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Inflationsbekämpfung Vor uns liegen wirtschaftlich schwierige Zeiten

Tagungsort des Zentralbank-Symposiums von Jackson Hole
Tagungsort des Zentralbank-Symposiums von Jackson Hole
© IMAGO / Kyodo News
Die Zentralbanken des Westens verstärken ihren Kampf gegen die hohe Inflation. Doch gegen den Energieschock sind sie weitgehend machtlos

Die Zentralbanken sind entschlossen, die Inflation wieder unter Kontrolle zu bringen – das war die Botschaft von Jay Powell, dem Vorsitzenden der Fed, und Isabel Schnabel, der einflussreichen EZB-Direktorin, auf dem Zentralbanker-Symposium in Jackson Hole vergangene Woche. Warum betonten die Notenbanker diese Botschaft so nachdrücklich? Haben sie Recht? Und: Was könnte dies für die künftige Entwicklung von Politik und die Wirtschaft bedeuten?

„Um die Inflation zu verringern, müssen wir wahrscheinlich durch eine Phase von unterdurchschnittlichem Wachstum gehen“, so Powell. Höhere Zinsen, geringes Wachstum und ein nachlassender Arbeitsmarkt dürften die Inflation drücken, würden aber auch Haushalte und Unternehmen belasten. „Aber ein Misserfolg bei der Wiederherstellung der Preisstabilität würde viel größere Schmerzen bringen“, sagte Powell. Schnabel wies darauf hin, dass die Zentralbanken entschlossen handeln müssten, da die Inflation anhaltend zu hoch sei und die Kosten für ihre Eindämmung steigen würden, je länger das Handeln hinausgezögert werde. Es bestehe das Risiko, zu viel oder zu wenig zu tun. Dennoch sei „Entschlossenheit“ zu handeln besser als „Zurückhaltung“.

Es ist nicht schwer zu verstehen, warum die Zentralbanker sagen, was sie sagen. Sie haben ein klares Mandat, die Geldentwertung unter Kontrolle zu haben, dem sie nicht nachgekommen sind. Nicht nur die Gesamtinflation, auch die Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) lag über einen längeren Zeitraum über dem Zielwert. Natürlich hat dieses unglückliche Ergebnis viel mit einer Reihe unerwarteter Angebotsschocks zu tun – nach der Pandemie verlagerte sich der Konsum auf Waren, die Energieversorgung unterlag Einschränkungen und nun der Krieg in der Ukraine. Aber das ganze hat zwei Seiten: die der Nachfrage und die des Angebots. Die Zentralbanken, insbesondere die Fed, haben zu lange an der ultralockeren Geldpolitik der Pandemiezeit fest, obwohl auch die US-amerikanische Finanzpolitik zu expansiv war.

Warum die Zentralbanken die Inflation übersahen

In einer wichtigen Analyse weist Ricardo Reis von der London School of Economics auf vier Gründe hin, warum dies geschah: Erstens interpretierten die Zentralbanken Angebotsschocks wiederholt als vorübergehende Unterbrechungen und nicht als quasi dauerhafte Auswirkungen auf das Produktionspotenzial. Zweitens schätzten sie die kurzfristigen Erwartungen falsch ein und konzentrierten sich zu sehr auf den Mittelwert und nicht auf die Verschiebung hin zu höheren Erwartungen am oberen Rand der Verteilung. Drittens neigten sie dazu, Glaubwürdigkeit als etwas schier unendliches zu betrachten und nicht als etwas, das stets wieder erneuert werden muss. So übersahen sie, dass sich die Verteilungen der langfristigen Inflationserwartungen auch gegen sie verschoben. Schließlich führte ihr Glaube an einen niedrigen neutralen Zinssatz dazu, dass sie sich zu viele Sorgen über Deflation und zu wenig über die Rückkehr der Inflation machten. Ein zentraler Punkt ist, dass dies intellektuelle Fehler waren. Das Gleiche gilt meiner Meinung nach für die mangelnde Aufmerksamkeit, die monetären Daten geschenkt wurde.

Im Grunde befinden sich die Zentralbanken nun auf einer Aufholjagd, weil sie befürchten müssen, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Wenn das passieren sollte, wären die Kosten für die Wiedererlangung der Glaubwürdigkeit weitaus höher, als wenn sie jetzt handeln würden. Diese Befürchtung wird durch die Kombination aus einer hohen Preisinflation mit starken Arbeitsmärkten verstärkt. Die Tatsache, dass höhere Energiepreise die Preise für praktisch alles erhöhen, macht dieses Risiko noch größer. Dies könnte dann eine zweite Runde der Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen.

Mit dieser Einschätzung liegen sie richtig. Ein Rückfall in eine Ära hoher und instabiler Inflation wie in den 1970er Jahren wäre eine Katastrophe. Es besteht jedoch tatsächlich die Gefahr, dass eine Kombination aus sinkenden Realeinkommen und sich verschärfenden finanziellen Rahmenbedingungen einen unnötig tiefen Abschwung verursachen wird. Ein Teil des Problems besteht darin, dass die Kalibrierung der geldpolitischen Straffung heute besonders schwierig ist, weil sie eine Anhebung der kurzfristigen Zinssätze und eine gleichzeitige Schrumpfung der Bilanzen erfordert. Ein größeres Problem ist, dass politische Entscheidungsträger seit vier Jahrzehnten nicht mehr mit einer solchen Situation konfrontiert wurden.

Geht es ohne hohe Arbeitslosigkeit?

In den USA gibt es eine besonders optimistische Sichtweise der „unbefleckten Disinflation“, die von der Federal Reserve verkündet wird. Im Mittelpunkt dieser Debatte steht die Frage, ob es möglich ist, den Druck auf den Arbeitsmarkt zu verringern, indem die Zahl der offenen Stellen gesenkt wird, ohne die Arbeitslosigkeit zu erhöhen. In einem wichtigen Papier von Olivier Blanchard, Alex Domash und Lawrence Summers wird argumentiert, dass dies ein beispielloser Vorgang wäre. Die Fed hat daraufhin geantwortet, dass alles bisher Dagewesene beispiellos sei, warum also nicht auch dies? Die Autoren des ursprünglichen Papiers beharren darauf, dass es keinen guten Grund für die Annahme gibt, dass die Dinge so beispiellos sind. Überlegen Sie einmal: Wie kann man erwarten, dass eine allgemeine Straffung der Geldpolitik nur Unternehmen mit offenen Stellen trifft? Sie wird mit Sicherheit auch Unternehmen treffen, die dann Arbeitnehmer entlassen müssten.

Wenn die geplante Straffung der Geldpolitik in den USA zu einer Rezession führen dürfte, was könnte dann in Europa passieren? Die Antwort ist, dass die Rezession dort wahrscheinlich stark sein wird, wegen des enormen Energiepreisschocks. Auch hier ist die Balance zwischen den Auswirkungen auf Angebot und Nachfrage unklar. Wenn sich die höheren Energiepreise stärker auf das Angebot als auf die Nachfrage auswirken, wird auch die Nachfrage gedämpft werden müssen.

Geldpolitik wird in Europa eine Rolle spielen. Der Kern der derzeitigen Krise ist jedoch der Energieschock. Gegen solche realwirtschaftlichen Störungen können die Zentralbanken nicht direkt etwas unternehmen. Sie müssen sich an ihr Mandat der Preisstabilität halten. Aber es müssen große Anstrengungen unternommen werden, um die Schwächsten vor der Krise zu schützen. Zu den Schwächsten gehören übrigens nicht nur Menschen, sondern auch Staaten. In der Eurozone wird ein hohes Maß an finanzpolitischer Zusammenarbeit erforderlich sein. Eine politische Einsicht in die Notwendigkeit der Solidarität im Innern und zwischen Staaten ist eine Voraussetzung dafür.

Ein Sturm ist aus dem Osten Europas gekommen. Er muss überstanden werden. Wie dies am besten zu bewerkstelligen ist, wird Gegenstand künftiger Diskussionsbeiträge sein.

Copyright The Financial Times Limited 2022

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