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Bernd Ziesemer Wenn in China ein Vorstandschef verschwindet

Bernd Ziesemer
Bernd Ziesemer
© Martin Kress
In der chinesischen Wirtschaft sinkt die Rechtssicherheit. Westliche Anleger gehen sorglos mit den Risiken von China-Aktien um

Die Investmentbank China Renaissance Holdings überraschte ihre Hongkonger Aktionäre Mitte Februar mit einer Ad-hoc-Meldung der besonders seltsamen Art: Leider sei Bankchef und Hauptaktionär Bao Fan spurlos verschwunden, seine Mitarbeiter könnten gegenwärtig keinen Kontakt mit ihm aufnehmen. Wenig später hieß es dann plötzlich, der chinesische Milliardär „unterstütze“ die Behörden bei einer Untersuchung. Welche Behörden? Was für eine Untersuchung? Gegen wen? Das erfuhren die erschütterten Aktionäre nicht.

Unter Diktator Xi Jinping verschwinden immer mal wieder über Nacht Manager und Parteifunktionäre, ohne dass man etwas Genaues erfährt. In China erinnern sich alle an den Fall des Multimilliardärs Jack Ma, der Ende 2020 aus heiterem Himmel ins Fadenkreuz des Xi-Regimes geraten war. Der Gründer des Alibaba-Konzerns, der größten Internet- und IT-Gruppe in der Volksrepublik, tauchte für Monate aus der Öffentlichkeit ab, nachdem er sich mit der Finanzaufsicht in Peking angelegt hatte. Schließlich musste Ma den Börsengang seiner Finanztochter Ant Group absagen und schließlich sogar die Kontrolle über das Unternehmen abgeben.

Von einer unparteilichen und fairen Justiz konnte im kommunistischen China noch niemals die Rede sein. Nicht einmal der Grundpfeiler jeder modernen westlichen Rechtsordnung – Verhaftungen generell nur nach dem Beschluss unabhängiger Richter (Habeas Corpus) – existiert in der Volksrepublik. Politische Schauprozesse gab es immer wieder. Und doch hatte sich im Zuge der Wirtschaftsreformen nach 1979 ein Stück Rechtssicherheit für die Unternehmen im Lande entwickelt. Der Staat mischte sich in der Regel nicht in Streitfälle ein, solange seine Interessen nicht unmittelbar berührt waren.

Das Risiko für westliche Anleger wächst in China

Seit Xi Jinping die Herrschaft der Partei in seine persönliche Diktatur verwandelt, fällt auch das Wirtschaftsrecht in die Willkürlichkeit zurück. Damit wächst aber auch das Risiko für westliche Anleger, die an den Börsen von Schanghai oder Hongkong investieren. Bisher gehen sie allzu sorglos mit den wachsenden systemischen Gefahren um und behandelt die Finanzmärkte in China wie jede anderen in der Welt.

Solange es nur um staatliche Eingriffe in einzelne Unternehmen geht, erscheinen die Risiken als überschaubar. Bisher gibt es auch so gut wie keine Fälle, in denen die Investitionen westlicher Konzerne zum Opfer willkürlicher Gerichtsurteile wurden. Aber die Gefahr wächst, dass sich Xi Jinping ganze Branchen vornimmt, um seinen politischen Machtanspruch in der Wirtschaft durchzusetzen. Vor allem auf dem Finanz -und Technologiesektor, aber auch in der Immobilienwirtschaft toben bereits heftige, für Ausländer nur schwer durchschaubare Kämpfe.

Im offiziellen Sprachgebrauch taucht ein Begriff wieder auf, der seit Maos Zeiten verschwunden war und älteren Chinesen immer noch einen Schauer über den Rücken jagt: „Berichtigungskampagne“. Damit bezeichnet Xi die grundlegende politische Ausrichtung ganzer Sektoren der Volkswirtschaft. 1951 war es Mao, der die San-Fan-Kampagne gegen die „drei Übel der Korruption, Verschwendung und Bürokratie“ ausgerufen hatte. In späteren Jahren folgten viele andere dieser „Berichtigungskampagnen“ – bis hin zur verheerenden Kulturrevolution. Unter dem großen Reformer Deng Xiaoping war damit Schluss – und seine Nachfolger hielten sich daran, die Wirtschaft vor weiteren politischen Feldzügen zu verschonen. Xi Jinping aber nimmt immer weniger Rücksicht auf die Wirtschaft.

Bernd Ziesemer

ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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