Immer, wenn ein Thema so groß wird, dass wirklich niemand mehr daran vorbeikommt, melden sich auch völlig fachfremde Personen öffentlich dazu zu Wort – und werfen ihre Meinung sowie nicht selten auch Lösungsvorschläge auf den Markt. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Reaktion der EU und der USA darauf sind so ein Fall. Und oft geht es dabei im Kern darum, der Ukraine das Recht zur Verteidigung abzusprechen und einen wie auch immer gearteten „Frieden“ zu verlangen – ganz so als ob man nur mal nett mit Wladimir Putin plaudern müsste, und schon hätten alle wieder ihre Ruhe.
In Deutschland zum Beispiel haben mit diesem Ansatz inzwischen nicht nur die Gründerin einer Frauenzeitschrift, ein Fernseh-„Philosoph“ sowie ein abgehalfterter Balladen-Sänger energisch Position bezogen – Menschen also, die hierzulande unter dem Oberbegriff „Intellektuelle“ geführt werden. Auch der Musikproduzent und Castingshow-Veteran Dieter Bohlen spricht sich jetzt gegen die Russland-Sanktionen aus und bekommt dafür Beifall. Wobei die Expertise hier natürlich nicht infrage steht: Modern Talking war in Russland immer eine große Nummer.
Elon Musk, der Tesla-Chef und aktuell reichste Mensch der Welt steht einerseits voll in dieser Tradition, andererseits weist der Streit um seine jüngsten Äußerungen weit darüber hinaus. Musk, bis dahin nicht mit näheren Kenntnissen über die Ukraine aufgefallen, legte dem Land in einer Serie von Tweets nahe, Russland die Krim zu überlassen und politisch neutral zu bleiben. Außerdem sollte die Bevölkerung in den anderen Gebieten, deren Annexion Moskau versucht durchzudrücken, einfach „unter Uno-Aufsicht“ über diese Pläne abstimmen. In Gebieten also, in denen die russischen Soldaten seit Monaten morden, foltern, vertreiben und Menschen entführen. Im Kreml und seinen angeschlossenen russischen Polit-Talkshows wurde der Vorstoß freudig aufgenommen.
Man hätte das als Ausfall eines manchmal wirren Unternehmer-Genies abheften können, wenn nicht der US-Politikwissenschaftler und Außenpolitik-Experte Ian Bremmer eine pikante Behauptung aufgestellt hätte. Musk habe ihm, so Bremmer, erzählt, er habe mit Putin direkt über die Ukraine gesprochen, bevor es zu seinen Vorschlägen kam. Damit würde der US-Unternehmer de facto zu einem Überbringer russischer Vorschläge und zu einem Mittelsmann. Musk dementierte umgehend und behauptete, er habe nur einmal mit Putin gesprochen. Das sei 18 Monate her, also lange vor dem russischen Angriff.
Es weht ein Hauch von Henry Ford durch die Luft
Unabhängig davon, ob Bremmer oder Musk nun die Wahrheit sagen: Hinter den Vorschlägen des Tesla-Chefs steht eine Hybris, die in einer modernen und offenen Gesellschaft einen beunruhigenden Eindruck hinterlässt. Natürlich ist auch ein Unternehmer frei, seine Meinung zu äußern, allerdings will Musk den Eindruck erwecken, er könne den Krieg der Russen tatsächlich mit einem Geniestreich beenden. So wie er ein neues Tesla-Modell auf den Markt wirft oder Raketen in den Weltraum schickt. Es weht ein Hauch von Henry Ford durch die Luft – der während des Zweiten Weltkriegs wirre Pläne hegte, selbst mit Hitler zu verhandeln.
Im übrigen gilt dieses Problem nicht nur jetzt, da Musk den Fürsprecher russischer Interessen gibt. Es galt auch, als Musk mit feudalherrenartiger Geste verfügte, sein Satellitennetzwerk Starlink werde der Ukraine zur Verfügung stehen, um dort den Internetempfang zu sichern. Es sind dies Entscheidungen, die nicht von einem einzelnen Menschen, sondern von einer demokratisch gewählten Institution getroffen werden sollten.
Die Selbstüberschätzung bei Musk wird genährt durch einen Personenkult und Heldenverehrung, wie sie eigentlich in westlichen Gesellschaften nicht mehr akzeptiert werden. Es gibt kaum ein Start-up, aber auch keinen Großkonzern, der nicht darauf besteht, wie wichtig es ist, Beschlüsse im Kollektiv zu treffen, „flache Hierarchien“ zu pflegen und die Konzentration auf einzelne Entscheidungsträger zu vermeiden. Gerade das Silicon Valley, also die Welt, der Musk entstammt, wird nicht müde, auf die Weisheit der Vielen zu verweisen. Das Prinzip der Checks and Balances, das die amerikanische Demokratie seit langem zu recht hochhält, wird in diesem Sinne auch in der Wirtschaft fortgeschrieben. Unternehmen, die sich von einer Person abhängig machen, gehen gewaltige Risiken ein, sie sind schwächer.
Elon Musk ist kein Putin
Und darin liegt ja auch eine tiefe Wahrheit: Einzelne machen Fehler, und zwar zwangsläufig, sie brauchen Kontrolle und Korrektur, damit Gesellschaften funktionieren, Unternehmen oder politische Apparate. Der grausige Feldzug des Wladimir Putin in der Ukraine ist dafür der beste Beweis: Ein einzelner Mann mit einer Machtfülle, wie es sie auch in der späten Sowjetunion nicht mehr gab, entscheidet, ein anderes Land zu zerstören und führt sein eigenes dabei gleich mit an den Abgrund. Und ganz offenkundig ist derzeit niemand in der Lage, ihn davon abzubringen. Es gibt kein besseres Argument gegen Machtkonzentration. Die Hoffnung auf eine Demokratisierung Russlands und anderer postsowjetischer Staaten war eben nie Träumerei, wie oft behauptet wurde, sondern im Grunde harte Realpolitik.
Natürlich ist Elon Musk kein Putin, und es ist anzunehmen, dass sein Vorstoß für die Ukraine gut gemeint war. Aber allein die Vorstellung, dass der Tesla-Chef aufgrund seiner Erfahrungen als Unternehmer per Tweet einen Krieg beenden will (und seine Anhänger darüber auch noch abstimmen lässt), ist völlig absurd. Es ist der Fall eines Menschen, der offensichtlich von niemandem mehr darauf hingewiesen wird, dass es Fragen gibt, in denen er sich übernimmt. Und darin sind sich Musk und Putin dann doch ähnlich.