Erst lief im Dezember die Außenministerin in Neu-Delhi auf, dann trieb es den Kanzler im Februar bis nach Bangalore und nun den Verteidigungsminister nach Mumbai. Noch nie gaben sich so viele wichtige Vertreter der Bundesregierung in so vielen indischen Metropolen die Ehre wie in den letzten Monaten. Vorbei die Zeiten, als sich deutsche Minister oft jahrelang vor Ort nicht sehen ließen und Indien auf ihren häufigen Reisen nach China einfach links liegen ließen. Nun bemühen sich Politik und Wirtschaft sichtlich um das Land mit der größten Bevölkerungszahl der Welt. Das ist vor allem eine Folge des Kriegs in der Ukraine und der Ernüchterung über die Rolle Chinas und die immer aggressivere Politik Xi Jinpings.
Was früher als fast unmöglich galt, geht plötzlich wie geschmiert, wie der Besuch von Boris Pistorius in der letzten Woche zeigt. Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) und die indische Werft MDS unterzeichneten am Rande der Visite eine Absichtserklärung über den Bau von sechs U-Booten. Und Pistorius sprach sofort von einem „Leuchtturmprojekt“ für die künftige Zusammenarbeit der beiden Länder im Rüstungsbereich. Die Bundesrepublik wolle Indien künftig wie Australien oder Japan behandeln und damit auf lange Prüfungsprozesse bei Rüstungsprojekten verzichten.
Indien verfolgt die eigenen Interessen knallhart
Die selbstbewussten Inder lassen sich gern umwerben und genießen die neue Zuwendung sichtlich. Schließlich kümmern sich nicht nur die Deutschen, sondern viele andere EU-Staaten und auch die USA mit ungewohnter Energie um das Land. Daraus folgt jedoch keineswegs, dass sich die Inder nach Partnerschaften drängen und mit offenen Armen auf den Westen zugehen. Die Regierung in Neu-Delhi versteht es vielmehr meisterhaft, Länder gegeneinander auszuspielen und jedes Zugeständnis mitzunehmen, ohne selbst Zugeständnisse zu machen. Ähnlich wie China kreist Indien um sich selbst und verfolgt die eigenen Interessen knallhart und wenig kompromissbereit.
Deshalb ist auch das U-Boot-Projekt noch keineswegs wasserdicht. Indien wäre nicht Indien, wenn es nicht bis zur letzten Minute mehrere Anbieter gegeneinander antreten ließe. Und wie China erteilt Indien nur dann den Zuschlag für Großprojekte aller Art, wenn sie mit umfangreichen Transfers von Technologien verbunden sind. Deutsche Mittelständler sprechen deshalb auch in Indien, genau wie in China, schon einmal von „staatlicher Erpressung“.
Indien bleibt politisch und wirtschaftlich ein schwieriger Partner, auch wenn das Land die neuen geopolitischen Realitäten rund um Russland zur Kenntnis nimmt. Früher kamen die Waffen für die indische Armee vor allem aus Russland, nun sollen sie aus westlichen Ländern kommen. Aber sonst macht Indien weiterhin gute Geschäfte mit Wladimir Putin, importiert wie kein zweites Land russisches Erdöl und schließt sich den westlichen Sanktionen ausdrücklich nicht an. Russlands Außenminister Sergei Lawrow schlägt immer mal wieder in Indien auf und verbreitet seine Propaganda und das weitgehend unwidersprochen. Eine konsequente Verurteilung des russischen Angriffs auf die Ukraine war aus Neu-Delhi bisher nicht zu hören. Verantwortungsvolle globale Außenpolitik sähe anders aus.