger Partner, der sich seiner wachsenden Bedeutung bewusst ist

Mit schwierigen Partnern kennt sich Robert Habeck aus. Die Ampelkoalition hat ihm in den vergangenen Monaten in dieser Hinsicht jede Menge Anschauungsunterricht und Praxistipps gegeben. Das kann er in den kommenden Tagen gut gebrauchen: Der Wirtschaftsminister ist nach Indien gereist, mit dem Deutschland seit einigen Jahren zwar eine strategische Partnerschaft verbindet. Doch diese Partnerschaft ist eine komplizierte Beziehungskiste.

Die Bundesregierung gibt sich redlich Mühe, diese Beziehung zu pflegen und auszubauen. Denn Indien hat für Deutschland kräftig an Bedeutung gewonnen. Und so setzt Habeck die deutsche Charmeoffensive auf dem Subkontinent fort – der Bundeskanzler war bereits da, die Außenministerin auch, ebenso der Verteidigungs- und der Finanzminister. Und der Arbeitsminister ist derzeit ebenfalls in Indien. Nun ist der Wirtschaftsminister eingetroffen, in Begleitung einer Wirtschaftsdelegation.

Allein dieser rege Verkehr von Regierungsfliegern zwischen dem Berliner BER und Neu-Delhi zeigt, welchen Stellenwert die Ampelkoalition Indien beimisst. Und er zeigt, wie sich Machtgewichte verschieben zugunsten von Schwellenländern, die zugleich geopolitische Regionalmächte sind. Die Zeiten haben sich geändert: Vor Habeck hatte mehr als zehn Jahre lang kein deutscher Wirtschaftsminister Indien einen Besuch abgestattet.

Der letzte war 2012 Philipp Rösler. Damals war Russland wichtiger Lieferant fossiler Energie für deutsche Unternehmen und Wohnzimmer, und je mehr Handel mit China getrieben wurde, desto besser.

Indien könnte die USA überholen

Mittlerweile ist die Welt allerdings eine andere. Nachdem Russland die Ukraine mit einem Angriffskrieg überzogen hat und Energie als machtpolitische Waffe auch gegen Deutschland einsetzte, löste sich die Bundesrepublik schmerzhaft von der Abhängigkeit von russischem Öl und Gas. Nun will die Bundesregierung durch eine neue China-Strategie erreichen, dass Deutschland die starken Abhängigkeiten von der Volksrepublik unter anderem bei Rohstoffen verringert und Unternehmen ihre Lieferketten breiter aufstellen. „Diversifizierung“ und „De-Risking“ heißen die neuen Schlagworte.

Indien, das bevölkerungsreichste Land der Erde mit 1,4 Milliarden Einwohnern, soll dabei eine Schlüsselrolle spielen. Das liegt nicht nur an der schieren Größe des riesigen Landes - der Wirtschaft der größten Demokratie der Welt wird enormes Wachstum vorhergesagt. Seit dem Abflauen der Coronapandemie wächst die indische Wirtschaft noch kräftiger als die chinesische. Daran wird sich wohl erstmal nichts ändern: Für dieses Jahr sagt der Internationale Währungsfonds Indien ein Wachstum von 5,8 Prozent voraus – und China 5,2 Prozent. Die Wall-Street-Bank Goldman Sachs traut Indien zu, spätestens 2075 die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft zu werden – nach China, aber vor den USA und vor Deutschland, das derzeit auf dem vierten Platz liegt.

Bei Habecks Besuch geht es vor diesem Hintergrund auch um Energie- und Klimapolitik. Indien will die Produktion von „grünem“ Wasserstoff auch für den Export ausbauen. Dieser durch erneuerbare Energien hergestellte Wasserstoff soll nach den Vorstellungen der Bundesregierung dabei helfen, die Produktion der deutschen energieintensiven Industrie klimaneutral zu machen. Dafür wird Deutschland viel grünen Wasserstoff importieren müssen.

Indien verbindet mit Deutschland seit einigen Jahren eine sogenannte Strategische Partnerschaft, es gibt Regierungskonsultationen. Doch Indien ist ein schwieriger Partner - was auch Habeck nicht verhehlt. Das Land wird unter anderem auch von den USA, Kanada, Australien und Russland umschmeichelt. Die Regierung von Premier Narendra Modi will diese Position nutzen, um eigene politische und ökonomische Interessen durchzusetzen. Indien weiß, dass der Westen das Land in der Rivalität mit China als Partner braucht. Oder wie es Habeck im Interview mit ntv ausdrückte: Es sei nicht so, „dass Indien mit wehenden Fahnen versucht, Premiumpartner des Westens zu werden“.

Guter Kunde Russlands

Vor diesem Hintergrund positioniert sich Indien zwischen den Blöcken. Das Land beteiligt sich nicht an den wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine verhängten Sanktionen. Mehr noch: Es profitiert sogar davon. Das Land kauft etwa russisches Öl zum Discount-Preis. Damit stillt es nicht nur den eigenen Bedarf, sondern verkauft im Land raffiniertes russisches Öl sowohl teurer als auch sanktionskonform weiter, auch in den Westen.

Hinzu kommt, dass Modi Indien an den Interessen der Hindu-Mehrheit ausrichtet. In Demokratie-Indizes rutscht das Land ab. „Die hindu-nationalistischen Vorstellungen von Demokratie werden vermutlich kaum mit westlichen Vorstellungen übereinstimmen“, schreibt die Stiftung für Wissenschaft und Politik, eine deutsche Denkfabrik.

Die EU und die Bundesregierung setzen auf einen pragmatischen Ansatz: Sie arbeiten stärker mit Indien zusammen, um daraus gegenseitigen Nutzen zu ziehen. Oder wie es Habeck gegenüber ntv ausdrückte: „Es gibt wahrscheinlich keine denkbare Welt und schon gar keine politische, in der man immer die reine Lehre durchziehen kann (...) Da gibt es nicht nur Schwarz und Weiß. Dazwischen sind viele Grautöne.“

Seit vergangenem Jahr verhandeln die EU und Indien über ein Freihandelsabkommen. Habeck hofft, dass die Grundzüge im nächsten Frühjahr stehen. Das Abkommen dürfte das zentrale Gesprächsthema sein, wenn er am heutigen Donnerstag den indischen Handelsminister trifft.

Modi will Eigenständigkeit

Verkompliziert wird die Sache, weil sich auch in der Wirtschaftspolitik der Regierung Modi nationalistische Ausrichtungen und protektionistische Tendenzen zeigen. Der Premier strebt eine eigenständige nationale Industrie an.

Das ändert nichts daran, dass Deutschland und Indien ihren Handel ausweiten. Deutschland ist Indiens wichtigster Handelspartner in Europa, der Subkontinent liegt mittlerweile auf Rang 24 der wichtigsten deutschen Handelspartner. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern ist zuletzt deutlich gestiegen und hat im vergangenen Jahr die 30-Mrd.-Euro Marke erreicht. Zur Einordnung: Der größte Handelspartner Deutschlands ist China mit einem Volumen von fast 300 Mrd. Euro.

In China war Habeck aber noch nicht.

Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen

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