Am Golf von Akaba rollen schon die Bagger. Satellitenbilder zeigen mehrere hundert Baumaschinen – Bagger, Lastwagen, Großbohrer – die Erdarbeiten für „The Line“ verrichten, einem 170 Kilometer langen und 200 Meter breiten Wohnblock quer durch Saudi-Arabien. Die nachhaltige Bandstadt ist das Vorzeigeobjekt von Kronprinz Mohammed bin Salman, der dort sein Prestigeprojekt Neom umsetzen will. Neom soll Saudi-Arabien unabhängiger vom Öl machen, und zwar ausgerechnet durch Nachhaltigkeit. Bis 2030 sollen über 500 Mrd. US-Dollar in die Transformation fließen, wodurch das Bruttoinlandsprodukt jährlich um 48 Mrd. Dollar steigen soll.
Für diese Investitionen sind allerdings Einnahmen erforderlich, und die kommen in Saudi-Arabien noch immer aus den riesigen Öl-Vorkommen. Knapp 87 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus Öl-Gewinnen, die wiederum in Projekte wie Neom und The Line fließen. Und sollen diese weiter vorangehen, ist Saudi-Arabien auf stabile Einnahmen angewiesen. Wie der IWF berechnete, muss der Ölpreis pro Barrel mindestens 80 US-Dollar betragen, um alle Großprojekte von bin Salman zu finanzieren.
Sonderweg in der Opec
Die Projekte dürften deshalb auch der entscheidende Grund sein, warum Saudi-Arabien gerade einen Sonderweg in der Opec geht – dem mächtigen Zusammenschluss der ölfördernden Staaten. Nach einer turbulenten Sitzung hatte Saudi-Arabien am Sonntag nämlich einseitig angekündigt, im Juli rund eine Million Barrel pro Tag weniger zu produzieren. Damit will das Land den schwächelnden Erdölpreisen entgegenwirken. Die sind aufgrund der schwächelnden Weltwirtschaft innerhalb eines Jahres um rund 40 Prozent auf etwa 73 Dollar gefallen.
Der Sonderweg ist auch deshalb interessant, da das Land die gut zwanzig Staaten des Ölkartells Opec+ gemeinsam mit Russland faktisch anführt. Dass einige vor allem kleinere afrikanische Staaten jetzt nicht zu eigenen Einschnitten bereit waren, zeigt die Spannungen innerhalb des Kartells. Der saudische Energieminister Abdul Aziz bezeichnete die einseitigen Kürzungen deshalb auch als „saudischen Lolli“, um die Stimmung unter den Mitgliedern zu verbessern.
Viele afrikanische Staaten haben durch jahrelange Unterinvestitionen bereits jetzt Probleme, ihre Förderziele zu erreichen. Eine weitere Drosselung würde ihre Probleme nur verschärfen. Saudi-Arabien hingegen ist mit einer Kapazität von zwölf Millionen Barrel pro Tag (b/t) der zweitgrößte Produzent weltweit nach den USA. Selbst nach den Kürzungen produziert das Land weiterhin neun Millionen Barrel täglich. Auch der drittgrößte Produzent Russland nimmt wohl Kürzungen hin – das allerdings erst ab Januar 2024, wenn der globale Output der Opec+ auf rund 40,5 Millionen b/t fallen soll. Das entspricht einem Minus von 1,4 Millionen b/t. In diesem Zuge werden auch die ohnehin ambitionierten Förderziele vieler afrikanischer Staaten nach unten angepasst. Die Vereinigten Arabischen Emirate sollen aufgrund ihrer hohen Investitionen allerdings 200.000 b/t mehr produzieren dürfen. Auch das wurde am Rande des Opec-Treffens verkündet.
Wirkung fraglich
Die Ölpreise schossen in einer ersten Reaktion am Montagmorgen nach oben. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent kostete zur Lieferung im August 77,03 US-Dollar. Das waren 90 Cent mehr als am Freitag. Der Preis für ein Barrel der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate zur Lieferung im Juli stieg um 92 Cent auf 72,66 Dollar. In der Nacht waren die Preise zeitweise noch deutlicher gestiegen.
Ob das aber reicht, um die Preise langfristig zu stabilisieren, ist fraglich. Die Opec-Länder hatten ihre Produktion bereits im vergangenen Jahr gedrosselt. Im April weiteten einige Opec-Länder, darunter Saudi-Arabien, die Kürzungen zur Überraschung vieler Experten dann aus. Und trotzdem ist der Ölpreis bis zuletzt im Trend immer weiter gefallen. Es scheint, als ob erst ein globaler Konjunkturaufschwung dem saudischen Kronprinz Mohammed bin Salman bei seinen Großprojekten helfen würde.