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Kommentar Was kommt nach dem Grexit?

Europa muss mutiger über seine Zukunft nachdenken. Auch für den Fall, dass sich ein Mitglied der Eurozone verabschiedet. Von Timo Pache
Timo Pache
Timo Pache
© Trevor Good

Die Weltpolitik gleicht derzeit einer etwas zu steifen Gartenparty. Alle unterhalten sich scheinbar prächtig, achten aber eigentlich nur auf den einen komischen Gast am Rand, der permanent die Bowle in die Blumenbeete kippt und mit den Resten vom Buffet um sich wirft. Keiner sagt was, aber alle denken: Wann kommt endlich einer und wirft den schrägen Typen raus?

So ähnlich war die Stimmung am vergangenen Wochenende in Washington auf der Frühjahrstagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF). Die Wirtschaft läuft nicht schlecht, der niedrige Ölpreis und die ultralockere Geldpolitik der Zentralbanken beflügeln die Wirtschaft in weiten Teilen der Erde. Klar, gibt es noch ein paar Probleme und Risiken, vor allem im Finanzsektor – aber eigentlich wäre die Stimmung wirklich ganz gut, wäre da nicht dieser einer komische Vogel dahinten, der lieber lange Vorträge hält und sich mit schönen jungen Frauen ablichten lässt als sich an den Schreibtisch zu setzen und seine Arbeit zu machen.

Die Rede ist, natürlich, vom griechischen Finanzminister Yannis Varoufakis. Die Einschätzungen der anderen Minister und Finanzexperten über die Lage von Varoufakis Heimat als düster zu beschreiben, ist noch höflich. Egal, wen man in Washington zu Griechenland befragte, die Antworten waren stets gleich: Ungläubiges Entsetzen, Rat- und Sprachlosigkeit, manchmal sogar, für Politiker ungewöhnlich, offene Wut.

Staatspleite als reale Gefahr

Keine Fortschritte, nirgends, gebe es, nicht einmal konkrete Ideen oder gar Pläne, was die neue linke Regierung in Athen zu tun gedenke, um die Misere des Landes zu beheben und die desolaten Finanzen zu stabilisieren, berichteten reihenweise Minister und Topbeamte. Die Gespräche der drei Institutionen IWF, EU-Kommission und Europäischer Zentralbank mit griechischen Regierungsvertretern über künftige Reformen scheiterten nicht mal an inhaltlichen Differenzen – sondern einfach daran, dass es keine gemeinsame Einschätzung der Probleme und der Lage des Landes gebe.

So kommt es, dass bald drei Monate nach dem Regierungswechsel ein EU- und Euro-Mitgliedsland auf eine Staatspleite zusteuert – eventuell schon im Mai, vielleicht im Juni/Juli, oder vielleicht auch erst in einem halben oder dreiviertel Jahr. Die Wahrscheinlichkeit für eine Staatspleite liege bei 50 zu 50, hieß es in Kreisen europäischer Notenbanker – wobei man bei dieser Einschätzung noch Abschläge für Diplomatie und die Angst vor einer Überreaktion der Märkte berücksichtigen muss.

Ein Mitgliedsland des Euro pleite – das wäre eine Zäsur für den Euro und Europa – finanzpolitisch ebenso wie geopolitisch. Und der Rest Europas schaut zu und kann gar nicht fassen, was sich da im eigenen Garten abspielt.

Ob die griechische Regierung noch mal die Kurve bekommt und die Vorgabe akzeptiert, dass sie für weitere Hilfen ein paar Regeln und Mindeststandards einhalten muss, weiß im Moment niemand. Umso wichtiger wäre es aber daher, dass sich der Rest Europas und der Euro-Zone schon mal überlegt, was eigentlich mit Europa und der Gemeinschaftswährung passieren soll, wenn sich in den kommenden Monaten tatsächlich ein Mitglied aus der Runde verabschiedet.

Angst vor dem Wähler

Tatsächlich denkt bereits ein kleiner erlauchter Kreis genau über diese Frage nach. Die drei Präsidenten von Europäischem Rat, EU-Kommission und Zentralbank sowie der Chef der Euro-Gruppe sollen in den kommenden Wochen Vorschläge zur weiteren Entwicklung der Eurozone vorlegen. Doch was bisher aus dem Kreis gedrungen ist, lässt schlimmes befürchten: Es ist eine Mischung aus Weiter-so und technokratischem Kleinklein. Hier ein paar mehr Kompetenzen für die Kommission, dort vielleicht ein neues Amt für die Eurogruppe, vielleicht noch ein bisschen mehr Koordination und gemeinsame Standards in der Haushaltspolitik. Das war's. Die Überlegungen der vier werden allein von einer Sorge getrieben: Bloß keine Veränderung der EU-Verträge, bloß nicht zu viel Risiko. Der Wähler könnte ja dagegen sein und in andernfalls fälligen Volksabstimmungen revoltieren.

An der Sorge ist durchaus auch etwas dran, wie starke europakritische Parteien fast überall zeigen. Doch kann das wirklich ein Grund sein, auf mehr Ehrgeiz zu verzichten? Lieber wegdrücken, damit sich ja keiner aufregt?

Das Gegenteil ist richtig: Diese Strategie hat genau dahin geführt, wo Europa heute steht: Weithin ungeliebt bis verhasst als politisches Projekt, gelähmt als wirtschaftliche Macht.

Es braucht ein stärkeres Europa

Europa braucht mehr Demokratie, mehr Kompetenzen, neue Ziele und stärkere Fürsprecher, wenn die Staatengemeinschaft als großer und mächtiger Wirtschaftsraum überleben soll. In der Jugend- und Bildungspolitik, im Kampf gegen den Fachkräftemangel, in der Energieversorgung, in der öffentlichen Beschaffung und beim Bau großer Infrastrukturprojekte könnte Brüssel weit mehr leisten als bürokratische Vorgaben, Ausschreibungsregeln, statistische Überwachung und ein akademisches Austauschprogramm. Wenn dafür andere Verträge nötig sind, sollen sich die Befürworter ins Zeug legen und für ihre Ansinnen kämpfen.

Sollte Griechenland in den kommenden Monaten den Euro aufgeben, wird jedenfalls weit mehr nötig sein, um den Zerfall des Währungsraumes zu verhindern als ein neues Amt in Brüssel. Und dies gilt auch dann, wenn Griechenland die gemeinsamen Regeln in Europa doch noch akzeptiert und sich zu weiteren Strukturreformen verpflichtet.

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