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Kolumne Wie das Coronavirus die Weltwirtschaft bedroht

Mitarbeiterinnen einer Molkerei in Harbin
Mitarbeiterinnen einer Molkerei in Harbin
© dpa
Eines ist klar: Das Coronavirus wird die Weltwirtschaft empfindlich treffen. Nur das Ausmaß steht noch nicht fest. Carsten Klude über mögliche Szenarien für das globale Wirtschaftswachstum

Auf die globale Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 haben die Aktienmärkte seit Beginn der vergangenen Woche mit deutlichen Kursverlusten reagiert. Wir versuchen zu analysieren, mit welchen wirtschaftlichen Auswirkungen aufgrund der Krankheit zu rechnen ist und was das für die weitere Entwicklung an den Kapitalmärkten bedeuten könnte. Wie immer beim Blick in die Zukunft gilt dabei, dass sich die Rahmenbedingungen, unter denen Konjunktur- und Kapitalmarktprognosen getroffen werden, sehr schnell ändern können. Angesichts der vielen medizinischen Fragezeichen, die mit dem Virus verbunden sind, gilt das in diesem Fall umso mehr, zumal es sich um eine sich dynamisch entwickelnde und erst zu nehmende Situation handelt. Von daher sollte man sich angesichts der Risiken, die von Covid-19 ausgehen, als Anleger mit diesem Thema beschäftigen.

Bis Ende der letzten Woche gingen die meisten Kapitalmarktteilnehmer davon aus, dass Covid-19 wie ein temporärer Schock zu bewerten ist, der nur zu einer zeitweisen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Tätigkeit vor allem in China selbst führen würde. Erfahrungen mit früheren Epidemien, wie SARS in den Jahren 2002/2003, der Schweinegrippe H1N1 in den Jahren 2009/2010 und der Vogelgrippe H7N9 im Jahr 2013 zeigen, dass die Aktienmärkte zwar tendenziell mit Kursverlusten reagieren, solange die Zahl der Neuerkrankungen ansteigt. Die Märkte holten jedoch ihre zuvor erlittenen Verluste schnell wieder auf, sobald die Krankheit eingedämmt wurde, da die negativen konjunkturellen Auswirkungen begrenzt blieben.

Die von offizieller chinesischer Seite veröffentlichten Zahlen zu den Neuinfektionen geben tatsächlich Anlass zur Hoffnung, dass die von der Regierung getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus erfolgreich sein könnten. Zwar gibt es mittlerweile gut 80.000 Erkrankte, jedoch ist die Zahl der Neuinfektionen in der vergangenen Woche deutlich gesunken. Hinzu kam die Hoffnung, dass die zu erwartenden wirtschaftlichen Bremsspuren mit Hilfe einer expansiveren Geld- und Fiskalpolitik in Grenzen gehalten werden könnten.

Globales Problem

Nachdem aber seit dem vorvergangenen Wochenende klar ist, dass außerhalb Chinas die Zahl der am Coronavirus Erkrankten zunimmt, kam es daraufhin zu einer neuen Risikoeinschätzung und deswegen zu deutlichen Kursverlusten an den Aktienmärkten. Was zuerst als ein wenig beachtetes lokales Phänomen in einer chinesischen Provinz weit weg von uns begann, wächst immer mehr zu einem größeren globalen Problem heran. Auf der einen Seite sind immer mehr Menschen an Covid-19 erkrankt. Inzwischen hat die WHO fast 7200 Infizierte außerhalb Chinas aus 58 verschiedenen Ländern gezählt, Tendenz schnell steigend. Zu den neben China besonders betroffenen Ländern gehören u.a. Südkorea mit 3736, der Iran mit 593 und Italien mit 1128 bestätigten Fällen (Stand: 1. März 2020).

Und auf der anderen Seite klagen immer mehr Unternehmen darüber, dass Fabriken in China stillstehen und die internationalen Lieferketten unterbrochen sind. Apple, Coca Cola und Microsoft gehören zu den prominentesten Unternehmen, die bereits Umsatz- und Gewinnwarnungen für das erste Quartal abgegeben haben. Doch dabei handelt es sich wahrscheinlich nur um die Spitze des Eisbergs, weitere Unternehmen werden folgen. Zudem haben viele Firmen Reisebeschränkungen für ihre Mitarbeiter erlassen, Messen werden verschoben oder abgesagt.

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Je nachdem, wie lange es dauert, bis die Ausbreitung des Virus unter Kontrolle ist, wird die wirtschaftliche Entwicklung mehr oder weniger stark beeinträchtigt. Die Hoffnung besteht einerseits darin, dass die zum Teil drastischen Maßnahmen von Regierungen und Behörden, die zum Beispiel Städte und Regionen abriegeln und unter Quarantäne stellen, die Verbreitung der Krankheit erfolgreich eindämmen kann. Doch dies scheint bisher nur wenig erfolgreich zu sein. Andererseits könnten wärmere Temperaturen und der Beginn des Frühlings dafür sorgen, dass sich die Krankheit nicht mehr so schnell ausbreitet. Noch ist dies aber nicht der Fall, und wann es dazu kommen wird, ist ungewiss.

Im Moment ist es so, dass die Angst vor dem Virus mehr negative Konjunktureffekte auslöst als das Virus selbst. So sterben an einer normalen Grippe, an Masern oder bei Naturkatastrophen häufig mehr Menschen als es bislang durch Covid-19 der Fall ist, ohne dass dies in der Vergangenheit nennenswerte wirtschaftliche Konsequenzen gehabt hat. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass die ökonomischen Auswirkungen des Virus deutlich größer sein könnten als bislang erwartet. Dies liegt unter anderem daran, dass der Anteil Chinas an der Weltwirtschaft in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen ist.

Angebots- und Nachfrageschock

Von zwei Prozent im Jahr 1990, über vier Prozent im Jahr 2000, neun Prozent 2010 bis aktuell rund 16 Prozent hat der Einfluss Chinas stetig zugenommen. Bezogen auf das globale Wirtschaftswachstum entfällt auf China ein Anteil von rund einem Drittel. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass viele Länder intensiven Handel mit China betreiben. In Australien gehen fast 38 Prozent aller Exporte, vor allem Eisenerz und Kohle, nach China. Auch für Brasilien (27 Prozent), Südkorea (25 Prozent) und Japan (19 Prozent) ist der chinesische Markt exorbitant wichtig. Allerdings ist es im Moment kaum zu beziffern, wie stark der Wachstumseinbruch der chinesischen Wirtschaft ausfallen wird.

Doch machen wir mal ein kleines Gedankenexperiment. Diese Krise unterscheidet sich von vielen Früheren vor allem dadurch, dass es sich um einen gleichzeitig auftretenden Angebots- und Nachfrageschock handelt. In vielen chinesischen Unternehmen wird seit Ende Januar nicht gearbeitet. Dies führt zu Produktionsausfällen und beeinträchtigt die globalen Lieferketten. Das Angebot an Gütern und Dienstleistungen sinkt. Gleichzeitig bleiben viele Arbeiter und Angestellte in China zu Hause. Zum Teil werden die Menschen in unbezahlten Urlaub geschickt, sodass sich ihre Einkommenssituation verschlechtert. Dinge des täglichen Bedarfs werden – wenn möglich – weiter angeschafft. Geplante Käufe von Möbeln oder Autos werden auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, sodass diese Nachfrage bei einer Normalisierung nachgeholt wird. Doch bestimmte Ausgaben, wie beispielsweise für Kino- und Restaurantbesuche und die direkt damit verbundenen wirtschaftlichen Aktivitäten, fallen dauerhaft aus.

Im vergangenen Jahr ist das chinesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) jedes Quartal im Durchschnitt um 1,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal angestiegen, auf Gesamtjahressicht gab es ein BIP-Wachstum von 6,1 Prozent. Auch für 2020 hat die chinesische Führung ein Wachstumsziel von etwa sechs Prozent ausgegeben. Unterstellt man, dass die reale Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2020 um fünf Prozent gegenüber dem Vorquartal sinkt, würde das BIP gegenüber dem Vorjahr ein Minus von einem Prozent aufweisen. Manche Ökonomen rechnen sogar mit einem Minus von 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Einkaufsmanagerindizes brechen ein

Da die Infektionszahlen sinken, scheint es plausibel zu sein, dass sich die Wirtschaft ab dem zweiten Quartal sukzessive erholt. Geht man für das zweite Quartal von einem Quartalswachstum von drei und im dritten Vierteljahr von sieben Prozent aus, wäre die Delle aus dem ersten Quartal wieder aufgeholt. Dann wäre im vierten Quartal wohl nur noch ein Wachstum von eineinhalb Prozent gegenüber dem Vorquartal realistisch. Mit diesem – zugegeben sehr hypothetischen – Wachstumsverlauf würde das chinesische BIP in diesem Jahr aber nicht um sechs sondern nur um drei Prozent wachsen!

In diesem Fall müsste man die Prognose für das Wachstum der Weltwirtschaft allein aufgrund des China-Effekts um 0,5 Prozentpunkte, also von bislang 3,3 auf 2,8 Prozent, reduzieren. Berücksichtigt man zusätzlich die möglichen Multiplikatoreffekte und negative Auswirkungen auf andere Volkswirtschaften würde die Weltwirtschaft 2020 bestenfalls noch mit einer Rate von 2,5 Prozent wachsen, eher etwas weniger.

Die am Wochenende veröffentlichten Februar-Daten zu den Einkaufsmanagerindizes im verarbeitenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor sind so stark eingebroch wie niemals zuvor. Geht man deswegen von einem noch dramatischeren Wachstumseinbruch in China im ersten Quartal von 10 Prozent gegenüber dem Vorquartal aus und anschließenden Aufholeffekten in den Folgequartalen mit Wachstumsraten von fünf, zehn und zwei Prozent würde die chinesische Wirtschaft in diesem Jahr nur noch um ein halbes Prozent wachsen. In diesem Fall wäre eine globale Rezession nicht mehr zu vermeiden, das Wachstum der Weltwirtschaft würde sich auf weniger als zwei Prozent verlangsamen.

Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe

source: tradingeconomics.com

Wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass es in diesem Szenario zu konzertierten geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen kommen wird. Wie die Fed Funds Futures zeigen, geht man mehrheitlich davon aus, dass die US-Notenbank spätestens bis zu ihrer nächsten Sitzung am 18. März den Leitzins um mindestens 50 senken wird, gefolgt von einem weiteren Schritt Ende April und noch einer Zinssenkung Ende Juli. Auch in China sowie in vielen Schwellenländern dürften die Zinsen in der nächsten Zeit gesenkt werden.

Spielraum für die Fiskalpolitik

Nicht nur, dass das Wachstum schwächelt, auch die Inflationsraten werden in nächster Zeit – von ohnehin tiefen Niveaus – weiter sinken. Selbst für die EZB rechnen Marktteilnehmer mittlerweile für die nächste Sitzung des EZB-Rats am 12. März mit einer weiteren Zinssenkung um 10 Basispunkte.

Allein die Notenbankpolitik dürfte dafür sorgen, dass die Renditen am Rentenmarkt weiter fallen. In den USA haben 10-jährige Treasuries mit weniger als 1,10 Prozent ein neues Rekordtief erreicht. Bei Bundesanleihen hingegen ist dies noch nicht der Fall. Mit minus 0,65 Prozent nähert man sich aber dem Rekordtief von minus 0,72 Prozent wieder an. Wir halten es für wahrscheinlich, dass dieser Wert bald erreicht und sogar unterschritten werden wird.

Auch von der Fiskalpolitik dürfte Unterstützung kommen . Hier gibt es in einigen europäischen Ländern, wie beispielsweise in Deutschland, den Niederlanden, Finnland und Irland angesichts von Staatsschuldenquoten unter der 60-Prozent-Maastricht-Grenze durchaus Spielraum. Auch in den USA, China und Großbritannien sind Steuererleichterungen und zusätzliche staatliche Ausgabenprogramme wahrscheinlich.

Allerdings muss man sich fragen, wie schnell Geld- und Fiskalpolitik in dieser Situation helfen können. Beide wirtschaftspolitischen Instrumente zielen darauf ab, das Nachfrageproblem zu beheben. Um die Lieferketten wiederherzustellen, sind sie aber zumindest kurzfristig eher ungeeignet. Dennoch können staatliche Überbrückungskredite helfen, Unternehmen, die in Finanzierungsschwierigkeiten geraten, über Wasser zu halten.

Aktien halten

Was bedeutet dies für die Aktienmärkte? Die längst überfällige Korrektur hat begonnen und dürfte sich zumindest solange fortsetzen, bis klarer erkennbar ist, wie groß der wirtschaftliche Schaden durch das Virus ist. Unser hier vorgestelltes Szenario ist sicherlich vergleichsweise negativ und muss so nicht eintreten. Solange es sich aber nicht widerlegen lässt, dürfte der Druck auf die Kurse anhalten.

Als Anleger sollte man sich von daher im Moment vorsichtig positionieren, für Zukäufe ist es noch zu früh. Sollte sich aber abzeichnen, dass die Eindämmung der Infektionen gelingt oder dass ein wirksamer Impfschutz entwickelt wird, wird sich die wirtschaftliche Situation wieder verbessern. Ein „v“- oder zumindest „u“-förmiger Konjunkturverlauf ist dann wahrscheinlich. Da der Zeitpunkt, wann dies eintreten wird, nicht prognostiziert werden kann, bedeutet dies, sich derzeit nicht von allen Aktienanlagen zu trennen. Denn in diesem Fall könnten die Kurse genauso schnell und stark wieder steigen wie sie im Moment den Rückwärtsgang einlegen. Schließlich gilt unverändert das Argument, dass Aktien im Vergleich zu vielen anderen Assetklassen attraktiver sind – vorausgesetzt, dass es nicht zu einer längeren und schweren Rezession kommt.

Carsten Klude ist Chefvolkswirt von M.M.Warburg & Co. Bei Capital schreibt er regelmäßig zu Konjunktur- und Makrothemen. Weitere Beiträge von Carsten Klude

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