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Gastkommentar Was Griechenland anpacken muss

Bildung, Korruption, Start-ups - der Reformbedarf ist groß. Aber das Land hat es auch selbst in der Hand. Von Jennifer Blanke
Die Griechen müssen sich auf weitere Sparmaßnahmen einstellen
Die Griechen müssen sich auf weitere Sparmaßnahmen einstellen - Foto: Getty Images
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Jennifer Blanke ist Chefökonomin des World Economic Forum

Nach heftigen Diskussionen hat das griechische Parlament dem Kompromiss zwischen Griechenland und seinen Gläubigern in Europa zugestimmt. Das sind gute Nachrichten, aber ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone oder sogar aus der EU ist damit, wenn auch alles andere als wünschenswert, noch nicht vom Tisch.

Am Wochenende war es zu Marathonverhandlungen gekommen zwischen der griechischen Regierung und der Troika, die sich aus der Europäischen Kommission, dem IWF und der EZB zusammensetzt. Das Ergebnis war ein Abkommen über eine Reihe von Eilreformen. Im Gegenzug erhält Griechenland eine Schuldenentlastung von 82 bis 86 Mrd. Euro und kann in der Eurozone bleiben.

Kurzfristige Soforthilfen im Gegenzug für Reformen sind damit zunächst gesichert. Was Griechenland jetzt braucht, ist eine langfristige Strategie, um die Ursachen seiner Wirtschaftskrise anzupacken.

Herausforderungen lassen sich bewältigen

Die Zukunft seiner Wirtschaft und die Fähigkeit, den Bürgern einen höheren Lebensstandard zu bieten, hängen von wachstumsfördernden Reformen und nicht nur einfach von Sparmaßnahmen beziehungsweise Schuldenentlastungen ab. Jenseits des politischen Taktierens und der kurzfristigen Weichenstellungen der letzten Zeit muss endlich anerkannt werden, dass die Wirtschaftsprobleme Griechenlands in der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und sozialen Teilhabe begründet liegen. Und dies liegt allein in den Händen Griechenlands. Die gute Nachricht ist, dass sich die strukturellen Herausforderungen des Landes mit der nötigen Überzeugung bewältigen lassen. Die Forschungserkenntnisse des Weltwirtschaftsforums zeigen, dass vorsichtiger Optimismus durchaus angebracht ist.

Der im Herbst 2014 veröffentlichte Global Competitiveness Report zeigt, dass das Land tatsächlich messbare Fortschritte in Richtung eines funktionierenden Güter- und Arbeitsmarktes machte. Verbesserungen im Wirtschaftsumfeld und Schritte zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes kurbelten die Wettbewerbsfähigkeit an. Auch in makroökonomischer Hinsicht tat sich einiges. So wurden etwa Knackpunkte wie die Anhebung des Pensionsalters und die Reform des öffentlichen Dienstes in Angriff genommen.

Erste Erfolge zeigten sich: Griechenland stieg im Ranking des Berichts um zehn Plätze nach oben und nach Jahren der Rezession ging es endlich wieder aufwärts. Seit Jahresbeginn legte Griechenland bei den Reformen jedoch wieder den Rückwärtsgang ein, stoppte Privatisierungen und legte der Effizienz neue Hindernisse in den Weg. Dieser Rückfall macht sich nicht nur schlecht für Verhandlungen mit Gläubigern, er ist auch für Griechenlands langfristige Wirtschaftsaussichten schlecht.

Kurzfristiges Denken schadet der sozialen Teilhabe

Auch die soziale Eingliederung, um die das Land so sehr bemüht ist, leidet darunter. Die Arbeit des Forums zu integrativem Wachstum und Entwicklung zeigt, dass Griechenlands Wirtschaft fern von jeglicher Entwicklung ist, die eine breit gefächerte Beteiligung aller Bürger gewährleistet. Trotz der bereits äußerst geringen Erwerbsbeteiligung verzeichnet Griechenland die höchste Arbeitslosenquote Europas, vor allem unter Jugendlichen. Zahlreiche Menschen sehen sich gezwungen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder Schwarzarbeit zu akzeptieren, was wiederum die finanziellen Ressourcen zur Bewältigung der zahlreichen wirtschaftlichen Missstände des Landes durch ein effektives Steuersystem einschränkt. Mit anderen Worten, die Menschen in Griechenland leiden wirklich und dagegen muss etwas getan werden. Aber was?

Zuerst einmal die Fortsetzung der Marktreformen, die bereits zur Diskussion standen. Damit ist es jedoch nicht getan. Im September veröffentlicht das Forum den Inclusive Growth and Development Report. Der Bericht untersucht 30 hochentwickelte Volkswirtschaften und zeigt im Fall Griechenland Bausteine für integratives Wachstum auf, die geradezu nach Aufmerksamkeit schreien:

• Das Bildungssystem bietet nicht die nötige Qualität für eine dynamische Wirtschaft und strotzt vor Ungleichheiten: Daten aus unserem bevorstehenden Bericht zeigen die eklatanten Leistungsunterschiede zwischen Schülern und Studenten je nach Einkommensschicht. Bei der Bildungsqualität belegt Griechenland daher Platz 30 von 30 Ländern.

• Korruption zieht sich sowohl durch den öffentlichen als auch privaten Sektor. Bei Wirtschafts- und politischer Ethik findet sich Griechenland daher auf Platz 28.

• Unternehmensgründungen werden nach wie vor durch den enormen verwaltungsbürokratischen Aufwand behindert. Laut Daten der Weltbank befindet sich Griechenland bei Unternehmensneugründungen auf Platz 28 beziehungsweise auf dem letzten Platz, wenn es um den bürokratischen Aufwand für die Gründung eines neuen Unternehmens geht.

Griechenlands Schicksal liegt in seinen eigenen Händen

Nur wenn diese zugrunde liegenden Antriebsfaktoren für Wachstum und Integration in Angriff genommen werden, wird Griechenland in der Lage sein, dieser und der nächsten Generation eine solide Grundlage zu bieten.

Griechenland existiert nicht in einem Vakuum und die ausländischen Gläubiger haben einen Einfluss auf kurzfristige Ergebnisse. Griechenland hat jedoch weitaus mehr Kontrolle über seine wirtschaftliche Zukunft als man angesichts des gegenwärtigen Diskurses „wir gegen sie“ glauben möchte. Man nehme als Gedankenexperiment die äußeren Faktoren aus der Gleichung und es wird klar, dass wachstumsfördernde Reformen der richtige Weg für Griechenlands Zukunft sind.

Wie auch immer das Ergebnis der Schuldenverhandlungen aussieht, Griechenland selbst muss einen nachhaltigeren und integrativeren Weg einschlagen. Griechenlands Schicksal liegt in seinen eigenen Händen. Es ist an der Zeit, es anzupacken.

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